Ein gutes halbes Jahr nach der Übernahme des Opel-Vauxhall-Konzerns durch den französischen Autobauer PSA nehmen die Angriffe auf die Beschäftigten in Europa immer deutlichere Formen an. Hinter dem Rücken der Belegschaften arbeiten IG Metall, Betriebsrat und Opel-Vorstand zielstrebig und mit hohem Tempo an der Sanierung des Autobauers auf Kosten der Beschäftigten.
Die Offensive des Konzerns gegen Löhne und Arbeitsplätze folgt dem Sanierungsplan „Pace“ (Tempo), der im November 2017 von Opel-Chef Michael Lohscheller vorgestellt wurde. Gemäß dieses Plans sollen die Kosten pro hergestelltem Auto um 700 Euro gesenkt, die gesamte Produktionspalette „verschlankt“ und Synergien in Milliardenhöhe genutzt werden, und dies alles in kürzester Zeit. Der Plan sieht vor, die Produktion auf Elektromobilität umzustellen sowie sämtliche Prozesse zu vereinfachen und den Anteil der Verwaltungskosten am Umsatz deutlich zu senken.
Was das konkret für die einzelnen Werke heißt, wurde und wird gegenüber den Belegschaften bewusst verschwiegen. Seit Dezember laufen die geheimen Absprachen zwischen den offiziellen Arbeitnehmervertretern und der Geschäftsleitung über das Stammwerk in Rüsselsheim sowie die Standorte Kaiserslautern und Eisenach. Parallel dazu wurde den Belegschaften Kurzarbeit verordnet, während die Leiharbeiter geschlossen vor die Tür gesetzt wurden.
Dass dies jedoch erst der Anfang ist, ließ Opel-Chef Lohscheller im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verlauten: „Wir haben mit unseren Sozialpartnern sehr schnell kurzfristige Maßnahmen wie Kurzarbeit und Vorruhestandsregelungen verabredet und dazu einen strukturierten Prozess, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir gehen jetzt gemeinsam diese Themen durch. Ich bin sehr optimistisch, dass wir das gemeinsam mit den Sozialpartnern hinkriegen.“
Als „schnelle kurzfristige Maßnahme“ werden bis zum Sommer 400 Arbeiter des Opel-Dienstleisters Rhenus SCR, die in Rüsselsheim in der Produktion eingesetzt sind, vor die Tür gesetzt. Weitere, mehrere Hundert Leiharbeiter werden durch billigere Opel-Arbeiter aus Polen oder jüngere Opel-Arbeiter aus dem Werk in Eisenach ersetzt.
Als Blaupause für den weiteren „Prozess“ dient die Erpressung der Arbeiter im spanischen Opel-Werk Figueruelas bei Saragossa. Unternehmen und Gewerkschaften stellten die Beschäftigten vor die „Wahl“: Entweder sie akzeptieren massive Lohnsenkungen oder die neue Version des Kleinwagen-Modells „Corsa“ wird an einem anderen Standort gebaut. Als sich die Beschäftigten dem entgegenstellten, drohte das Unternehmen offen: „Ab sofort werden alle Vorbereitungen für den neuen Corsa gestoppt. Das Werk in Saragossa riskiert, keine Option für Investitionen in neue Modelle zu sein.“
Nach Verhandlungen zwischen Werks-Management und Gewerkschaften, die laut Opel-Pressemitteilung „partnerschaftlich“ verliefen, wurde eine Rahmenvereinbarung mit fünfjähriger Laufzeit unterzeichnet, die das Unternehmen ausdrücklich als Teil des „Pace“-Sanierungsplans bezeichnete. Im Kern senkt die Vereinbarung die Löhne entsprechend der Vorgaben von PSA. Unternehmen und Gewerkschaften einigten sich zudem darauf, die variable Vergütung zusammenzustreichen und an die Gewinne des Unternehmens zu koppeln. Gleichzeitig wird die Arbeitszeit erhöht. Trotz des massiven Drucks, der insbesondere von den Mehrheitsgewerkschaften UGT, CCOO und ACUMAGME auf die Belegschaft ausgeübt wurde, stimmte letztlich nur eine hauchdünne Mehrheit für die Annahme der Vereinbarung.
