Der wegen Terrorverdachts festgenommene 22-jährige Syrer Dschaber al-Bakr wurde am Mittwochabend in seiner Zelle tot aufgefunden. Am Donnerstag teilte die Gefängnisleitung in Leipzig mit, der Häftling habe sich mit Hilfe seiner Gefängniskleidung an einem Zellengitter erhängt.
Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz wies der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) jede Verantwortung der zuständigen Behörden für den Tod des Häftlings zurück. Es sei bedauerlich und „hätte nicht passieren dürfen“, sagte Gemkow, doch nach seinem gegenwärtigen Wissensstand habe man von Seiten der Justizvollzugsanstalt alles getan, um einen Suizid zu verhindern. Experten hätten am Mittwoch keine akute Selbstmordgefahr festgestellt.
Der Pflichtverteidiger von al-Bakr widersprach dem und äußerte scharfe Kritik an den zuständigen Justizbehörden. „Ich bin wahnsinnig schockiert und absolut fassungslos, dass so etwas passieren kann“, sagte Rechtsanwalt Alexander Hübner in mehreren Interviews. Er sprach von einem „Justizskandal“. Das Suizid-Risiko des Beschuldigten sei den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt bekannt gewesen und auch im Protokoll vermerkt worden.
Der Krisenzustand seines Mandanten sei offensichtlich gewesen, betonte Hübner. „Er hatte bereits Lampen zerschlagen und an Steckdosen manipuliert.“ Der stellvertretende JVA-Leiter habe ihm am Mittwochnachmittag telefonisch versichert, dass der in Einzelhaft sitzende al-Bakr „ständig beobachtet“ werde. Laut Hübner befand sich der Terrorverdächtige seit seiner Festnahme im Hungerstreik. Er habe seit Sonntag nichts gegessen und getrunken.
Die Umstände des Tods von Dschaber al-Bakr werfen zahlreiche Fragen auf. Es handelte sich nicht um einen normalen Häftling, sondern um einen Terrorverdächtigen, dem vorgeworfen wurde, hochexplosiven Sprengstoff zu besitzen, in Verbindung zum Islamischen Staat zu stehen und verheerende Anschläge auf Flughäfen vorbereitet zu haben mit ähnlichen Auswirkungen wie die Anschläge von Paris und Brüssel mit über 150 Toten.
Trotzdem fand bei seiner Einlieferung ins Gefängnis kein Gespräch statt, angeblich weil kein Dolmetscher erreicht werden konnte. Er wurde nicht, wie normalerweise suizidgefährdete Häftlinge, in eine Gemeinschaftszelle gebracht, sondern in Einzelhaft genommen.
Nach einem Gespräch mit einer „sehr erfahrenen Psychologin“ am Folgetag wurde die Suizidgefahr als gering eingeschätzt und die Überwachung auf halbstündige Intervalle reduziert. Trotzdem wiederholte, wie auf der Pressekonferenz berichtet wurde, die diensthabende Justizbeamtin ihren Kontrollgang bereits nach 15 Minuten und entdeckte dabei den Toten.
Wie sich ein Gefangener, dem alle gefährlichen Gegenstände abgenommen wurden, in einer weitgehend leeren Zelle in wenigen Minuten eigenhändig strangulieren kann, so dass auch keine Reanimation mehr möglich ist, bleibt völlig unklar. Viele Angaben sind widersprüchlich und unglaubwürdig. Als bloße Schlamperei der Leipziger Justizbehörden, wie dies derzeit in Politik und Medien geschieht, lassen sie sich jedenfalls nicht erklären.
Vielmehr muss die Frage gestellt werden: Hatten die Geheimdienste auf höchster Ebene etwas zu vertuschen? Gab es im Sicherheitsapparat das Interesse, eine gerichtliche Vernehmung und eine Aussage von al-Bakr zu verhindern? Wurde deshalb seine Selbsttötungsabsicht billigend in Kauf genommen oder sogar aktiv unterstützt?
Fakt ist, dass nicht nur die Umstände des Todes von Dschaber al-Bakr, sondern auch seine Verbindungen zum Geheimdienst mysteriös sind. Nach eigenen Angaben hatte ihn der Verfassungsschutz bereits seit langer Zeit beobachtet.
Al-Bakr war im Februar 2015 in München als Flüchtling registriert worden und hatte dort Asyl beantragt. Im Juni 2015 hatte er eine auf drei Jahre befristete Anerkennung erhalten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst hatten ihn observiert, angeblich weil er im Internet nach Rezepten für eine Rohrbombe suchte.
Doch trotz Observierung konnte er offensichtlich problemlos Grenzen überqueren. Er reiste mehrmals zurück nach Syrien und hielt sich mehrere Monate in der Türkei auf.
Wie er unter den Bedingungen der Obervierung den hochexplosiven Sprengstoff TATP (Triacetontriperoxid) beschaffen konnte, ist ebenfalls völlig unklar. Laut dem sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) handelte sich um denselben Sprengstoff „wie in Paris und Brüssel“. Der Präsident des LKA Sachsen Jörg Michaelis ergänzte, vieles deute auf einen IS-Kontext hin.
Am 8. Oktober versuchte die Polizei, al-Bakr in Chemnitz festzunehmen, als er morgens das Haus im Stadtteil Kappel verließ. Die Polizisten riefen ihn an und gaben einen Warnschuss ab, ließen ihn aber entkommen. Daraufhin startete die Polizei eine groß angelegte Öffentlichkeitsfahndung mit Fotos und dem Hinweis, der Gesuchte sei höchst gefährlich und möglicherweise bewaffnet.
Die observierte Wohnung in Chemnitz wurde von Sondereinsatzkommandos gestürmt und der Sprengstoff medienwirksam gesprengt. In der Nacht zum Montag wurde Dschaber al-Bakr schließlich festgenommen. Er war unbewaffnet. Zwei syrische Landsleute, die er am Leipziger Hauptbahnhof um eine Schlafstelle gebeten hatte, hatten ihn mit nach Hause genommen und später gefesselt der Polizei übergeben.
Laut Aussage von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen war ein Anschlag auf einen Berliner Flughafen weitgehend vorbereitet und hätte binnen Tagen stattfinden können. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) verglich den Fall mit den Anschlägen in Paris und Brüssel und erklärte, dass der 22-Jährige nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Beziehungen zur Terrormiliz IS hatte.
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass auch die Attentäter von Paris und Brüssel den Sicherheitsbehörden bekannt waren, problemlos reisen konnten und ihre Terroranschläge praktisch unter den Augen des Geheimdiensts vorbereiteten.