Abschiebung an Nürnberger Berufsschule: Polizei prügelt Protest nieder

Am Mittwochvormittag ist es an einer Nürnberger Berufsschule zu einem brutalen Polizeieinsatz gekommen, als Polizeibeamte versuchten, einen Schüler aus Afghanistan in Abschiebehaft zu nehmen, um ihn anschließend zu deportieren.

Kurz nach acht Uhr morgens holten mehrere Polizeibeamte den 21-jährige Asef N. an der Beruflichen Schule 11 aus dem laufenden Unterricht. Noch am selben Abend sollte er mit einem Sammelflieger gemeinsam mit anderen abgelehnten afghanischen Asylbewerbern nach Kabul geflogen werden.

Die Nachricht von der überraschenden Abschiebung machte an der Schule in kürzester Zeit die Runde. Der Polizeiwagen, in dem der 21-Jährige abgeführt werden sollte, stand noch vor der Schule, als erste Mitschüler spontan eine Sitzblockade organisierten. Sie besetzten die Straße vor und hinter dem Wagen und riefen: „Kein Mensch ist illegal! Bleiberecht, überall!“

Über Facebook und Twitter verbreitete sich die Nachricht über die Abschiebung des Schülers in Windeseile. Aus anderen Klassen strömten Schüler nach draußen, auch Anwohner solidarisierten sich mit der Blockade des Polizeiwagens. Flüchtlingshilfeorganisationen gaben die Nachricht online weiter und riefen Menschen in der Umgebung auf, zur Schule zu kommen und zu protestieren. Insgesamt beteiligten sich etwa 300 Menschen spontan an dem Protest.

Die Polizei reagierte mit Eskalation. Als absehbar war, dass der Polizeiwagen wegen der Sitzblockaden nicht von der Stelle kommen würde, zerrten die Beamten Asef gegen seinen Widerstand aus dem Auto, um ihn in ein anderes Fahrzeug zu bringen. Einige Demonstranten versuchten, das zu verhindern und ihrem Mitschüler zu Hilfe zu kommen.

Die Polizei, inzwischen mit schwer gepanzerten Einsatzkräften des Unterstützungskommandos (USK) vor Ort, ging mit Schlägen und Tritten gegen die Schüler vor. Der von mehreren Polizisten festgehaltene Asef ging zu Boden und wurde an Händen und Füßen mehrere Meter über den Bürgersteig und den angrenzenden Rasen geschleift. Die Polizei räumte rigoros den Weg frei. Wer Asef zu Hilfe kommen wollte, wurde von anderen Polizisten weggezerrt, geschubst und mit Schlagstöcken und Pfefferspray traktiert.

Auf die Demonstranten, die sich zur Sitzblockade formiert hatten, ließ die Polizei einen Hund mit Maulkorb los. Einer der Demonstranten verließ den Ort mit blutüberströmtem Gesicht – eine Folge des Schlagstockeinsatzes, den die Polizei nach eigenen Angaben nur zu ihrer eigenen Verteidigung durchgeführt haben will.

Von Seiten der Polizei heißt es, Demonstranten seien nicht verletzt worden; dagegen habe es unter den Polizeibeamten neun Verletzte gegeben, einer habe einen Zahn verloren. Fünf Demonstranten seien vorübergehend festgenommen worden. Auch gegen Asef N. werde jetzt ermittelt, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Viele der anwesenden Schüler waren schockiert über das brutale Vorgehen der Polizei. „Das ist schon ein bisschen extrem“, sagte ein Schüler namens Erik zu Fernsehreportern. „Nur um einem Menschen zu helfen, dass er nicht abgeschoben wird, gehen die so radikal dran und verletzen noch andere Menschen dabei. Man sieht ja, ziemlich viele haben hier alles abbekommen, Pfefferspray, denen wurde ins Gesicht geschlagen“, beschrieb er die Situation.

„Nach meinem Gefühl kamen extreme Aggressionen schon auch durch die Polizei raus, die uns doch eher weniger vorsichtig aus dem Weg geräumt hat, so dass jetzt auch einige Blessuren davongetragen haben“, erklärte Theresa, eine andere Schülerin.

Jörg Weißgerber, der in der Klasse von Asef einen Vortrag über Migration halten sollte und die Übergriffe der Polizei beobachtete, erklärte gegenüber Spiegel Online: „Die Gewalt ging eindeutig von der Polizei aus. Ich habe schon viele Demos gesehen, aber dass Polizisten mit solch unverhältnismäßiger Härte gegen friedliche Schüler vorgehen, habe ich noch nicht erlebt. Das hat mich schockiert.“

Dass angeblich kein Demonstrant verletzt worden sein soll, kann Weißgerber sich nur so erklären: „Wie soll man denn bei jemandem, der einen gerade angegriffen hat, eine Verletzung melden?“

Der 21-jährige Asef galt an der Beruflichen Schule 11 in Nürnberg als gut integriert. Er lebt seit vier Jahren in Deutschland und hatte, wie es an der Schule heißt, sogar Aussicht auf einen Ausbildungsplatz als Schreiner. Auch seine Deutschkenntnisse waren offenbar gut. Umso schockierter waren Mitschüler und Lehrer, als er zur Abschiebung abgeholt wurde. Die Schule, deren Schwerpunkt auf Bau-, Farb- und Holzberufen liegt, setzt sich seit längerem für die Integration von geflüchteten Jugendlichen ein und wurde dafür auch schon ausgezeichnet.