Vor diesem Hintergrund müssen die jüngsten Äußerungen von Opel-Vorstand Lohscheller von den Beschäftigten in ganz Europa als ernste Warnung verstanden werden. Gegenüber der dpa erklärte er: „Wir müssen unsere Arbeitskosten senken und wir wollen das sozial verträglich lösen. Wir müssen für jeden Standort individuelle Lösungen finden.“
„In Spanien haben wir eine Vereinbarung gefunden und dann investieren wir dort auch“, so Lohscheller weiter. „Wir versuchen jetzt, Werk für Werk, Standort für Standort, die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, so dass wir dann entsprechend investieren können.“
Im Klartext kann dies nur bedeuten, dass in den europäischen Werken tausende Arbeitsplätze zerschlagen werden. Die Arbeiter werden von Standort zu Standort erpresst. Die Gewerkschaften sorgen dafür, dass sich kein werks- und länderübergreifender Kampf entwickelt, und setzen die Angriffe durch.
Im Werk der britischen Opel-Schwester Vauxhall in Ellesmere Port sind seit der Übernahme durch PSA bereits 650 der verbliebenen 1.600 Arbeitsplätze gestrichen worden. In den besten Zeiten standen dort 12.000 Arbeiter in Lohn und Brot. Dem Werk steht ein ähnliches Schicksal bevor wie dem Opel-Standort in Bochum, der 2014 geschlossen wurde.
An den deutschen Standorten Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach geht bei den Beschäftigten die Angst um. Das Komponentenwerk in Kaiserslautern ist durch die Umstellung auf Elektroantriebe bedroht.
Insbesondere der Standort Eisenach gilt als akut gefährdet. Vor zwei Wochen gab das Opel-Management bekannt, dass die Produktion des Modells „Corsa“ dort komplett eingestellt wird. Zwar gab der Opel-Vorstand vage Absichtserklärungen, im thüringischen Werk ein Geländewagen auf einer PSA-Plattform produzieren zu wollen. Doch in Fachkreisen gilt die Auslastung von Produktionsanlagen mit nur einem Modell als ineffizient. „Nach meiner Einschätzung ist das Werk dem Tode geweiht“, so der Autoexperte der Uni Duisburg-Essen, Ferdinand Dudenhöffer.
Aber auch am Stammwerk in Rüsselsheim droht der Kahlschlag. Im Zentrum steht dort das Entwicklungszentrum, in dem derzeit noch über 7000 Beschäftigte arbeiten. Die Opel-Modelle sollen künftig auf nur zwei PSA-Plattformen aufgebaut sein, die Zahl der Motoren von bisher zehn auf nur vier schrumpfen, die zudem auf PSA-Technik basieren. Den Beschäftigten sei laut FAZ nicht klar, „wie viele Fachleute letztlich wegen der Übernahme gehen müssen und wie es in der Produktion weitergeht, wenn künftig jedes Opel-Modell ein mehr oder weniger modifizierter Peugeot sein wird“.
Für die Techniker und Ingenieure herrscht bis einschließlich Juni Kurzarbeit. Die Älteren werden über Vorruhestandsregelungen und Altersteilzeit aus dem Konzern gedrängt. Ein Opel-Beschäftigter aus Rüsselsheim berichtete der WSWS, dass der Betriebsrat auf die vertraglich festgeschriebene Vereinbarung verzichtet, für jeden ausgeschiedenen älteren Beschäftigten des Entwicklungszentrums einen neuen einzustellen.
IG Metall und Betriebsräte lassen von den laufenden Verhandlungen ebenso wenig nach außen dringen wie der Opel-Vorstand. Laut dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats Wolfgang Schäfer-Klug beinhaltet der aktuell gültige Tarifvertrag jedoch bereits Zusagen der IG Metall, bis 2020 270 Millionen Euro einzusparen. „Der einzige, der nicht geliefert hat, ist das Unternehmen. Das Management muss jetzt endlich einen Plan vorlegen.“
Die Frage drängt sich auf, was genau die IG Metall geliefert hat. Warum kann Schäfer-Klug die Einsparungssumme so genau beziffern, wenn zwischen Gewerkschaft, Betriebsrat und Opel-Vorstand nicht längst Details zur Sanierung des Konzerns und zu den damit verbundenen Angriffen auf die Beschäftigen ausgehandelt wurden? Opel-Arbeiter haben ein Recht darauf, alle sie betreffenden Verträge vorgelegt zu bekommen. Die IG Metall verweigert ihnen jedoch nicht nur dieses Recht, sondern auch Einblick in die Verhandlungen, die hinter verschlossenen Türen über die Zukunft tausender Arbeitsplätze geführt werden.