Innenministerkonferenz greift demokratische Grundrechte an

Von einem Innenminister-Treffen könnte ein naiver Beobachter erwarten, dass es sich neuen Städtebau-Projekten, dem Wohnungswesen oder der Infrastruktur widmen würde, vielleicht noch der Ausrichtung sportlicher Ereignisse. Nicht so die Konferenz in Kiel. Das gestern zu Ende gegangene Treffen der Innenminister war vor allem Themen wie dem „digitalen Lauschangriff“, der länderübergreifenden Polizeiarbeit und der Abschiebung und Inhaftierung unbescholtener Menschen gewidmet.

Zweimal jährlich trifft sich die Konferenz, an der die Innenminister von 16 Ländern mit dem Bundesinnenminister Gespräche führen. Diesmal befassten sich die Minister mit der engeren Zusammenarbeit von Länderpolizei und Geheimdienst, dem Abhören digitaler Haustechnik, der Verschärfung des Waffenrechts, der Einschränkung des Kirchenasyls und der Ausweitung von Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Damit setzte die 210. Innenministerkonferenz die systematischen Bemühungen der Berliner Bundesregierung fort, die demokratischen Grundrechte anzugreifen und außer Kraft zu setzen.

Zwar betonten die Medien, erreicht worden sei eine bessere Bekämpfung von Clan-Kriminalität und Verbrecherbanden. Doch auch Beschlüsse in diesem Bereich dienen vor allem einem Zweck: den Polizeistaat zu stärken. Sie tragen dazu bei, wichtige Schranken zwischen Geheimdienst und Polizei, die aufgrund der Gestapo-Erfahrung im Dritten Reich im Grundgesetz stehen, systematisch abzubauen und die direkte Zusammenarbeit zwischen den Behörden zu erleichtern.

Der Begriff Clan-Kriminalität ist zudem unterschwellig rassistisch. Er verbindet Merkmale wie verwandtschaftlicher Zusammenhang, ausländische Herkunft und soziale Lage direkt mit dem Begriff „kriminell“, der nur auf eine bestimmte Tat zutrifft, wie der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer in einer Kolumne für Spiegel-Online warnte.

Der Verweis auf Terrorismus und kriminelle Banden wird als Rechtfertigung dafür bemüht, die Pressefreiheit, einschließlich des Redaktionsgeheimnisses und des Quellenschutzes, massiv einzuschränken. Wie die WSWS bereits berichtet hat, fordert der Bundesinnenminister zurzeit, dass die Geheimdienste auch Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten hacken dürfen.

Die Diskussionen in Kiel drehten sich auch um den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf private Daten durch das Abhören digitaler Hausgeräte wie Amazons „Alexa“, Apples „Siri“ oder Googles „Assistant“, sowie um das Anzapfen jeder Art „smarter“ Technik bis hin zu Gamer-Plattformen. Auch Messenger-Dienste der Smartphones sind betroffen. Die Dienstleister sollen verpflichtet werden, auf richterliche Anordnung hin verschlüsselte Chats zu entschlüsseln und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen – ohne dass die belauschten Personen darüber informiert werden.

Diese Ausweitung des Lauschangriffs auf Privatwohnungen und Redaktionsräume erinnert an die Omnipräsenz von „Big Brother“ in Orwells Roman „1984“. Sie hat in der Presse zu erheblicher Unruhe und Kritik geführt. Am Donnerstag sah sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) deshalb zu dem zynischen Dementi genötigt: „Ich höre kein Kinderzimmer ab. Ich höre keine Kinderpuppe ab, die einen Chip im Bauch hat.“ Der Gastgeber, der schleswig-holsteinische Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), setzte hinzu: „Wir haben in Deutschland eine Vielzahl von Ermächtigungen, es gilt erstmal, das optimal zu nutzen und zu koordinieren.“

Mehrere Medien weisen nun darauf hin, dass sich die 16 Länder-Innenminister nicht mit Seehofer geeinigt hätten. Während die CDU-regierten B-Länder einer Verschärfung der Geheimdienstgesetze zustimmten, hätten die A-Länder (die von der SPD regiert werden) sich ihnen widersetzt. Auf der Konferenz diskutieren A- und B-Länder am ersten Tag ihre Positionen getrennt voneinander, um die Beschlüsse dann gemeinsam zu fassen.

