Mit dem massiven Anstieg der Corona-Fallzahlen geraten die Gesundheitssysteme in Europa immer stärker unter Druck. In den osteuropäischen Ländern, in denen in den vergangenen 30 Jahren durch Privatisierung und Spardiktate die öffentlichen Gesundheitssysteme systematisch zerstört wurden, ist die Situation besonders dramatisch.
In Polen ist die Lage nahezu außer Kontrolle. Aktuell gibt es täglich fast 14.000 Neuinfektionen pro Tag. Damit sind die Zahlen ähnlich hoch wie in Deutschland, bei einer Einwohnerzahl, die mit 38 Millionen weniger als halb so groß ist. Polnische Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer extrem hoch ist. Aktuell werden nur 0,9 Tests auf 1000 Einwohner durchgeführt.
Polens führender Epidemiologe Robert Flisiak wies bereits auf Parallelen zwischen der derzeitigen Corona-Lage in Polen und der in Italien im Frühjahr hin, als unter den Infektionszahlen das Gesundheitssystem regelrecht einbrach. Niemand habe Kontrolle über die Lage, bemerkte er.
Überall im Land entstehen derzeit provisorische Krankenhäuser, da die Ressourcen in den Kliniken des Landes entweder erschöpft sind oder kurz davor stehen. Ein Sprecher der polnischen Regierung teilte jedoch mit, dass die geringe Anzahl an Intensivbetten nur ein Teil des Problems sei. Wie schon vor Beginn der Pandemie bekannt war, ist das Hauptproblem fehlendes Personal im pflegerischen und ärztlichen Bereich.
Ein aktueller Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks gibt einen Einblick in die katastrophale Situation. Aus aufgezeichneten Gesprächen der Rettungsdienste, die der Fernsehsender TVN24 veröffentlicht hatte, geht hervor, dass ein Patient im Notzustand stundenlang zwischen vier Krankenhäusern hin und her geschickt wurde. Das Rettungsteam fragte die Notaufnahme einer Klinik am Ende verzweifelt, ob man den Patienten „vor die Tür hinlegen“ solle, und rief die Polizei zu Hilfe.
Auch Tomasz Siegel, Chef der Anästhesiologie-Abteilung im Warschauer Orlowski-Krankenhaus, bestätigte dies. „Wohin soll ich die Kranken evakuieren, die dort liegen? Der Minister sagt es nicht, weil es nirgendwo Plätze gibt“, so Siegel auf Facebook. Die Vorbereitung von Intensivstationen bedürfe Zeit, Personal und Geld. Die offiziellen Statistiken seien eine „Fiktion“. Die Verordnungen würden von den Regierenden nur „dazu geschaffen, um eine Pressekonferenz zu organisieren und das Blut derjenigen Menschen von den Händen zu waschen, die vor unseren Augen sterben und wegen mangelnder Hilfe sterben werden“.
„Der kritische Moment in dieser Pandemie wird in Polen dann kommen, wenn die Versorgung in den Kliniken zusammenbricht“, prognostiziert der Epidemiologe Tomasz Oszorowski und fügt hinzu: „Diesem Punkt nähern wir uns.“
Wechselnde Regierungen haben in den letzten Jahrzehnten das Gesundheitswesen in Polen ausbluten lassen. Dies wird nun offensichtlich. Von den 10.000 im Land vorhandenen Beatmungsgeräten wurden 1400 für Coronafälle vorgehalten. Mittlerweile sind bereits 60 Prozent belegt. Selbst die noch verfügbaren Geräte können teilweise nicht bedient werden, da es an geschultem Personal mangelt.
Vizepremierministers Jacek Sasin forderte die Ärzte unlängst auf, ihre „Ängstlichkeit“ abzulegen und die teils hochkomplexen Geräte zu bedienen, obwohl sie keine Kenntnisse haben, und damit das Leben der Patienten zu gefährden.
Seit Jahren wandern gut ausgebildete Mediziner und Pflegekräfte in westeuropäische Länder ab, da sie von den Löhnen in Polen kaum leben können. 2017 kamen in Polen auf 1000 Einwohner nur 2,4 Mediziner. Im Vergleich dazu waren es in Deutschland fast doppelt so viele.
Extrem viele Todesfälle durch Covid-19 hat Rumänien zu verzeichnen. Die Todesrate liegt mit 4,5 pro 100.000 Einwohner mehr als zehnmal so hoch wie in Deutschland. Am 23. Oktober meldete das Land mit knapp 20 Millionen Einwohnern 5028 Neuinfektionen, die höchste Anzahl seit Beginn der Pandemie. Mehr als 200.000 Einwohner haben sich bislang angesteckt, über 6000 sind verstorben.
