„Nazis im BND – Neuer Dienst und alte Kameraden“

Fernsehdokumentation von Christine Rütten

Im Jahr 2010 bestätigte sich der Verdacht, der Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie habe für den Bundesnachrichtendienst (BND) gearbeitet. Ein Jahr später stellte sich heraus, dass der BND in den 90er Jahren fast 600 Seiten über den NS-Massenmörder Alois Brunner vernichtet hatte, der für die Deportation von 128.000 Menschen verantwortlich war. Es gibt Hinweise, dass Brunner, ein wichtiger Mitarbeiter von Adolf Eichmann, mit dem BND zusammenarbeitete. In diesem Jahr musste der BND zugeben, dass Wilfred von Oven, ehemaliger Pressesprecher von Goebbels, ebenfalls in seinen Diensten stand.

Einen Überblick über die Kontinuität der braunen Diktatur hinter der mit bürokratischer Sorgfalt gepflegten Fassade einer demokratischen Bundesrepublik vermittelt der vor einiger Zeit auf dem Fernsehkanal arte gezeigte Film Nazis im BND - Neuer Dienst und alte Kameraden von Christine Rütten. Die skandalöse Geschichte des BND und seines von den USA aufgebauten Vorläufers wird von Zeitzeugen und Historikern wie Gerhard Sälter kommentiert. Dieser arbeitet für die unabhängige Historikerkommission, die seit 2011 die braune Vita des BND aufarbeitet.

Die wichtigste Figur des frühen Geheimdienstes war Reinhard Gehlen. Er gehörte zur militärischen Elite Hitlers. Ihm unterstand die Spionage gegen die Sowjetunion. Bestandteil waren Verhöre sowjetischer Kriegsgefangener. Darüber ist bis heute wenig bekannt, so der Off-Kommentar. „Feststeht, am Ende des Kriegs waren über drei Millionen sowjetischer Soldaten in deutschen Lagern gestorben.“

Nach Kriegsende übergab Gehlen den Amerikanern das Material seiner Abteilung. Ob er eventuell ein Kriegsverbrecher war, interessierte diese nicht. „Wer dem amerikanischen Geheimdienst nützlich erscheint, wird eingestellt.“ Wert legte man auf Referenzen früherer Arbeitgeber oder Kollegen vor 1945, ob man sich „anständig verhalten hat“.

Gehlens Tochter erinnert sich im Film, dass ihr Bruder ein idealistischer deutscher Patriot gewesen sei, bereit mit Hingabe dem Vaterland zu dienen, erst in der Schwarzen Reichswehr der Weimarer Republik, später in Hitlers Wehrmacht, wo er bis zum General aufstieg. Der US-Geheimdienst übernahm 1946 einen Teil seiner Mitarbeiter. Unter neuem Label konnten diese den Krieg gegen den „Bolschewismus“ fortsetzen.

Wilhelm Krichbaum, ein hoher Nazi-Militär, kam 1948 zu Gehlen. Er war Chef der Geheimen Feldpolizei gewesen, die, wie der amerikanische Historiker Paul B. Brown im Film mitteilt, in großem Maße in Kriegsverbrechen verwickelt war. Krichbaum wurde Chefrekruter Gehlens und suchte in den alten Kreisen zuverlässige Leute. Sein Sohn weiß zu berichten, dass er unter den Kameraden nur „Willi der Kommunistenfresser“ hieß. Aus Krichbaums Nachlass geht hervor, dass sich auch die sowjetische Seite, allerdings erfolglos, um ihn bemüht hatte.

Krichbaum wurde in den 1956 gegründeten BND übernommen, der direkt dem Bundeskanzleramt untergeordnet war. Gehlen und seine Mitarbeiter, nun Bundesbeamte, konnten problemlos ihre Entnazifizierung nachweisen. Wie der Film zeigt, hing im Amt ein riesiges Bild Friedrichs des Großen. Preußische Militärtraditionen wurden auch nach dem Untergang des Dritten Reichs hochgehalten. Dass unter Bundeskanzler Adenauer der ehemaligen Nazi Hans Globke zum obersten Beamten der BRD aufstieg, dem auch der BND unterstand, kam, wie der Politiker Egon Bahr (SPD) treffend bemerkt, einer nicht ausgesprochenen Amnestie gleich.

Mit dem BND-Mitarbeiter Emil Augsburg wurde 1958 ein Mann zum Oberregierungsrat auf Lebenszeit ernannt, der zehn Jahre früher auf der amerikanischen Fahndungsliste für Kriegsverbrecher gestanden hatte. Augsburgs Einsatzkommando war an Massenexekutionen von Juden in der Sowjetunion beteiligt. Für Augsburgs reine Weste bürgte ein anderer Nazi-Kriegsverbrecher: Franz Six war 1948 während des Nürnberger Einsatzgruppenprozesses zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er verdankte es der Adenauerregierung, dass er bereits nach fünf Jahren wieder freikam.

