Deutschland verdoppelt Abschiebungen

In den ersten elf Monaten dieses Jahres sind nach offiziellen Angaben des Innenministeriums 18.363 Menschen zwangsweise aus Deutschland abgeschoben worden. Das sind fast doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr, als 10.884 abgeschoben wurden. 2012 hatte die Zahl der Abgeschobenen noch bei 7651 gelegen.

Zählt man jene hinzu, die auf Druck der Behörden „freiwillig“ ausgereist sind, so mussten nach Recherchen des Mediendiensts Integration in diesem Jahr 35.000 Flüchtlinge Deutschland verlassen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl, die auf eigene Initiative weiter- oder zurückgereist sind.

Von den Abschiebungen sind nicht nur Flüchtlinge betroffen, die in jüngster Zeit nach Deutschland kamen und im Asylverfahren abgewiesen wurden. Auch Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben oder sogar hier geboren und aufgewachsen sind, werden in Länder abgeschoben, die seit kurzem als „sichere Herkunftsstaaten“ gelten.

Die unmenschlichen Folgen der Verschärfung des Asylrechts, die der Bundestag im Oktober im Eiltempo verabschiedet hat, wird jetzt sichtbar. Danach gelten die Balkanstaaten Serbien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Kosovo, Montenegro und Mazedonien als sichere Herkunftsländer, in die Menschen selbst dann zurückgeschickt werden, wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben und bisher fest damit rechnen konnten, dass ihre Duldung in ein Bleiberecht umgewandelt wird.

Auch die Türkei, Afghanistan und – sollte dort eine Flugverbotszone geschaffen werden – Syrien sollen nach Plänen von Innenminister Thomas de Maizière bald zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden. Massenabschiebungen von Zehntausenden wären dann keine Schranken mehr gesetzt.

Da den Ausreisepflichtigen der Abschiebetermin nicht mehr genannt wird, damit sie nicht vorher untertauchen können, warten unzählige Menschen Nacht für Nacht, ob die Polizei an ihre Tür klopft, sie ohne Vorwarnung aus dem Bett holt und zum nächsten Flughafen bringt. Dort werden sie in ein Land verfrachtet, dass die Jüngeren von ihnen nie gesehen haben, dessen Sprache sie zum Teil nicht sprechen und das ihnen weder eine Arbeit noch ein menschenwürdiges Leben bietet. Auch Babys, schulpflichtige Kinder, Alte und Gebrechliche sind betroffen.

Man kann sich vorstellen, was in diesen Menschen vorgeht. Es sind Zustände, wie man sie sonst nur aus brutalen Polizeidiktaturen kennt. Laut Angaben der Gewerkschaft der Polizei leben derzeit in Deutschland rund 190.000 ausreisepflichtige Menschen. Diese Zahl kann sich leicht erhöhen, da mehrere hunderttausend Flüchtlinge, die in diesem Jahr angekommen sind, noch nicht einmal registriert, geschweige denn als Asylberechtigte anerkannt sind.

Die Abschiebungen finden – bildlich und real – bei Nacht und Nebel statt. Pressevertretern ist jeder Kontakt zu den Betroffenen untersagt. In den letzten Tagen erschienen zwar Presseberichte über die Zustände am Frankfurter Flughafen, wo „Schüblinge“ – wie sie in der unmenschlichen Behördensprache genannt werden – an die Bundespolizei übergeben und ausgeflogen werden. Aber die Journalisten konnten sich nur auf anonyme Aussagen von Behördenvertretern und Mitgliedern von Hilfsorganisationen stützen. „Es ist unmöglich, die Betroffenen zu interviewen. In Hessen dürfen Journalisten Abschiebungen derzeit nicht begleiten“, heißt es in einem dpa-Bericht.

Dann zitiert der Bericht Robert Seither von der Caritas, der die betroffenen Menschen bis zum Flugzeug begleiten kann: „Die Leute kommen geschockt hier an.“ Viele seien mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden und hätten höchstens eine Stunde Zeit gehabt, ihre Sachen zu packen. Sie seien empört, aufgebracht oder resigniert.

Einer der wenigen Fälle, die ein Medienecho fanden, ist der des Berliner Rappers Prince-H. Der Roma Hikmet Prizreni, wie er mit wirklichem Namen heißt, war 1988 im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern aus dem Kosovo geflohen. Er wuchs in Essen auf und sitzt nun seit Oktober in Abschiebehaft. Andere Rapper, wie Sido, setzen sich für ihn ein. Gestern Abend gab es im Berliner Club SO36 für ihn ein Solidaritätskonzert.

Das neue Asylrecht sieht auch sogenannte „Aufnahmeeinrichtungen“ vor, in denen Flüchtlinge festgehalten und nach Ablehnung ihres Antrags sofort abgeschoben werden.

Das Heute Journal des ZDF berichtete am Montagabend über die „Ankunft- und Rückführungseinrichtung“ im bayrischen Bamberg. Auf dem ehemaligen Kasernengelände sind derzeit 850 Flüchtlinge aus dem Westbalkan untergebracht, die praktisch alle in nächster Zeit abgeschoben werden sollen. Insgesamt können hier bis zu 4500 Menschen untergebracht werden.