Dasselbe Ergebnis erbrachten, wie berichtet wird, auch die Diskussionen über die Abschiebungen. Der Forderung Seehofers, wieder uneingeschränkt nach Afghanistan abzuschieben, hätten sich die SPD-Länder verweigert. Beschlüsse werden nur einstimmig getroffen.

In Wirklichkeit ist die Haltung der SPD nicht weniger reaktionär als die der CDU/CSU. Das machte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) mit der zynischen Bemerkung deutlich: „Die Länder, die abschieben wollen, können das ja machen.“ Auch er fordere „immer wieder Konsequenzen ein“, setzte er hinzu, und sei natürlich dafür, „Straftäter, Gefährder und hartnäckige Identitätstäuscher“ nach Afghanistan abzuschieben. Damit unterstützt SPD die unmenschlichen Abschiebungen nach Afghanistan schon wegen Bagatelldelikten.

Erst letzte Woche hatten die SPD-Abgeordneten im Bundestag Seehofers „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ zugestimmt. Damit machten sie den Weg frei für die „Sicherungshaft“, die bedeutet, dass völlig unbescholtene Menschen Monate lang ins Gefängnis gesperrt werden, wie auch für willkürliche Durchsuchungen von Wohnungen abgelehnter Asylbewerber durch die Polizei.

Tatsächlich sind auch in Kiel extrem reaktionäre Maßnahmen diskutiert und weitgehende Beschlüsse gefasst worden. Die Innenminister der 16 Länder wollen geflüchtete Menschen sogar in das Bürgerkriegsland Syrien deportieren. Gemeinsam haben sie den Bund aufgefordert, bis zum Herbst die Sicherheitslage in Syrien neu zu bewerten, um den seit 2012 bestehenden Abschiebestopp aufzuheben.

Die Innenminister diskutierten auch die Verschärfung des Flüchtlingsasyls und restriktivere Regeln für die Anerkennung geflüchteter Menschen. Dies ausgerechnet am selben Tag, an dem bundesweit Gedenksendungen zum 90. Geburtstag von Anne Frank ausgestrahlt wurden. Das jüdische Mädchen hatte sich über zwei Jahre lang in Amsterdam vor den Nazis versteckt, um dann doch nach Auschwitz deportiert zu werden und im KZ Bergen-Belsen elend umzukommen.

In Kiel protestierten am Mittwoch mehrere Hundert Menschen gegen Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Vor dem Tagungshotel der Innenminister skandierten sie: „Kein Mensch ist illegal“, und: „Um Europa keine Mauer“. Zwei junge Einwanderer berichteten von ihren Erlebnissen in Afghanistan und ihren Erfahrungen in Deutschland. Einer sagte: „Wir sind hierher gekommen, weil wir arbeiten wollen, und nicht, um in einem Lager zu sitzen.“

Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat erst vor wenigen Tagen wieder ausdrücklich vor Abschiebungen nach Kabul gewarnt. „Die Sicherheitslage in dem Land lässt Rückführungen nur im Ausnahmefall zu“, heißt es im UNHCR-Bericht. „Und die Situation hat sich in den letzten Monaten weiter verschlechtert.“

Davon lassen sich die Innenminister keineswegs beeindrucken. Horst Seehofer bestand darauf, es sei „die klare Linie der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, dass wir abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abschieben“. Schon in der kommenden Woche soll erneut eine Sammelabschiebung nach Kabul stattfinden.

Wie die Europawahl Ende Mai gezeigt hat, sind weder SPD noch CDU/CSU in der Lage, bei den Wahlen noch Mehrheiten zu gewinnen. Umso mehr setzen sie sich in Bund und Ländern für die Zerstörung demokratischer Grundrechte und einen autoritären Polizeistaat ein.

Loading