Am 16. Mai 2024 verbot der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) die Gruppe „Palästina Solidarität Duisburg“ (PSDU). Die Verbotsverfügung kriminalisierte jede Kritik am israelischen Völkermord in Gaza und an der Kriegspolitik der Regierung. Nun ist einem der Betroffenen, Ahmad Othman, von seinem Arbeitgeber aufgrund offensichtlich politischer Gründe gekündigt worden.
Als Innenminister Reul das Verbot erließ, durchsuchten frühmorgens Polizisten die Wohnungen von vier Aktivistinnen und Aktivisten der PSDU, darunter die von Ahmad. Da er mehrere Pässe von Verwandten zu Hause aufbewahrt hatte, leitete die Polizei sofort ein Verfahren wegen angeblicher Urkundenfälschung ein. Dieser Vorwurf war von Beginn an haltlos. Mittlerweile wurde das Verfahren eingestellt. Die Polizei durchsuchte am 16. Mai aber zusätzlich auch seinen Arbeitsplatz. Er arbeitet als IT-Fachmann, meistens im Home-Office. Deswegen wurden bei ihm mehrere Geräte beschlagnahmt, die seinem Arbeitgeber gehören.
Die weitreichenden Behauptungen in der Verbotsverfügung, die PSDU sei eine antisemitische und die Hamas und Terror unterstützende Vereinigung, die von den offiziellen Medien einfach übernommen wurden, hatten sofort dazu geführt, dass Ahmad nicht mehr arbeiten durfte. Auf seine Suspendierung im Juni 2024 folgte Mitte November seine Kündigung zum 31. Dezember 2024.
Als Gründe werden seine angebliche verfassungswidrige Gesinnung wegen seiner Mitgliedschaft in der PSDU sowie sein juristisches Vorgehen gegen das Verbot genannt. Ahmad beharrt darauf, das Recht in Anspruch nehmen zu können, sich mit der palästinensischen Bevölkerung zu solidarisieren und gegen den Völkermord der israelischen Regierung aufzutreten. Er war daher zu mehreren Veranstaltungen eingeladen, um öffentlich darüber zu informieren, was ihm und den anderen Betroffenen passiert ist.
In seiner Kündigung wird ihm das vorgeworfen. Er distanziere sich nicht von der PSDU. Sein Arbeitgeber verweist auf Aussagen einer Rede, die Ahmad auf einem Palästina-Kongress in Wien geäußert hat, ohne konkret den Inhalt zu nennen. Aufgrund der dort getätigten Aussagen sei er für seinen Job ungeeignet.
Der Arbeitgeber akzeptiert offensichtlich auch nicht, dass Ahmad sich geweigert hat, sich in einem mündlichen Gespräch zum Verbot zu äußern, und lediglich bereit war, schriftlich Stellung zu nehmen.
Am weitreichendsten für den jungen Mann und seine berufliche Betätigung ist die Unterstellung des Arbeitgebers, dass Ahmad seine Position als IT-ler dazu nutzen könnte, das bestehende Firmennetzwerk für persönliche Zwecke zu missbrauchen.
Als IT-Mitarbeiter ist er im Bereich Entwicklung und Serverbetreuung beschäftigt und hat dadurch Zugriff auf sensible Daten und Systeme. Im Kündigungsschreiben heißt es: „Vor dem Hintergrund Ihrer Aussagen (…) und über die oben angeführte Gruppierung (PSDU) ist zu befürchten, dass Sie die Zugriffsmöglichkeiten im Rahmen Ihrer beruflichen Tätigkeiten nicht mehr mit der hinreichenden Zuverlässigkeit und Neutralität nutzen.“
Dies unterstellt ihm letztlich Straftaten, ohne dass es je einen Grund zu dieser Annahme gegeben hat. „Als IT-ler hat man immer mit sensiblen Daten zu tun und ich bin immer korrekt damit umgegangen,“ erklärt Ahmad. Es gebe für diesen Vorwurf überhaupt keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil, noch nach dem PSDU-Verbot wurde ihm versichert, dass man mit seiner Arbeit mehr als zufrieden sei. Niemand habe seine Fähigkeiten oder Erfahrungen in Frage gestellt.
Diese Kündigungsbegründung kann daher nur als unverhohlene Warnung an jeden zukünftigen Arbeitgeber verstanden werden: Hütet euch davor, Ahmad Othman als IT-ler zu beschäftigen. Damit kommt die Kündigung faktisch einem Berufsverbot gleich.
„Heute trifft es Ahmad, gemeint sind aber wir alle!“ schreibt das „Komitee gegen das Verbot der PSDU“ auf seiner Info-Website.
