Elf Monate nach der Übernahme von Opel durch den französischen PSA-Konzern setzt dieser zur nächsten Kahlschlagsrunde an. Wie die französische Tageszeitung Le Monde am 3. Juli berichtete, will der PSA-Vorstand große Teile des Internationalen Technischen Entwicklerzentrums (ITEZ) in Rüsselsheim und die Teststrecke in Dudenhofen (Kreis Offenbach) veräußern.
Le Monde liegen interne Informationen vor, wonach die Verhandlungen mit dem Ingenieurdienstleister Altran bereits weit fortgeschritten sind. Als mögliches Datum für einen Vertragsabschluss wird der Dezember dieses Jahres genannt. Neben Altran sind zwei weitere französische Auto-Entwicklerfirmen, Akka und Segula, sowie die deutsche Bertrandt als mögliche Käufer im Gespräch. Akka hat 2012 bereits einen Teil der Entwicklungsabteilung von Daimler übernommen.
In Frankreich ist Altran schon seit längerem ein wichtiger Partner des PSA-Konzerns. Überhaupt lagert die Autoindustrie immer größere Teile von Forschung und Entwicklung an Dienstleister aus, um Risiken wie die moderne Elektro-Technologie und die Folgen des zunehmenden Handelskriegs zu delegieren. Damit steigt der Druck auf Arbeitsplätze und Errungenschaften der Beschäftigten, die in immer neue Tochter- und Subunternehmen aufgesplittert werden.
Betroffen vom Verkauf wären etwa die Hälfte der rund 8000 Techniker, Ingenieure und Entwickler, die derzeit im ITEZ arbeiten. Ein großer Teil dieser Arbeitsplätze wäre gefährdet. Nach der Trennung vom US-Konzern General Motors, der ebenfalls in Rüsselsheim entwickeln ließ, gebe es beim ITEZ eine Überkapazität von 40 Prozent, zitiert Le Monde Opel-Entwicklungschef Christian Müller.
Der Verzicht auf eine eigene Entwicklungsabteilung hätte zudem Folgen für die anderen Werke von Opel, die – wie in Eisenach, Kaiserslautern und Ellesmere Port – schon jetzt von der Schließung bedroht sind.
Das Bekanntwerden der Verkaufspläne stieß in der Rüsselsheimer Belegschaft auf Wut und Empörung. Der Betriebsrat rief am Donnerstag eine außerordentliche Betriebsversammlung ein, um die Wogen zu glätten. Er hatte auch Opel-Chef Michael Lohscheller und Entwicklungschef Christian Müller eingeladen, doch keiner der beiden erschien.
Auf der Versammlung gab Gesamtbetriebsratschef Wolfgang Schäfer-Klug den Empörten. Bereits am Tag zuvor hatte er die Verkaufsverhandlungen als „unglaubliche und beispiellose Provokation“ bezeichnet, die die IG Metall und der Gesamtbetriebsrat „nicht kampflos hinnehmen“ würden.
Doch das dient vor allem dazu, die eigenen Spuren zu verwischen und den nächsten Ausverkauf vorzubereiten. Schäfer-Klugs von Le Monde zitierte Behauptung, er sei „aus allen Wolken gefallen“, als er von den Verkaufsplänen für das ITEZ gehört habe, beantwortete ein Sprecher von PSA süffisant mit den Worten: „Die Möglichkeit strategischer Partnerschaften mit anderen Unternehmen ist in einer Rahmenvereinbarung von Dezember ausdrücklich festgehalten. Betriebsratschef Wolfgang Schäfer-Klug hat sie selbst unterschrieben.“
Schäfer-Klug weiß, dass es in der Belegschaft kocht. „Die Stimmung ist schlecht, sie ist aggressiv, es herrscht unter der Belegschaft absolutes Unverständnis. Die Belegschaft ist ziemlich kämpferisch aufgestellt“, beschrieb er die Stimmung auf der Betriebsversammlung.
Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg warnte sogar vor einer kommenden Revolution. „Man glaubt in Frankreich offensichtlich, dass man gut beraten ist, die Dinge Stück für Stück bekannt zu machen. Wenn man alles auf einmal bekannt gemacht hätte, hätte man Angst gehabt eine ‚Revolution‘ oder einen Streik auszulösen“, zitierte ihn das ZDF.
Die IG Metall und der Betriebsrat werden bei der Abwicklung des ITEZ und der Schließung weiterer Werke ebenso eng mit PSA-Chef Carlos Tavares, Opel-Chef Lohscheller und möglichen Käufern zusammenarbeiten, wie sie dies in der Vergangenheit getan haben – von der Schließung der Opel-Werke in Antwerpen und Bochum bis zum Sanierungsprogramm „PACE“, das sie bei der Übernahme durch PSA unterzeichnet haben und das den Abbau eines Viertels der Arbeitsplätze vorsieht.
Noch im Mai hatte der Betriebsrat die jüngste Übereinkunft mit PSA als „Meilenstein für Opel“ bezeichnet. Darin stimmte er zu, dass die Opel-Arbeiter auf die erkämpfte Lohnerhöhung aus dem Metall-Tarifkampf vom Januar auf Monate hinaus verzichten. Das tarifliche Zusatzgeld, das im Januar 2019 fällig wird, entfällt, und die übrigen Tariferhöhungen sollen erst ab 2020 greifen. Was die damit erkaufte „umfassende Beschäftigungssicherung“ wert ist, zeigt sich jetzt beim ITEZ.
