Der grauenhafte Anschlag, der am 20. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg fünf Tote und mehr als 200 Verletzte forderte, wird von Politikern und Vertretern der Sicherheitsbehörden ausgeschlachtet, um die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten auszuweiten und einen Polizeistaat aufzubauen.
Aus dem Attentat selbst lässt sich dies nicht ableiten, denn es ist keinesfalls so, dass der mutmaßliche Täter den deutschen Behörden nicht bekannt war.
Taleb Al-Abdulmohsen war mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Bereits 2013 war er zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im Streit über die Anerkennung seiner Facharztprüfung mit einem Anschlag gedroht hatte.
Auch danach fiel er immer wieder durch wilde Drohungen auf. So berichtet der Verein Säkulare Flüchtlingshilfe, der versucht hatte, mit dem angeblichen Flüchtlingshelfer zusammenzuarbeiten, von Verleumdungen, Drohungen und Stalking gegen seine Mitglieder. Ein Prozess vor dem Landgericht Köln, den Al-Abdulmohsen im Oktober 2023 verlor, endete laut dem Flüchtlingshilfeverein damit, dass er in einem „Tobsuchtsanfall“ die Richterin bedrohte und vom Sicherheitsdienst aus dem Gerichtssaal geführt wurde.
Al-Abdulmohsen hat auch in den sozialen Medien eine breite Spur hinterlassen und seine Tat angedeutet sowie sorgfältig vorbereitet. Der saudische Geheimdienst hatte die deutschen Behörden vor ihm gewarnt. Im September 2023 sowie im Oktober 2024 besuchte ihn die Polizei und verwarnte ihn in sogenannten Gefährderansprachen.
Wenn die Sicherheitsbehörden Al-Abdulmohsen trotz der verschiedenen Vorfälle, Ankündigungen von Gewalttaten sowie Hinweisen von ausländischen Geheimdiensten gewähren ließen, war dies in erster Linie eine Folge davon, dass er nicht dem Klischee des Islamisten entsprach, sondern Sympathisant der rechtsextremen AfD und ein Islam-Hasser war.
Als solcher passte er in eine politische Atmosphäre, in der alle etablierten Parteien die Flüchtlingspolitik der AfD übernahmen und insbesondere gegen Flüchtlinge islamischen Glaubens hetzten. Obwohl sein persönliches Verhalten bereits damals auffällig war, veröffentlichten sowohl die Frankfurter Allgemeinen Zeitung und als auch die Frankfurter Rundschau 2019 Interviews mit Al-Abdulmohsen, in denen sie ihn als Fluchthelfer präsentierten, der vom Islam verfolgten Frauen beistehe. Auch die britische BBC stellte Al-Abdulmohsen und seine Website damals vor.
Am Montag, den 30. Dezember fand im Bundestag eine Sondersitzung des Innenausschusses statt, in der über den Ermittlungsstand zu der Amokfahrt in Magdeburg berichtet wurde. Eine umfassende Analyse des gesamten Geschehens und der Vorgeschichte steht weiterhin aus. Hierbei geht es um mögliche Fehler im Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes sowie um die Frage, warum Hinweise von Sicherheitsbehörden auf den Täter nicht effektiv zusammengeführt wurden.
Trotzdem nutzen zahlreiche Innenpolitiker die Gelegenheit, um erweiterte Befugnisse für die Sicherheitsbehörden und ein härteres Vorgehen gegen Geflüchtete zu fordern. Dabei sind sich Politiker von SPD und CDU, der beiden größten Fraktionen im Parlament, bereits im Wesentlichen einig, neue Möglichkeiten der Massenüberwachung durch Polizei und Geheimdienste zu schaffen. So soll eine verschärfte Version des im Oktober durch die Regierungsparteien vorgestellten Sicherheitspakets noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl auf den Weg gebracht werden.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat bereits kurz nach dem Anschlag in Magdeburg dafür plädiert, neue schärfere Gesetze zur inneren Sicherheit zu beschließen, so ein neues Bundespolizeigesetz, und die gesetzliche Möglichkeit zur biometrischen Massenüberwachung angekündigt.
Faeser forderte in einem Interview mit dem Spiegel die CDU-regierten Bundesländer auf, das bereits im Oktober von der Bundesregierung beschlossene „Sicherheitspaket“ nun nicht länger im Bundesrat zu blockieren. „All diese Gesetzentwürfe von uns könnten sofort beschlossen werden, wenn Union und FDP sich dem nicht verweigern,“ sagte die SPD-Politikerin. Um die Menschen in Deutschland vor entsetzlichen Gewalttaten zu schützen, so Faeser, „brauchen unsere Sicherheitsbehörden alle notwendigen Befugnisse und mehr Personal“.
Faesers Gesetzesinitiative vom Oktober ist, wie die WSWS damals schrieb, „ein weiterer Schritt zum Polizeistaat“. Das sogenannte „Sicherheitspaket“ schränkt das Asyl- und Aufenthaltsrecht weiter ein, verschärft das Waffenrecht und räumt der Bundespolizei und dem Verfassungsschutz mehr Vollmachten ein. So sollen etwa die Möglichkeiten zur biometrischen Überwachung ausgeweitet werden.