Das Heute Journal stellte die Familie Gashi aus dem Kosovo vor, die kurz davor nach Bamberg gekommen war. Vorher hatte die Familie über ein Jahr lang in einer eigenen Wohnung bei Schweinfurt gelebt, wo sie gut integriert war und die Kinder zur Schule gingen. Der Vater, Bajram Gashi, erklärte in fließendem Deutsch, die Familie habe um 16 Uhr nachmittags durch ein Schreiben der Regierung von Unterfranken erfahren, dass sie nach Bamberg umziehen müsse. Sollte sie nicht anderntags bis zwölf Uhr in Bamberg sein, werde sie von der Polizei abgeholt. „Wir hatten nur ein paar Stunden Zeit“, sagte Bajram Gashi.

Die Familie Gashi ist kein Einzelfall: Über vierhundert Migranten mussten in den letzten Tagen schon Knall auf Fall nach Bamberg umziehen. Sie hatten weder Zeit zum Packen, noch für den Abschied von Freunden, Nachbarn oder Mitschülern.

Die wachsende Zahl und die Rücksichtslosigkeit der Abschiebungen ist eindeutig auf das neue Asylrecht zurückzuführen, dass der Bundestag im Oktober mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD verabschiedet hat. Das zeigt allein schon der Anstieg der Zahlen. Wurden bis Ende April bundesweit 4508 Menschen abgeschoben, waren es Ende Juni bereits 8178, Ende August 11.522 und Ende November 18.363.

Für die praktische Durchführung der Abschiebungen ist aber nicht der Bund, sondern die Länder verantwortlich. Hier ist Bayern mit 3.643 Abschiebungen Spitzenreiter. Die Zahl der Abgeschobenen hat sich in Bayern gegenüber dem Vorjahr verdreifacht. Dasselbe gilt für Baden-Württemberg und Hessen.

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Grünen, die sich gern als Flüchtlingsfreunde aufspielen, in beiden Ländern in der Regierung sitzen. In Baden-Württemberg stellen sie mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten, in Hessen sind sie Koalitionspartner der CDU. Das Land gilt als Pilotprojekt für eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene.

Ministerpräsident Kretschmann besuchte kürzlich das mit Hilfe der Bundeswehr errichtete Schnellverfahrenszentrum bei Heidelberg und lobte es als Vorbild dafür, dass die Flüchtlingsarbeit „Struktur und Ordnung“ zurückgewinne.

Auch die Linkspartei schiebt Flüchtlinge ab. In Thüringen, wo Die Linke mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, ist zwar die Zahl der Abschiebungen gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen. Aber auch hier werden Flüchtlinge teilweise unter menschenunwürdigen Zuständen untergebracht. Die Linkspartei trat mit dem Vorschlag hervor, die Flüchtlinge nach Ethnien getrennt unterzubringen und die Flüchtlingsunterkünfte mit hohen Zäunen abzuriegeln. Die rot-rot-grüne Landesregierung von Thüringen geht so aggressiv gegen Flüchtlinge vor, dass ihr selbst die linksparteinahe Junge Welt bescheinigte, sich „im Abschiebemodus“ zu befinden und „rentabel abzuschieben“.

Auch Flüchtlinge, die nicht abgeschoben werden, sind behördlichen Schikanen ausgesetzt. So haben sie große Mühe, ihr Recht auf Familiennachzug geltend zu machen.

Die Süddeutschen Zeitung berichtete kürzlich über Adnan Ghnema, einen 31-jährigen Flüchtling aus dem syrischen Aleppo, der im Schlauchboot über das Meer nach Europa gekommen war und bei seinem Bruder im Landkreis München lebte. Er hatte monatelang versucht, seine Familie aus dem Kriegsgebiet nachkommen zu lassen. Schließlich musste er im August auf Facebook mit ansehen, wie seine schwangere Frau Yasmin von Bomben getötet wurde.

Auch nach dem Tod seiner Frau dauerte es noch Monate, bis er seine zwei kleinen Kinder nach Deutschland holen konnte. Um die „gesetzlichen Voraussetzungen“ zu erfüllen, hatten die deutschen Behörden die Geburtsurkunden der zwei Kinder (drei und fünf Jahre alt) verlangt, obwohl eins der Kinder auf der Flucht geboren wurde, sowie eine Sterbeurkunde für die Frau, die im Bombenhagel umgekommen war. Die Süddeutsche zitiert Ghnema mit den Worten: „Manchmal glaube ich, die deutschen Behörden haben noch nicht begriffen, dass in Syrien Krieg herrscht.“

Während die Bundesregierung mit Unterstützung aller Parteien des Bundestags die deutschen Militäreinsätze in Syrien, Afghanistan und Mali aufstockt und dazu beiträgt, noch mehr Menschen in die Flucht zu treiben, werden gleichzeitig die Abschiebungen aus Deutschland systematisch verschärft und gnadenlos durchgezogen. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille.

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