Überdies sind seit der Fusion mit PSA schon 3700 Stellen, die Leiharbeiter nicht mitgerechnet, abgebaut worden. Die Zukunft von Eisenach ist nach wie vor völlig ungesichert, und auch in Rüsselsheim und Kaiserslautern wird rationalisiert und herrscht Kurzarbeit.
Die globale Autoindustrie liefert sich seit Jahren einen erbitterten Konkurrenzkampf, der auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen wird, während die Konzerne und die hinter ihnen stehenden Finanzinvestoren Milliarden abkassieren und die Vorstände zweistellige Millionengehälter einstreichen. Der sich anbahnende Handelskrieg mit den USA wird diese Entwicklung weiter beschleunigen.
Der Zusammenschluss der Autokonzerne zu immer größeren Monopolen mit entsprechenden Synergien (sprich Arbeitsplatzabbau) gehört genauso dazu, wie die Spaltung der Arbeiter, um die Löhne nach unten zu drücken. So hatte der PSA-Konzern General Motors die Werke von Opel und Vauxhall im letzten Jahr abgekauft, um der vorherrschenden Stellung von Volkswagen auf dem europäischen Automarkt entgegenzutreten. Zu PSA gehörten bereits Peugeot, Citroën und DS.
Die Übernahme vom letzten Jahr war mit einem radikalen Sparprogramm verbunden, das PSA-Chef Tavares, der jedes Jahr 1,7 Milliarden Euro einsparen will, in enger Zusammenarbeit und mit Zustimmung des Opel-Betriebsrats und der IG Metall ausarbeitete. Der Betriebsrat hat in seinem Rahmen schon der Einführung von Kurzarbeit ab Januar, dem Abbau von hunderten von Leiharbeitern und der Liquidierung von 450 Arbeitsplätzen in Eisenach zugestimmt. Auch die Streichung von mehreren tausend Stellen im ITEZ ist von langer Hand geplant und vorbereitet.
Betriebsrat und IG Metall werden auch weiterhin uneingeschränkt auf der Seite des Managements und der Aktionäre stehen. Ihr Geschrei, sie seien getäuscht und belogen worden, dient nur dazu, von ihrer wirklichen Rolle abzulenken.
Ihr Schulterschluss mit dem Vorstand hat mehrere Gründe. Erstens werden sie für ihre Tätigkeit fürstlich bezahlt; sie verdienen oft das Mehrfache eines einfachen Arbeiters, genießen Kündigungsschutz und zahlreiche andere Privilegien. Zweitens vertreten sie ein reaktionäres nationalistisches Programm. Sie sehen die Zukunft „ihres“ Unternehmens ausschließlich vom nationalen Standpunkt kapitalistischer Interessen und nicht vom internationalen Standpunkt der Areiterklasse. Deshalb unterstützen sie jede Maßnahme – einschließlich Werksschließungen, Lohnsenkungen und steigende Arbeitshetze –, die dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Es ist offensichtlich, dass die Arbeiter den international agierenden Konzernen nur entgegentreten können, wenn sie sich selbst international zusammenschließen. Doch das lehnen Betriebsrat und IG Metall vehement ab. Sie fürchten einen wirklichen Kampf der Arbeiter genauso wie die Unternehmen. Ihr Ruf, „das Herz der Marke Opel“ zu retten und den „Standort Deutschland“ zu verteidigen, dient nicht dazu, die Arbeitsplätze zu erhalten, sondern die Arbeiter in Deutschland gegen ihre Kollegen in Frankreich und anderen Ländern auszuspielen, um sie besser ausbeuten zu können.
Dabei sind die Arbeiter von Peugeot, Citroen und DS seit Jahren ebenso heftigen Angriffen ausgesetzt, wie ihre deutschen Kollegen. So hat PSA den Anteil der Lohnkosten am Umsatz von 2013 bis 2017 von 15 auf 11 Prozent gesenkt.
Ein bevorzugtes Mittel, dessen sich der Konzern dabei bedient, ist die Erhöhung der Zahl von Zeitarbeitern. Rund 8.000 der 60.000 Beschäftigten von PSA sind Zeitarbeiter, die weniger verdienen als ihre fest eingestellten Kollegen und benutzt werden, um den Arbeitsdruck zu erhöhen.
„Dieselbe Behandlung“, sagte PSA-Personalchef Xavier Chéreau im Januar Le Monde, „muss auch Opel-Vauxhall verordnet werden.“ Er brüstete sich, dass dort 2017 gegenüber der Finanzplanung von General Motors bereits Einsparungen von 12 Prozent erzielt worden seien. Weitere Maßnahmen seien identifiziert. „Wir werden es uns nicht nehmen lassen, kurz- und langfristige Synergien zu erzielen“, betonte Chéreau und fügte hinzu: „…immer im Rahmen der Mitbestimmung“. Chéreau kennt, ebenso wie Tavares und Lohscheller, den Betriebsrat und die IG Metall.
Um die Arbeitsplätze zu verteidigen, ist es nötig, mit der IG Metall und dem Betriebsrat zu brechen, unabhängige Aktionskomitees in den Betrieben aufbauen und Kontakt zu den Kollegen in den französischen und allen andern PSA-, Opel- und Vauxhall-Werken sowie in anderen Autowerken und Industrien aufzunehmen. Das erfordert ein sozialistisches Programm, dass die gesellschaftlichen Bedürfnisse über die Profitinteressen der Konzerne stellt.
Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre französische Schwesterpartei, der Parti de l’égalité socialiste, laden die Kollegen von Opel und PSA ein, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um diese Fragen zu diskutieren und die internationale Zusammenarbeit zu organisieren. Lest die World Socialist Web Site und den Newsletter „Autoarbeiter-Info“.