Die KI-gestützte Datenanalyse von im Internet veröffentlichten Bildern sowie die systematische Anwendung von biometrischen Verfahren zur Auswertung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum bedeuten faktisch das Ende der Privatsphäre und die lückenlose Überwachung der Gesamtbevölkerung.
Zu den einzusetzenden Technologien hat sich die Regierung nicht näher geäußert. Dass der Einsatz von biometrischen Verfahren nur der Verfolgung „besonders schwerer Straftaten“ dienen soll, wie es vonseiten des Innenministeriums heißt, verschleiert den tatsächlichen Charakter des Instruments. Biometrische Verfahren zur Strafverfolgung beruhen auf Massenüberwachung. Strafverfolgungsbehörden erhalten Zugriff auf umfangreiche Datensammlungen und können diese auswerten bzw. kommerzielle KI-Anbieter dafür heranziehen.
Der öffentliche Raum und das Internet bieten die Datenbasis. Potenziell alle Menschen, keineswegs nur Straftäter oder Asylsuchende, werden dort mit ihren Gesichtern und Stimmen erfasst, gescannt, nach biometrischen Merkmalen klassifiziert, und gespeichert – und wissen nichts davon. Mithilfe Künstlicher Intelligenz werden die so angelegten Datenbanken analysiert. Die dafür eingesetzten Technologien sind nicht transparent, die Ergebnisse nicht nachvollziehbar.
Die CDU hat das Sicherheitspaket im Bundesrat nicht blockiert, weil sie Ziel und Umfang der Überwachungsmaßnahmen ablehnt, sondern weil sie ihr nicht weit genug gehen. Sie fordert, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung auszuweiten. Insbesondere die Speicherung von Kommunikationsdaten, wie IP-Adressen, soll demnach auch ohne Hinweis auf eine (begangene oder geplante) Straftat erfolgen – ein weiterer Baustein zur umfassenden Massenüberwachung der Bevölkerung.
Dies entspricht den Forderungen nach „mehr operativer Beinfreiheit“, wie sie der Präsident des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl und andere Spitzenvertreter der bundesdeutschen Geheimdienste seit geraumer Zeit formulieren. Positiv verbrämt als „Bürokratieabbau“ soll die Kontrolle über die Tätigkeit der Geheimdienste abgebaut werden. Nur so könne man effektiv arbeiten, tragen BND-Mitarbeiter über die Springer-Presse vor und beanspruchen eine „Zeitenwende“ für die Praxis der Nachrichtendienste, insbesondere im Bereich der Online-Überwachung.
Den Begriff der „Zeitenwende im Innern“ haben auch die Grünen in einem Positionspapier aufgegriffen. Darin fordert Konstantin von Notz, der grüne Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (das die Geheimdienste kontrollieren soll), mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden – unter anderem verdeckte Ermittlungen in sozialen Netzwerken und einen besseren Austausch zwischen Polizei und Geheimdiensten. Die Sicherheitsbehörden bräuchten mehr Personal und Technik, und diese Ressourcen müssten über ein Sondervermögen beschafft werden.
Dies wiederum ist ganz im Sinne der Gewerkschaft der Polizei, die mehr Befugnisse, mehr Personal und bessere Ausstattung wie Technik fordert. Die Nutzung biometrischer Verfahren wird von der Gewerkschaft explizit begrüßt, das Sicherheitspaket der Ampel-Koalition ging ihr in der Frage der erweiterten Befugnisse für die Polizei nicht weit genug.
Auch Sahra Wagenknecht hat die Gesetzesvorhaben vom rechten, autoritären Standpunkt aus angegriffen und als „weitgehend wirkungslos“ verurteilt.
Der Anschlag in Magdeburg, begangen von einem AfD-Anhänger und Islam-Hasser, dient den Regierungs- und Oppositionsparteien nun als Vorwand, sich im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat auf ein verschärftes Sicherheitspaket mit umfassenden Befugnissen für Polizei und Geheimdienste zu einigen. Gleichzeitig sollen die Kontrollen an den deutschen Außengrenzen über März hinaus verlängert werden.
Das „Sicherheitspaket“ richtete sich gegen die gesamte Bevölkerung – gegen Flüchtlinge und Migranten ebenso wie gegen alle, die seit Generationen in Deutschland leben. Es weitet die polizeistaatliche Überwachung auf neuer gesetzlicher Grundlage massiv aus. Der Staat rüstet auf – nicht nur in Vorbereitung weiterer Kriege, sondern auch mit Blick auf den politischen und sozialen Widerstand, der sich gegen Kriegswirtschaft und Sozialabbau entwickelt.
Die „Zeitenwende“ und die „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands lassen sich nicht mit freiheitlichen und demokratischen Rechten vereinbaren. Das Recht, sich frei und unbeobachtet bewegen zu können – im öffentlichen Raum wie im Internet –, ist ein demokratisches Grundrecht. Massenüberwachung bedeutet dagegen ein Klima der Angst und Zensur.
Die Regierungs- und Oppositionsparteien im Bundestag stehen für Massenüberwachung und Unterdrückung. Die Arbeiterklasse muss die demokratischen Freiheiten selbst verteidigen und dies mit einem Kampf gegen Krieg und soziale Ungleichheit verbinden.