Frankfurt Airport: Demonstration gegen Abschiebungen

Am Abend des 6. Dezember wurden wieder afghanische Flüchtlinge nach Kabul ausgeflogen. Am Rhein-Main Flughafen demonstrierten mehrere Hundert gegen die Sammelabschiebung in das Kriegsgebiet.

Erneut protestierten zwischen 800 und 1000 Demonstrierende für ein Bleiberecht für alle. „No border, no nation – stop deportation!“ hallte es durch das Terminal 1, und: „Say it loud, say it clear: refugees are welcome here!“

Wenige Stunden zuvor hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärt, die Regierung halte an Abschiebungen nach Afghanistan fest. Seit einem Jahr organisiert die Bundesregierung jetzt diese unmenschlichen Deportationen. Seit Dezember 2016 hat Deutschland 128 Männer in sieben Sammelabschiebungen nach Afghanistan abgeschoben.

Am gleichen Mittwoch sollte noch ein weiterer Abschiebeflug nach Pakistan starten. Und mittlerweile soll es sogar Abschiebungen nach Syrien geben.

Für das Geschehen auf Rhein-Main ist die hessische Landesregierung verantwortlich, in der die Grünen sitzen. Ein großes Transparent mit der Aufschrift: „Grüne in Hessen, wir schieben ab“ wird durch die Halle getragen.

„Es reicht!“ ruft Sarmina Stuman vom „Afghan Refugee Movement“, das zur Demonstration aufgerufen hat. „Seit einem Jahr protestieren wir nun schon gegen diese Sammelabschiebungen. Nach Afghanistan abzuschieben, bedeutet in den Tod abzuschieben.“ Sie erinnert daran, dass zuletzt sogar der Flughafen Kabul bombardiert worden ist. „Die US Army erhöht ihre Truppenzahlen, und auch die Bundeswehr ist dort schon seit über 15 Jahren im Kriegseinsatz.“

Allein die USA hätten in diesem Jahr von Januar bis September in Afghanistan durchschnittlich täglich elf Bomben abgeworfen. „Das sind insgesamt 3238 Bomben in nur neun Monaten, nicht zu vergessen der Abwurf der MOAB, der größten nicht-nuklearen Bombe überhaupt“, so Sarmina. „Hört sich das nach einer Friedensmission an?“ Die Bomben der anderen Truppen seien darin noch gar nicht mitgezählt, und auch nicht „die Anschläge, Entführungen, Köpfungen, Bodenkämpfe, und und und …“

Zurzeit werden angeblich nur „Straftäter“, so genannte „Gefährder“ und Menschen abgeschoben, die „sich der Identitätsfeststellung verweigern“. Das können allerdings auch schon Menschen sein, die schwarzgefahren sind, weil sie kein Geld für einen Fahrschein hatten, oder die die ihnen zugewiesene Region verlassen haben. „Zudem sitzen auch immer Menschen mit im Flieger“, sagt Sina Mierendorf von Noborder Frankfurt, „die sich überhaupt nichts zu Schulden haben kommen lassen“.

Dazu sagt Ramin Mohabat unter Applaus: „Auch das Leben von Leuten, die Straftaten begangen haben, ist schützenswert. Warum muss man sie nach Afghanistan abschieben? Seit 16 Jahren herrscht dort Krieg.“ Er berichtet, dass ein Bekannter von ihm, der aus Europa zurückgekehrt war, auf dem Weg von Kabul nach Herat von Taliban-Kämpfern aus dem Bus gezerrt und enthauptet worden sei, weil er bartlos und westlich gekleidet war.

Ramin ist Journalist, er hat eine Menge Material über die Zustände in Afghanistan mitgebracht, aber wie er sagt, wollte der Anhörer vom BAMF davon nichts sehen und hören. Auch Ramin hat zuerst einen Abschiebebescheid erhalten. „Alle jungen Flüchtlinge aus Afghanistan bekommen jetzt Abschiebebescheide!“ sagt Ramin. Er selbst habe dies „nur durch die öffentliche Kampagne“ ändern können.

Inzwischen bewegt sich die lange und laute Demonstration kreuz und quer durch den Flughafen. Viele tragen selbst geschriebene Protestplakate, deren Sprüche die Absurdität der Situation deutlich machen, wie zum Beispiel: „Afghanistan ist sicher, und die Erde ist eine Scheibe“.

Nicht allzu viele Reisende reagieren. Ein jüngerer Mann, der auf mehreren Koffern sitzt, schaut interessiert und sagt: „Ich bin auf eurer Seite. Das mit den Abschiebungen ist nicht richtig.“ Andere lassen sich auf Englisch erklären, worum es geht.

Mehrere Flugkapitäne bleiben stehen und beobachten den Zug. Wie der WDR vor kurzem berichtet hat, verweigern schon viele Piloten die Abschiebeflüge. Bundesweit soll es bis September 222 Fälle gegeben haben, in denen Piloten sich weigerten, Flüchtlinge abzuschieben.

