Am 15. Dezember, eine Woche vor Weihnachten, wurde die Familie Ajazaj um drei Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen. Polizeibeamte standen vor ihrer Wohnungstür in Berlin-Lichtenrade und verlangten, dass sie das Nötigste packen. Vor der Tür wartete bereits der Transporter, der die Eltern mit ihren drei Töchtern, der achtjährigen Klara, der vierjährigen Lejman und der erst sechs Monate alten Carolina, um kurz vor fünf Uhr zum Flughafen Schönfeld fuhr. Um 8.30 Uhr startete der Sammelflieger in Richtung Tirana, der albanischen Hauptstadt.
Die Familie lebte seit Februar 2015 in Deutschland. Nach der Ablehnung ihres Asylantrags erhielt sie 2016 eine Duldung. Der 31-jährige Xhezo Ajazaj machte sich als Fliesenleger in seiner Firma einen guten Namen. Seine 29-jährige Frau Artjola hatte eine Ausbildung als Altenpflegerin in Aussicht. Klara, die in die dritte Klasse der Käthe-Kollwitz-Grundschule ging, und ihre Schwester Lejman sprachen laut Betreuer meist besser Deutsch als Albanisch.
Doch Integrationsbemühungen nützten der Familie nichts. Selbst ein Votum der Berliner Härtefallkommission für ein Bleiberecht lehnte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) strikt ab. Er erklärte, „geltendes Recht“ müsse umgesetzt werden. Er verteidigte auch ausdrücklich den nächtlichen Überfall.
Nachbarn und Freunde der Familie, darunter der Bauleiter, für den Xhezo Ajazaj arbeitete, haben wütend gegen das brutale Vorgehen der Senatskoalition von SPD, Linken und Grünen protestiert. Für eine Petition gegen die Abschiebung auf der Internet-Plattform change.org, die sich an die Ausländerbehörde und Innensenator Geisel richtet, gingen in den letzten zwei Wochen bereits 2000 Unterschriften ein.
Die Abschiebung bestätigte, wie menschenverachtend auch die Berliner rot-rot-grüne Koalition mit Flüchtlingen umgeht. Die Linkspartei, die die Senatorin für Soziales und Integration (Elke Breitenbach) stellt, und die Grünen spielen eine ausgesprochen üble Rolle. Sie kritisieren zwar die Vorgehensweise, stimmen aber in der Sache überein.
Der innenpolitische Sprecher der Linkspartei, Hakan Taş, empörte sich, dass selbst der ehemalige Innensenator Henkel von der CDU keine Abschiebung im Winter organisiert habe. Katina Schubert, die Vorsitzende der Berliner Linkspartei, twitterte lapidar, die Abschiebung widerspreche „dem Geist der Koalitionsvereinbarung“ und einer „menschenrechtsbasierten Integrationspolitik“. Der Innensenator habe „Handlungsspielräume“ nicht genutzt.
Die Grünen-Abgeordnete und Anwältin für Migrationsrecht, Canan Bayram, klagte, „um drei Uhr jemanden aus der Wohnung zu holen“, sei nicht erlaubt und nicht „mit dem Koalitionsvertrag vereinbar“. Nach den Erfahrungen der NS-Zeit, als „Menschen nachts abgeholt und deportiert wurden“, habe man sich entschlossen, „keine staatlichen Maßnahmen vor sechs Uhr“ durchzuführen.
Tatsache ist, dass weder Linkspartei noch Grüne die Abschiebung verhindert haben. Ihre Kritik dient lediglich als Feigenblatt für die reaktionäre Politik der SPD, um die Opposition stillzuhalten und in harmlose Kanäle von Bittbriefen zu lenken.
Der rot-rot-grüne Berliner Senat hat zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt 1427 Menschen abgeschoben: 632 nach Moldau, 150 nach Albanien, 101 nach Kosovo und – trotz Protesten von Pro Asyl – 19 in den Irak, wo Krieg herrscht. Im November kamen weitere 122 Menschen hinzu und die Zahl stieg auf 1549. Die Bekanntgabe der Abschiebungen im Dezember steht noch aus.
Bundesweit wurden bis Oktober über 22.000 Menschen abgeschoben. Hinzu kamen mehrere Zehntausend sogenannte „freiwillige“ Ausreisen. Betroffen waren vor allem Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“. Als solche werden unter anderem die Balkan-Länder bezeichnet, darunter das Nato-Land Albanien oder auch das ehemals zu Jugoslawien gehörende Kosovo. Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Ländern werden rundweg abgelehnt.
Aber auch in das immer wieder von tödlichen Anschlägen erschütterte Afghanistan, das bisher nicht als sicheres Herkunftsland gilt, lässt Bundesinnenminister de Maizière (CDU) Flüchtlinge zurückfliegen. Angeblich geht es um Straftäter, sogenannte „Gefährder“. In Wahrheit sitzen in den Sammelfliegern viele unbescholtene Menschen, die bereits jahrelang in Deutschland leben und noch nicht einmal kleine Verkehrsdelikte begangen haben.
Die Berliner rot-rot-grüne Landesregierung, die seit gut einem Jahr im Amt ist, hat eine Beteiligung an den Sammelabschiebungen nach Afghanistan bisher abgelehnt. Im Moment diskutieren die Koalitionäre jedoch darüber, dies für angebliche „Gefährder“ aus Berlin zu ändern.
Gleichzeitig arbeitet der Senat eng mit der Ausländerbehörde zusammen, um möglichst viele Flüchtlinge zur „freiwilligen Rückkehr“ zu drängen, sobald ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Darunter befinden sich auch Afghanen. Im Koalitionsprogramm von SPD, Linken und Grünen wurde diese „Rückkehr“-Politik als angeblich humanere Alternative zu zwangsweisen Abschiebungen beschlossen.
Wenn man die vielen Menschen berücksichtigt, die sich zur Rückreise überreden lassen, um eine Zwangsabschiebung zu vermeiden, steigt die Zahl der „Rückführungen“ aus Berlin im Jahr 2017 auf weit mehr als das Doppelte.
Der Berliner Senat schlägt immer offener denselben rassistischen Kurs wie die noch amtierende schwarz-rote Bundesregierung ein und betreibt eine gezielte „Ausländer raus“-Politik. Dies zeigt auch ein Papier aus der Senatsinnenverwaltung, über das die Berliner Morgenpost Ende November berichtete.
Gemeinsam mit den Innensenatoren aus Bremen und Hamburg, beide ebenfalls SPD, will Geisel eine Verlängerung der Wohnsitzauflagen für Flüchtlinge durchsetzen. Sie verbieten Flüchtlingen das Verlassen der zugewiesenen Wohnorte. Die gesetzliche Regelung läuft im August 2019 aus. Die SPD-Senatoren behaupten, der Wegfall der Wohnsitzbeschränkung würde zum vermehrten Zuzug von Flüchtlingen in diese Städte führen und die Sozialkassen überbelasten.
Es ist der Versuch seitens der SPD, die verarmten Teile der Berliner Bevölkerung, die von Hartz-IV und anderen Sozialleistungen abhängig ist, gegen Menschen aufzuhetzen, die vor Krieg und Elend fliehen und gerade in den Großstädten bisher große Solidarität erfahren haben.