Giffeys „Kita-Ampel“: Ein Vorstoß für sofortige Öffnung aller Kitas

Der jüngste Plan der Bundesfamilienministerin Giffey offenbart die ganze Skrupellosigkeit, mit der alle Kinder und Erzieher trotz eskalierter Pandemie zurück in die Einrichtungen geschickt werden sollen. Nach dem 14. Februar müsse es eine „echte Öffnungsperspektive bei Kitas und Schulen“ geben, erklärte die Ministerin gegenüber der Bild am Sonntag.

Rückendeckung erhält Franziska Giffey (SPD) von Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Wir setzen alles daran, Kitas und Schulen als erstes wieder öffnen zu können“, erklärte diese in einer Videoansprache.

Die Bundesfamilienministerin schlägt ein Ampel-Modell vor, das sich am Stufenplan des rot-rot-grün regierten Bremens orientiert. Es soll für alle Landkreise unterhalb eines Inzidenzwerts von 200 gelten. Damit ignoriert der Plan das allgemeine Infektionsgeschehen in der Gesellschaft komplett und achtet nur noch auf die Zahlen in den jeweiligen Einrichtungen. Als existierte in den Kitas und Schulen eine eigene Parallelwelt, beachtet Giffeys Plan nur noch die jeweilige Anzahl der Infizierten und in Quarantäne befindlichen Kinder und Erzieher.

Das erklärte Ziel sei es, „die Kindertagesbetreuung soweit wie möglich offen zu halten und nur dann zu Beschränkungen und gegebenenfalls Schließungen zu greifen, wenn die Situation vor Ort bzw. in den Einrichtungen dies tatsächlich erfordert“. So steht es in einem Begleitschreiben zum Konzept an die Länder. Folgendermaßen sehen die einzelnen Ampel-Stufen aus:

Grün – Es gibt keine Infizierten in der Einrichtung, und weniger als 10% der Kinder und Mitarbeiter befinden sich in Quarantäne (sind also potenziell Infizierte): Die Einrichtung läuft im Normalbetrieb

Gelb – Es gibt eine Infektion in der Einrichtung, und maximal eine Gruppe oder ein Viertel der Erzieher befinden sich in Quarantäne: Die Einrichtung läuft im eingeschränkten Regelbetrieb, was bedeutet, dass weiterhin die Kitas, bzw. die Gruppenräume voll sind. Die einzelnen Kindergruppen sind räumlich voneinander getrennt und die Einrichtung darf ihre Öffnungszeiten verkürzen.

Rot – Zwei Personen oder mehr wurden positiv getestet, und mehr als ein Viertel oder eine Gruppe befinden sich in Quarantäne. Die Einrichtung wird „geschlossen“ und geht zur Notbetreuung über.

Was „Notbetreuung“ in der Sprache der Regierungen heißt, wissen Erzieher mittlerweile zur Genüge: Es ist eine reine Mogelpackung, denn die Kinderbetreuung wird keineswegs auf systemrelevante Berufe beschränkt. Die Kitas laufen mit einem Drittel bis zwei Drittel der vollen Kinderzahl. Kleingruppen sind nicht möglich, was bedeutet, dass weiterhin alle täglich in Kontakt mit mehr als einem Dutzend Haushalten kommen.

De facto hieße Giffeys Vorschlag, dass fast alle Regionen sofort wieder in den normalen oder eingeschränkten Regelbetrieb übergehen müssten. Alle Kitas wären wieder voll, und dies höchstwahrscheinlich unabhängig von der Zahl der Infizierten, denn in den Kitas gibt es ja keine systematischen und regelmäßigen Tests. In Giffeys Vorschlag werden solche Tests für Erzieher zwar gefordert, aber auch das ist nichts Neues und kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Forderungen der Erzieher nach solchen Tests werden seit bald einem Jahr regelmäßig ignoriert.

Bisher haben viele Erzieher gar keinen oder nur einen sporadischen Zugang zu kostenlosen Tests. Und wenn doch, dann erweisen sich diese oft nur als unzuverlässige Antigen-Schnelltests. Kinder bleiben gänzlich unter dem Radar, denn die Teststrategie sieht ja vor, nur bei deutlichen, bzw. gravierenden Symptomen zu testen. Und Kinder leiden häufig nur unter milden oder gar keinen Symptomen, werden also selten getestet. Deshalb ist die Dunkelziffer bei ihnen zweifellos enorm.