Die Demonstration legt mehrere Zwischenstopps ein, und die Berichte der jungen Afghanen, die jetzt ans Mikrophon treten, bestätigen, was Ramin gesagt hat: Zurzeit bekommen die jungen Männer offenbar wahllos Ablehnungsbescheide.

Ein 18-Jähriger berichtet in gutem Deutsch, er lebe seit zwei Jahren in Hessen, habe sich selbst Arbeit und Sprachunterricht organisiert und zuletzt begonnen, Fahrunterricht zu nehmen. „Vor zwei Monaten habe ich den Ablehnungsbescheid bekommen. Da ist eine Welt zusammengebrochen.“ Hassan, ein weiterer Sprecher, sagt, er habe überhaupt erst in Deutschland Schulunterricht erhalten können. „Erst hier habe ich eine Zukunft bekommen. Wenn man mich jetzt nach Afghanistan abschiebt, dann ist das für mich ein total fremdes Land.“

Jeremias, ein Kapuziner im Habit, der den bayrischen Flüchtlingsrat vertritt, ergreift das Mikrophon. Der bayrische Innenminister Joachim Hermann (CSU) wirft dem Flüchtlingsrat zurzeit vor, er rate Geflüchteten zum Untertauchen. Auf seiner Website erklärt der Rat, er lehne „strikt Abschiebungen nach Afghanistan ab und sieht es daher als seine Aufgabe an, betroffene Geflüchtete vor einer Abschiebung zu warnen und zu beraten“.

Jeremias spricht über einen jungen Mann, Afghane aus Bayreuth, der am selben Morgen um neun Uhr auf Einladung bei der Zentralen Ausländerbehörde vorgesprochen hat und sofort festgenommen wurde, um an diesem Abend abgeschoben zu werden. Er sei aber weder Straftäter noch „Gefährder“. Nicht einmal seine Papiere, die ihm rechtmäßig zustehen, habe er mitnehmen können.

Jeremias berichtet von einer syrischen Familie, die nur deshalb nicht abgeschoben wurde, weil sich ein ungarischer Flugkapitän weigerte, sie mitzunehmen. Wie sie erzählt hätten, sei die Polizei „im Morgengrauen um sechs Uhr gekommen“, um sie abzuholen.

Das alles, so Jeremias, erinnere ihn stark an das Dritte Reich. „Was ist denn damals mit den Juden passiert? Sie wurden in den frühen Morgenstunden abgeholt.“ Er wolle keine übertriebenen Vergleiche ziehen, aber: „So etwas, wurde damals gesagt, dürfe nie wieder passieren. Und doch

passiert es heute wieder.“ Verantwortlich seien alle regierenden Parteien, sowohl die „mit dem C im Namen“, als auch die andern.

Als mehrere Jusos ihre Fahne der SPD-Jugendorganisation entrollen, geht einer der Organisatoren hin und fordert sie freundlich, aber bestimmt und unter zustimmenden Kommentaren der Umstehenden auf, das Banner wieder einzurollen, weil es „zu einer Partei gehört, die die Abschiebungen organisiert“.

Mareike, mit Familie und Freunden gekommen, trägt ein Schild, auf das sie geschrieben hat: „Niemand hat das Recht, zu gehorchen, wenn es um menschenverachtende Abschiebungen geht!“ Sie erzählt, dass sie schon zum vierten Mal an einer Demonstration gegen Abschiebungen teilnimmt.

„Es ist eine Schande, dass Menschen unter uns leben, die Angst haben müssen, dass sie jederzeit abgeschoben werden können.“ Sie macht sich Sorgen über die wachsende Militarisierung, die Bundeswehreinsätze und die korrupte EU- und Regierungspolitik in Afrika. „Ich denke, Gewalt, die gegen außen angewandt wird, verstärkt auch immer die Gewalt im Innern. Davon können wir uns nicht abschotten“, sagt sie. „Dafür haben wir eine Verantwortung. Die einen lässt man im Elend vor den Grenzen erfrieren und die andern im Mittelmeer ertrinken. Man bezahlt andere Regierungen, damit sie die Leute einsperren und an Sklavenhändler verkaufen. Das ist unser so genanntes Asylsystem.“

„Kein normaler Mensch hat was davon“, fährt Mareike fort. „Die einzigen, die davon profitieren, sind die Security-Industrie und die rechten Politiker.“ Das müsse sich ändern, betont sie. Sie fordert: „Wir müssen die künstlichen Grenzen, die uns von andern Menschen trennen, auflösen – ob das Nationalität ist oder Aufenthaltsstatus. Alle Menschen haben das gleiche Recht auf ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben, auf Bildung, Gesundheit und soziale Teilhabe. Deshalb ist jede Abschiebung eine Abschiebung zu viel.“

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