Der rechte Präsident Klaus Johannis musste eingestehen, dass die Pandemie das gesamte Land ins Chaos gestürzt hat. Während die Regierung bisher keine nennenswerten Schutzmaßnahmen getroffen hat, wurden nun die Schulen in der Hauptstadt Bukarest für zwei Wochen geschlossen und der Unterricht wird online durchgeführt.
Die Kliniken des Landes sind mit der Vielzahl der Fälle derart überlastet, dass die Regierung anordnete, nur noch schwerste Fälle in den Kliniken zu behandeln. Alle anderen Covid-19-Patienten sollen häuslich versorgt werden. Erst zu Beginn diesen Monats verpflichtete die Regierung die Kliniken, einen bestimmten Prozentsatz der Betten für Corona-Patienten freizuhalten, was angesichts der Fallzahlen viel zu spät ist.
Gesundheitsminister Nelu Tataru hatte bereits vor Wochen erklärt, dass mit 3500 täglichen Infektionen ein für die Intensivstationen kritischer Bereich beginnt. Von den 1040 Intensivbetten waren Anfang letzter Woche bereits 749 belegt. Der Ärztemangel ist auch hier dramatisch. In den Intensivstationen arbeiten im ganzen Land nur rund 1000 Fachärzte und 800 Assistenzärzte, wie die ARD berichtete.
Tschechien mit 10,7 Millionen Einwohnern meldet europaweit den stärksten Anstieg an Corona-Fällen. In der letzten Woche mussten die ersten Covid-Patienten nach Deutschland zur Behandlung überführt werden. Am 23. Oktober wurden über 15.253 Neuinfektionen gemeldet. Das Gesundheitssystem sei nun an den Grenzen seiner Kapazität, erklärte Minister Roman Prymula. 30 Prozent der auf Corona getesteten Personen erhalten derzeit ein positives Ergebnis. In einigen Regionen beträgt der Anstieg der Infektionen über 500 Prozent.
Schon jetzt können die Kliniken die Behandlungen nicht mehr sicherstellen. 120 Beatmungsgeräte aus anderen EU-Staaten sind auf dem Weg nach Tschechien. Auch Personal aus der EU und den USA sei angefragt. Bereits zu Beginn der Pandemie war diese Entwicklung abzusehen. Im Frühjahr hatte die Regierung des Unternehmers Andrej Babis, der gemeinsam mit Sozialdemokraten und Stalinisten regiert, sämtliche Schutzmaßnahmen zurückgenommen. Erst jetzt werden wieder Ausgangsbeschränkungen, Maskenpflicht und Ähnliches eingeführt.
In Slowenien werden mittlerweile fast alle Ressourcen in den Kliniken für die Behandlung von Covid-Patienten verwendet. Am Samstag wurde mit 1697 Infektionen ein neuer Höchstwert gemeldet. Bereits in den Tagen davor hatte ein Regierungssprecher berichtet, dass innerhalb von 24 Stunden 25,5 Prozent der Tests positiv waren. Laut Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation sollte die Rate der positiv Getesteten fünf Prozent nicht übersteigen. Schon jetzt sind die Testkapazitäten knapp. In nur einer Woche haben sich die Infektionen verdoppelt.
Auch legt die Pandemie den wahren Zustand des Gesundheitssystems offen. Wir müssen „etwas für die Gesundheitsinfrastruktur unternehmen“, forderte Dr. Vojko Flis, Generaldirektor des Universitätsklinikums Maribor jüngst gegenüber Radio Slowenien. „Alle unsere Krankenhäuser befinden sich in relativ alten Gebäuden. Gleichzeitig haben wir keine Gebäude, die für die Unterbringung von Patienten geeignet sind, die schwere Infektionskrankheiten verbreiten könnten.“
Auch in mehreren Pflegeheimen im Land sind große Teile der Bewohner und des Personals infiziert. Zwischen 5 und 10 Prozent der Infizierten sind Beschäftigte des Gesundheitswesens.
Ähnliche Zustände herrschen in nahezu allen Ländern Osteuropas und des Balkans, in denen rasant steigende Fallzahlen zu verzeichnen sind. In Ländern wie Bosnien-Herzgowina, wo von den über 1000 täglichen Infektionen 10 Prozent Schulkinder betreffen, waren die Zustände in Kliniken schon vor der Pandemie katastrophal. Hier erklärte die Regierung, trotz der steigenden Infektionen werde es aus Rücksicht auf die Wirtschaft keinen Lockdown geben.
In Serbien warnten Ärzte ebenfalls vor einem „italienischen Szenario“, nachdem die Regierung in Belgrad sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie aufgehoben hatte.
Auch wenn jetzt einige Regierungen aus der Not heraus vereinzelte Maßnahmen einführen, um das Virus einzudämmen, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die korrupten und diskreditierten Regime in krimineller Art und Weise das Leben Tausender gefährden. Dies kann nur durch eine unabhängige Massenbewegung gegen den Kapitalismus verhindert werden.