Ahmad ist jetzt schon bei weitem nicht der einzige, der durch seine Palästina-Arbeit oder aufgrund von Kritik an Israel seinen Job verloren hat.
Palästinademonstrationen werden untersagt, schikaniert und mit kafkaesken Zensurvorschriften überzogen, Künstler, die sich kritisch äußern, sanktioniert. Selbst Wissenschaftler müssen um ihre Finanzierung fürchten, wenn sie allzu offen ihre Meinung sagen.
Am 11. Dezember bestätigte das Arbeitsgericht Halle die ordentliche Kündigung von Ghassan Hage. Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle (Saale) hatte sich vom libanesisch-australischen Wissenschaftler im Februar getrennt. Als Grund gab das Institut Social-Media-Posts Hages an, in denen er den israelischen Massenmord an den Palästinensern verurteilt hat. Das Arbeitsgericht Halle verwarf aus formalen Gründen die außerordentliche Kündigung, gab aber der zum 31. März 2024 hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung statt.
Im Artikel zum Verbot der PSDU schrieb die World Socialist Web Site: „Als der Inlandsgeheimdienst die Sozialistische Gleichheitspartei 2019 als angeblich ‚linksextremistische‘ Partei in den Verfassungsschutzbericht aufnahm, warnte die SGP, damit werde der Boden dafür bereitet, Buchhändler, die marxistische Literatur verbreiten, Arbeiter, die für höhere Löhne streiken, oder Friedensaktivisten mit einem Federstrich zu kriminalisieren. Das wird nun durch das Verbot der Palästina Solidarität Duisburg bestätigt.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Gegen die SGP führten Verfassungsschutz, Bundesregierung und Gerichte nicht Gesetzesbrüche, sondern ihre Politik an. Kriminalisiert wurde das „Streiten für eine egalitäre, demokratische und sozialistische Gesellschaft“, oder die Kritik an einem „vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus“.
Auch der PSDU wurden keinerlei strafbare Handlungen vorgeworfen. Sie wurde verboten, weil sie sich in ihrer Haltung zu Israel nicht der deutschen Staatsräson unterwarf und – friedlich und in Worten – gegen die Ermordung der Palästinenser im Gaza-Streifen protestierte. Weil sie sich für einen demokratischen, säkularen und friedlichen Staat in Palästina einsetzten, wie weltweit viele, auch zahlreiche Juden, werden sie als „Antisemiten“ diffamiert.
Das NRW-Innenministerium führte als Verbotsgründe selbst Standpunkte an, die von der Mehrheit der UN-Mitglieder oder vom Internationalen Gerichtshof geteilt werden. Die Verbotsverfügung spricht entgegen aller Beweise vom „unbelegten Völkermord“. Deutlicher könnte das Ministerium nicht zeigen, dass das Verbot ein Akt staatlicher Willkür, der Zensur und der Unterdrückung ist.
Am 15. November 2024, fast genau sechs Monate nach dem PSDU-Verbot, lehnte das Oberverwaltungsgericht NRW den Eilantrag gegen das Verbot ab. Es hat die wichtigsten Behauptungen des NRW-Innenministeriums übernommen und zum Teil noch juristisch zugespitzt. Während das Ministerium noch von einer juristisch fragwürdigen „geistigen Unterstützung“ der Hamas fantasierte, streicht das OVG kurzerhand das Wort „geistig“. Die PSDU habe die Hamas „verharmlost und damit erkennbar inhaltlich unterstützt“. Inzwischen ist auch eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Eilurteil erhoben worden. Das Hauptsacheverfahren gegen das PSDU-Verbot harrt nach wie vor einer Entscheidung.
Ahmad hat Ende November Kündigungsschutzklage erhoben und angekündigt, alle juristischen Mittel zu nutzen, um seinen Job zurückzubekommen. „Ich weiß, dass es nicht nur um mich geht. Wenn ich verliere, verlieren wir alle.“
Je deutlicher der Völkermord in Palästina wird und je unverhohlener die Bundesregierung die Regierung in Israel darin politisch, finanziell und mit Waffen unterstützt, desto vehementer geht sie gegen Opposition dagegen vor.
Das hat nichts mit dem Schutz jüdischen Lebens oder der Wiedergutmachung für den Holocaust zu tun. Deutschland nutzt Israel – wie die USA und andere europäische Staaten – als Brückenkopf für seine imperialistischen Interessen im Nahen Osten, mit dessen Hilfe es die gesamte Region bedroht und einschüchtert.