„Es lag ein rechtskräftiger Abschiebebeschluss vor. Dieser musste vollzogen werden, weil das Flugzeug von Frankfurt heute Abend starten hätte sollen. Deswegen musste der betroffene Afghane hier in Nürnberg in Gewahrsam genommen werden und zur Abschiebung nach Frankfurt gebracht werden“, erklärte Polizeisprecher Bert Rauenbusch die Aktion, als handle es sich bei einer Abschiebung um einen bloßen Verwaltungsakt.

Der Berufsschüler gehört zu einigen dutzend afghanischen Männern, die mit der insgesamt sechsten Sammelabschiebung in den letzten Monate nach Kabul deportiert werden sollten.

Nach dem massiven Selbstmordanschlag mit über 90 Toten am Mittwochmorgen in Kabul setzte Innenminister Thomas de Maizière den Abschiebeflug schließlich aus. Das geschah jedoch keineswegs aus humanitären Gründen, wie der CDU-Politiker versicherte. Vielmehr sei die deutsche Botschaft in Kabul wegen der Folgen des Anschlags im Augenblick nicht in der Lage, die bürokratischen Formalitäten für die Ankunft des Fluges zu erledigen. Sobald es möglich sei, werde der Flieger aber starten.

Die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung, dass Afghanistan ein „sicheres Herkunftsland“ sei, habe sich auch durch den Anschlag nicht geändert, betonte de Maizière. Diese Haltung bekräftigte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Am Donnerstagabend, nachdem der Polizeieinsatz in Nürnberg bundesweit Empörung ausgelöst hatte, gab Merkel dann bekannt, sie habe sich mit den Ministerpräsidenten der Länder darauf geeinigt, Abschiebungen nach Afghanistan bis Juli auszusetzen. Bis dahin soll das Auswärtige Amt eine neue Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan vornehmen.

Das Abschiebemoratorium hat allerdings zahlreiche Ausnahmen: Straftäter, terroristische Gefährder sowie abgelehnte Asylbewerber, die sich hartnäckig einer Identitätsfeststellung verweigern, können auch weiterhin abgeschoben werden. Da bereits Widerstand gegen eine Festnahme oder Verheimlichung der Identität als Straftatbestand gelten, betrifft das praktisch jeden.

Dass Polizei und Ausländerbehörden abgelehnte jugendliche Asylbewerber vor den Augen ihrer Mitschüler und Lehrer aus der Schule holen, ist beileibe kein Einzelfall. Erst am Montag wurde im Duisburger Steinbart-Gymnasium die 14-jährige Bivsi R. aus dem Unterricht geholt, wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung berichtete. Im Lehrerzimmer erfuhr die weinende Neuntklässlerin, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern noch am selben Abend nach Nepal abgeschoben werde.

Dabei ist Bivsi in Deutschland geboren und hat ihr gesamtes bisheriges Leben hier verbracht. Die schockierten Mitschüler mussten von einem eigens gerufenen Notarzt und einem anwesenden Religionslehrer beruhigt werden. Auch der Schulleiter zeigte sich fassungslos. Am Montagabend wurde die Familie vom Flughafen Frankfurt aus abgeschoben.

Das Vorgehen der Behörden und der Polizei in Nürnberg und Duisburg zeigen, wie verlogen die Kritik deutscher Parteien an der rechten Politik von US-Präsident Donald Trump ist. Seit Trumps Amtsantritt im Januar haben Beamte der US-Einwanderungsbehörden tausende Migranten teils auf offener Straße angehalten, festgesetzt und abgeschoben. Währenddessen rühmen sich alle Bundestagsparteien, Deutschland stehe im Unterschied zu den brutalen Methoden der USA für eine „humane“ Abschiebepolitik, prüfe jeden konkreten Fall einzeln und schiebe nur in vermeintlich „sichere Herkunftsländer“ ab. Die Ereignisse der letzten Tage strafen diese Behauptungen Lügen.

Gestern Nachmittag wurde bekannt, dass der junge Asef zunächst nicht in Abschiebehaft genommen werden darf. Vor Gericht unterlag die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von Mittelfranken mit ihrem Antrag gegen den jungen Afghanen. Das Gericht entschied, es gebe für eine Inhaftierung keinerlei Anlass. Vor dem Gerichtsgebäude wurde Asef von zwei dutzend jubelnden Mitschülern empfangen.

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