Wenn sich am heutigen Mittwoch die Ministerpräsidenten der Länder zur neusten Corona-Runde mit der Kanzlerin treffen, liegt die Zahl der Sars-CoV-2-Patienten, die in Deutschland gestorben sind, schon über 63.000. In Europa steigt die Zahl der Corona-Toten auf über 750.000, mehr als eine Dreiviertelmillion Menschen. Vor fast einem Jahr, am 15. Februar 2020, war in Paris der erste Corona-Patient Europas gestorben.
Seither warnt die World Socialist Web Site unablässig vor der Bedrohung durch diese verheerende Seuche. Schon vor einem Jahr forderte das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) „weltweit koordinierte Notfallmaßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie“, wie es in seiner Erklärung vom 29. Februar 2020 heißt. Darin wird vorausgesagt, dass Millionen Menschen sterben werden, wenn die Pandemiebekämpfung weiterhin den privaten Gesundheits-, Versicherungs- und Pharmakonzernen überlassen bleibt. Auch warnte die WSWS frühzeitig davor, dass das Virus gefährliche Mutationen hervorbringen werde.
Diese Warnungen haben sich auf unheimliche Weise bestätigt. Mittlerweile breiten sich gleich mehrere Virus-Mutanten aus, wie das in Großbritannien entdeckte Virus B.1.1.7, das hochansteckend ist. Auch immer mehr Ausbrüche mit den Mutanten aus Südafrika und Brasilien werden nachgewiesen. „Bis Anfang April werden die neuen Stämme die vorherigen verdrängt haben“, schätzt der Infektiologe Hajo Grundmann, der wie zahlreiche Wissenschaftler ausdrücklich davor warnt, die Pandemiemaßnahmen in einer solchen Situation zu lockern.
Während die Impfkampagne quälend langsam vor sich geht und noch Monate, wenn nicht Jahre ins Land gehen können, bis ein ausreichend großer Teil der Bevölkerung geimpft sein wird, häufen sich die Ausbrüche mit der Virus-Mutanten B.1.1.7. An ihr haben sich in wenigen Tagen hunderte Menschen in Krankenhäusern, Kitas, Seniorenheimen und Betrieben angesteckt.
In einem Leverkusener Altenheim haben sich gerade 72 Bewohner und Mitarbeiter infiziert. Ein Ausbruch an einer Freiburger Kita Ende Januar führt zu immer neuen Ausbrüchen in mehreren Familien. In Halle wurden zuletzt Neuinfektionen in zwei weiteren Krankenhäusern festgestellt, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Inzwischen sind auch Kinder immer öfter von schweren Fällen betroffen. In Krankenhäusern in Niedersachsen werden derzeit elf an Covid-19 erkrankte Kinder behandelt, eines davon liegt noch auf der Intensivstation. In Großbritannien werden mittlerweile jede Woche bis zu 100 Kinder mit dem sogenannten „multisystemischen inflammatorischen Syndrom“ (MIS-C) ins Krankenhaus eingeliefert. Dabei reagiert der ganze Körper mit einer schweren Entzündung, die rasch gefährlich werden kann. Die meisten betroffenen Kinder waren zuvor völlig gesund.
In dieser Situation sind die Regierungspolitiker, die sich heute mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen, entschlossen, Kitas und Schulen rasch wieder zu öffnen. Sie werden besorgte Mienen aufsetzen und vor den Lockerungen warnen, aber letztendlich dem Druck der Wirtschaft folgen.
Mehrere Politiker haben schon im Vorfeld betont, dass die Bildungseinrichtungen zuallererst gelockert werden müssten. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der seit kurzem auch CDU-Vorsitzender ist, erklärte: „Uns ist allen klar, Schule, Bildung, Kinderbetreuung muss absolute Priorität haben.“ Laschet vergoss die üblichen Krokodilstränen über das angebliche „Kindeswohl“ und sagte: „Wir richten mit dem Lockdown auch Schäden an. Wenn Kinder wochenlang nicht in der Schule sind, nicht gesehen werden, gibt es Kindeswohlgefährdung.“ Da würden „Bildungschancen gefährdet“.
Schon vor kurzem hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sich mit einer „Kita-Ampel“ für die sofortige Öffnung der Einrichtungen stark gemacht. Ihre Vorschläge, die eine „echte Öffnungsperspektive“ für alle Kitas schon bei einer Inzidenz knapp unter 200 fordern, werden faktisch von zahlreichen Politikern und von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unterstützt.
Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat ein ähnliches Modell entwickelt. Am Montag stellte sie ihre „S3-Leitlinien“ als Handlungsempfehlung zur Öffnung von Schulen vor. „Die Entscheidung, ob Schulen wieder geöffnet werden, kann dabei nicht von der Wissenschaft gefällt werden,“ heißt es gleich zu Anfang in ihrem begleitenden Kommentar.
Dies in einer Situation, in der weder Lehrer noch Erzieher geimpft sind, und auch noch lange nicht geimpft werden sollen. Selbst die neuste Richtlinie darüber sieht keine bevorzugte Impfung dieser Berufsgruppen vor. Die Schulen und Kitas sind weder mit ausreichenden Testmöglichkeiten noch mit Luftfiltern in jedem Raum ausgestattet, ganz zu schweigen von ausreichendem Personal, um die Kinder konsequent in kleinen, festen Gruppen zu unterrichten.
Die Minister wollen die Einrichtungen rasch wieder öffnen, obwohl sich die neuen Mutanten gerade an Schulen unkontrolliert ausbreiten. Das politische Ziel, an dem Merkel eisern festhält, ist die Sieben-Tages-Inzidenz von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner, und dies sei ja mittlerweile fast erreicht. Tatsächlich liegt die Inzidenz bei einer nach wie vor hohen Dunkelziffer zurzeit im Bereich von 75. Auch die Zahl der täglich an Corona Verstorbenen ist immer noch hoch und lag am Dienstag bei 481 Personen. Allein in den letzten drei Monaten sind 30.000 Covid-19-Patienten gestorben.
Derweil betrachten ernsthafte Wissenschaftler den offiziellen Kurs der „kriminellen Verantwortungslosigkeit“ (wie ihn die WSWS seit fast einem Jahr bezeichnet) mit großer Sorge.
„Es wäre fatal“, so Prof. Melanie Brinkmann vor kurzem im Spiegel, „darauf zu hoffen, wir könnten die Maßnahmen mit einer Inzidenz von knapp unter 50 lockern und dabei das Virus im Zaum halten. Die Zahlen würden sofort wieder steigen.“
Die Virologin am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum hat mit weiteren zwölf Wissenschaftlern schon im Dezember eine „No Covid“-Strategie dargelegt. Seither hat sie dafür die Unterstützung von weit über 1000 Wissenschaftlern, darunter auch von Christian Drosten, erhalten. Zu den Schulen sagte Brinkmann: „Kurzfristig müssen wir die Schulen geschlossen halten, sonst kriegen wir sie wegen der ansteckenderen Varianten sehr, sehr lange nicht mehr richtig geöffnet.“
Es mache sie „fassungslos“, dass selbst Urlaubreisen ins Ausland zurzeit möglich seien. Brinkmann forderte: „Dieses Larifari des ‚Hier ein bisschen Homeoffice, dort ein improvisiertes Hygienekonzept‘, das muss aufhören.“
Zu den neuen, noch infektiöseren Mutanten sagte die Virologin, sie seien „eigentlich eine ganz neue Pandemie, draufgesattelt auf die bisherige (…) Wir geraten wieder in ein exponentielles Wachstum.“ Die Politiker könnten jetzt nicht lockern, ohne sofort „einen Schub an Neuinfektionen“ zu riskieren.
Stattdessen schlug sie eine „konsequent durchgesetzte Kontaktvermeidungsstrategie“ vor, um das Virus zu besiegen. Dadurch könnte die Sieben-Tages-Inzidenz in wenigen Wochen unter 10 Infizierte pro 100.000 Einwohner heruntergedrückt werden: „Die Gesundheitsämter könnten wirklich wieder Infektionsketten nachverfolgen, und wir alle bekämen unser Leben zurück.“
Aber um einen solchen Kampf gegen das Virus zu führen, ist jedes Vertrauen auf die regierenden Politiker und die Gewerkschaften zwecklos. Nur wenn die Arbeiterklasse eingreift, kann der Kampf gegen die anwachsende Bedrohung gewonnen werden. Aus diesem Grund rufen das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei alle Arbeiter, Lehrer, Erzieher und Jugendlichen auf, sich in unabhängigen Aktionskomitees zu organisieren, um den Kampf gegen die Pandemie in die eigenen Hände zu nehmen und die mörderische Durchseuchungspolitik der herschenden Klasse zu stoppen.
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