Bisher fielen die Reaktionen aus den Ländern auf Giffeys Vorschlag eher verhalten und ablehnend aus. Dies ist jedoch nicht der Sorge um das Wohl der Kinder und Erzieher geschuldet, was NRW-Familienminister Joachim Stamp (FPD) besonders deutlich machte. In mehreren Zeitungen wurde er mit den Worten zitiert, Giffeys Konzept sei „praxisfremd und völlig naiv“. „Das würde zu einem völligen Chaos für Kita-Personal, Eltern und Träger führen.“

Das ist natürlich richtig, aber Stamp hat ganz andere Sorgen, wenn er vor „Chaos“ warnt. Der Minister ist weit davon entfernt, ein Konzept zu akzeptieren, das auch nur in Worten von Kita-„Schließungen“ und „Notbetreuung“ spricht. In NRW arbeiten die Erzieher seit langem im sogenannten „Pandemie-Betrieb“, der nichts anderes ist als das Pendant zu Giffeys Stufe Gelb.

Auch die bayerische Familienministerin, Carolina Trautner (CSU), hat den Vorschlag abgelehnt und nochmals auf die Einigung der letzten gemeinsamen Beratungen der Jugend- und Familienministerkonferenz verwiesen, die einen bundesweiten Stufenplan rundheraus abgelehnt habe.

Die Kultusministerin von Baden-Württemberg, Susanne Eisenmann (CDU), begrüßte zwar prinzipiell Giffeys Initiative, verwies jedoch ebenfalls auf mehr Praxisnähe, Flexibilität und „genügend Spielräume“. Eisenmann drängt seit Wochen energisch auf schnellste Öffnung aller Einrichtungen.

Hinter den mehr oder weniger wohlklingenden Phrasen der einzelnen Landesvertreter verbirgt sich ein mörderischer Wettbewerb, wer zuerst die Schulen und Kitas wieder öffnet, um alle Eltern zurück an die Arbeit zu schicken.

Dass Giffey vor allem die Sorgen der Wirtschaft im Blick hat, macht sie auch in ihrer Kandidatur als SPD-Spitzenkandidatin zu den Berliner Wahlen deutlich. Auf ihrer Wahlkampfseite versprach sie jüngst unter der Überschrift: „Ich will, dass die Wirtschaft wächst“, sie werde „die Rahmenbedingungen so verändern, dass es leichter wird, in Deutschland wirtschaftlich erfolgreich zu sein“. Aus dem Munde einer SPD Politikerin weiß jeder Arbeiter, was damit gemeint ist, nämlich weitere Erleichterungen und Steuergeschenke für Unternehmen und soziale Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Unterstützung erhält Giffey dagegen bezeichnenderweise – und nicht zum ersten Mal – von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Björn Köhler vom GEW-Hauptvorstand nennt Giffeys Ampel „durchaus sinnvoll“ und behauptet schönfärberisch, damit werde „die einzelne Kita mit ihrer jeweiligen Situation in den Blick“ genommen und „mit dem Infektionsgeschehen in der Region kombiniert“.

Auch der 4-Stufen-Plan, den der schleswig-holsteinische Ministerpräsident, Daniel Günther (CDU), vor wenigen Tagen vorgeschlagen hat, geht in eine ähnliche Richtung. Laut diesem würden die Kitas ab einem Inzidenzwert unter 100 in den eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren und die Schüler von Klasse 1 bis 6 im Wechselunterricht, also teilweise in Präsenz, unterrichtet werden.

Obwohl die Pandemie in keiner Weise unter Kontrolle ist, sind alle Regierungsparteien entschlossen, Kitas und Schulen zu öffnen.

Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt in an allen Bundesländern weiterhin zwischen 70 und 180 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Täglich sterben 500 bis 1000 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion. Außerdem werden immer neue Mutationen des SARS-CoV-2-Erregers bekannt, und sie breiten sich rasch weltweit aus. Diese sind offenbar nicht nur deutlich infektiöser, sondern z.T. auch resistenter gegen bereits bekannte Impfstoffe.

In dieser Situation mitten im Winter hunderttausende Kinder wieder in Kitas und Schulen zu stecken, ist nichts anderes als eine massenhafte Durchseuchung und wird mörderische Konsequenzen haben.

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