Der nächtliche Überfall von mehreren Hundertschaften Polizei auf ein Flüchtlingslager in Ellwangen war eine gezielte staatliche Provokation, um jeden einzuschüchtern, der es wagt, sich den aggressiven und teils illegalen Abschiebemaßnahmen der Behörden entgegenzustellen.
Anfang vergangener Woche hatten etwa 50 Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der baden-württembergischen Kleinstadt durch Proteste verhindert, dass ein junger Flüchtling aus Togo aus ihrer Mitte heraus abgeholt und deportiert wurde. Zu Gewalt kam es dabei nach einhelliger Aussage von Augenzeugen (siehe Video) nicht.
Drei Tage später stürmten fünf Hundertschaften schwer bewaffneter und vermummter Polizei- und Sondereinsatzkräfte die Unterkunft. In Gestapo-Manier traten sie in den frühen Morgenstunden die Türen der Unterkunft ein, rissen die überraschten Bewohner aus dem Schlaf, legten ihnen Handfesseln an und zwangen sie nach draußen.
Bilder, Video-Clips und Aussagen der Betroffen machen deutlich, dass der brutale Polizeiterror vor allem das Ziel hatte, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Bilder der maskierten Sturmtruppen, die hilflose Flüchtlinge zu Boden bringen, sollen nicht nur Asylsuchende abschrecken, sondern auch Millionen Menschen einschüchtern, die nach wie vor solidarisch mit den Schwächsten der Gesellschaft sind.
Der Widerstand gegen die brutale Abschiebungspolitik der Bundes- und Landesregierungen ist trotz ausländerfeindlicher Medienhetze groß. Demonstrationen, Proteste und Blockaden zur Verteidigung von Flüchtlingen häufen sich. Allein am Frankfurter Flughafen weigerten sich im letzten Jahr 237 Mal Piloten, Abschiebungen durchzuführen.
Immer wieder kommt es zu spontanen Initiativen gegen Abschiebungen. Im vergangen Jahr stellten sich in Nürnberg 300 Schüler Polizisten entgegen, die einen Mitschüler deportieren wollten. Im vergangen Monat verhinderten mutige Nachbarn im hessischen Witzenhausen, dass ein Flüchtling, dessen Asylverfahren noch nicht entschieden war, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeschoben wurde.
In der Bevölkerung regt sich nicht nur Widerstand gegen die restriktive Asylpolitik und brutale Abschiebepraxis, sondern auch gegen die Kriegspolitik der Regierung und die massive militärische Aufrüstung. Die überwiegende Mehrheit ist gegen die von der Bundesregierung geplante drastische Erhöhung der Rüstungsausgaben und die damit verbundenen Einschnitte im sozialen Bereich. Die ausgedehnten Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie und im öffentlichen Dienst waren erste Anzeichen verschärfter Klassenkämpfe.
Dieser wachsende Widerstand soll eingeschüchtert und im Keim erstickt werden. Deshalb wurde im Flüchtlingslager Ellwangen ein Exempel statuiert. Die Botschaft lautet: ‚Ziviler Ungehorsam wird nicht mehr akzeptiert, geschweige denn militantere Formen von Protest und Widerstand. Wer sich mit Opfern staatlicher Willkür solidarisiert und Anordnungen der Obrigkeit nicht Folge leistet, wird gnadenlos verfolgt.‘
Dabei war die Abschiebung des 23-jährigen Asylbewerbers aus Togo unrechtmäßig, weil ein Eilantrag dagegen vom Verwaltungsgericht Stuttgart noch nicht entschieden war. Das teilte sein Stuttgarter Rechtsanwalt mit, der deshalb Verfassungsklage gegen das Land Baden-Württemberg einreichen will.
Doch das hindert Medien und Politiker aller Parteien nicht daran, den Ellwanger Polizeiterror zu unterstützen, hysterisch nach dem starken Staat zu rufen und elementare demokratische Grundrechte zu missachten.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt beschimpft Flüchtlingshelfer und Rechtsanwälte als „Anti-Abschiebe-Industrie“, die gegen den gesellschaftlichen Frieden arbeite und die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiere. Innenminister Horst Seehofer (CSU) bezeichnet den Protest der Flüchtlinge als „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“ und verkündet, es könne nicht länger hingenommen werden, dass „fast jeder zweite Asylbescheid vor Gericht landet“.
Der Innenminister will den Bau von sogenannten „Ankerzentren“ beschleunigen, in denen Asylbewerber kaserniert und konzentriert werden. Solche Lager hatte es bereits Anfang der zwanziger Jahre in der Weimarer Republik gegeben, wie der Freitag vor drei Jahren berichtete. Sie dienten damals als „Abschiebelager für jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa“ und wurden offiziell als „Konzentrationslager“ bezeichnet. Welchen Zweck solche Lager später unter den Nazis erfüllten, ist bekannt.
Auch die Grünen, die in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen, die SPD, die FDP und die Linke empörten sich in AfD-Manier über die Flüchtlinge, die sich mit einem der ihren solidarisiert haben.
Wie schon so oft in der deutschen Geschichte zeigt sich, wie dünn die demokratische Fassade ist. Bei der ersten Erschütterung wird die hässliche Fratze des Obrigkeitsstaates sichtbar. Die Zeiten, in denen Schülern Zivilcourage gelehrt und Schulen nach Sophie Scholl benannt wurden, ist vorbei. Selbst Mahatma Gandhi, obwohl zu strikte Gewaltlosigkeit verpflichtet, ist out. Geht es so weiter, verschwindet bald nicht nur Bertolt Brecht vom Lehrplan, sondern auch Friedrich Schiller. Wer sich, wie Schillers Wilhelm Tell, nicht vor Gesslers Hut beugt, gilt als Verbrecher.
Die Verleumdung und Verfolgung von Flüchtlingen dient in ganz Europa und auch in den USA dazu, grundlegende demokratische Rechte ohne Skrupel über den Haufen zu werfen. In Österreich hat die konservative Volkspartei zu diesem Zweck die rechtsextreme FPÖ in die Regierung geholt. In Deutschland übernimmt die Große Koalition die Politik der AfD.
Der Grund für diesen Rechtsruck ist die tiefe Krise der kapitalistischen Gesellschaft. Dieselbe Regierung, die große Energie darauf verwendet, Flüchtlinge zurück in ihre von Kriegen zerstörten Dörfer und Städte zu schicken, arbeitet intensiv daran, neue Waffensysteme anzuschaffen, um an der nächsten Runde der militärischen Zerstörung beteiligt zu sein.
Militarismus und wachsende soziale Ungleichheit vertragen sich nicht mit Demokratie. Weil der Widerstand gegen diese reaktionäre Politik wächst, wird ein Polizeistaat aufgebaut, der sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern gegen die gesamte Arbeiterklasse richtet.
Die Sozialistische Gleichheitspartei kämpft gegen alle Versuche, die Arbeiterklasse zu spalten, und verteidigt die Rechte von Flüchtlingen. Nur wenn alle Arbeiter unabhängig von Nationalität, Hautfarbe oder Religion sich zusammenschließen und über alle nationalen Grenzen hinweg vereinen, ist ein gemeinsamer Kampf gegen Kapitalismus und Krieg möglich.