Eine Zäsur stellte der weltweit Aufsehen erregende Prozess gegen Adolf Eichmann dar, der 1961 zum Ausgangspunkt von öffentlichen Protesten und der Forderung wurde, mit den alten Nazis in deutschen Ämtern abzurechnen. Beim BND löste der Eichmann-Prozess die Befürchtung aus, Eichmann könnte Globke öffentlich belasten. Warum Eichmann schwieg, weiß bis heute niemand, außer vermutlich der BND. Ab 1963 verstärkte sich mit den Ausschwitzprozessen der öffentliche Druck auf den Geheimdienst.

Bereits im Zusammenhang mit der Enttarnung des Doppelagenten Heinz Felfe 1961 wurde intern eine Überprüfung hauptamtlicher BND-Mitarbeiter durchgeführt. Es ging um Selbstschutz, nicht um Entnazifizierung. Wer war potentiell, auf Grund seiner NS-Vergangenheit durch den sowjetischen Geheimdienst KGB erpressbar?

Der von Gehlen mit der Überprüfung beauftragte Hans-Henning Crome berichtet vor der Kamera über den Schock, den er empfand, als sich ihm eröffnete, was sich hinter der Angabe „Kriegsdienst“ etlicher Mitarbeiter verbarg. Er bekam den Abschlussbericht über die Judenvernichtung im Baltikum zu Gesicht. Es gab über 100.000 Opfer, erinnert sich Crome. Sein Untersuchungsbericht wurde eingezogen. Kein Kollege, den er überprüft hatte, wurde je für ein NS-Verbrechen bestraft.

Im internationalen geheimen Kampf gegen den „Kommunismus“ spielten neben hauptamtlichen Mitarbeitern Informanten eine wichtige Rolle. Seit 1958 arbeitete Walther Rauff als Informant für den BND. Der NS-Kriegsverbrecher gilt als Erfinder des Gaswagens, mit dem eine halbe Million Menschen getötet wurden.

Rauff wurde vom ehemaligen Waffen-SS-Mann Wilhelm Beisner geworben. Beide kannten sich von der Einsatzgruppe Afrika, die für die Endlösung der Judenfrage im Nahen Osten vorgesehen war. Das Kriegsende verhinderte die geplante Massenvernichtung. Später konnte sich Rauff wie andere Nazis nach Lateinamerika absetzen. Von dem braunen Netzwerk dort profitierte auch der BND.

Ab 1958 lebte Rauff in Chile als Geschäftsmann mit besten Verbindungen zum chilenischen Militär. Obwohl Deutschland einen Auslieferungsantrag gestellt hatte, nahm er an Schulungen des BND in Deutschland teil und reiste sogar unter eigenem Namen, so die Autorin Maria de la Soledad. Der erhaltene Bericht eines BND-Informanten von 1963 entlarvt den Auslieferungsantrag als Täuschung. Die Befürwortung der Auslieferung Rauffs durch ein chilenisches Gericht der ersten Instanz, so der Informant, sei nur aus Rücksicht auf einflussreiche jüdische Kreise erfolgt. Der oberste chilenische Gerichtshof lehnte den deutschen Auslieferungsantrag ab. Rauffs Anwaltskosten bezahlte zum Teil der BND.

1965 traf sich ein BND-Agent in Bolivien mit dem Holzexporteur Klaus Altmann, der sich bereit zeigte, als Informant zu arbeiten. Als Altmann nach einem Hitlergruß im Deutschen Klub von La Paz Hausverbot erhielt, fand es der Agent „unerhört“, einen „Mann von guter nationaler Gesinnung und auch einwandfreiem privaten Lebenswandel in dieser Weise bloßzustellen“. 1966 arbeitete Altmann, der gute Kontakte zu Boliviens Militär- und Regierungskreisen unterhielt, für den BND. Die 35 Spitzelberichte sind angeblich verschollen.

Gegenüber dem BND gab Altmann zu, dass die Zentrale Stelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg gegen ihn ermittle. Er könne deshalb nicht zu einer Schulung nach Deutschland reisen. Ein Anruf des BND in Ludwigsburg hätte sofort zu Tage gebracht, dass es sich bei Altmann um den gesuchten Kriegsverbrecher Klaus Barbie handelte. Zwar wurde der Kontakt im Dezember 1966 hastig abgebrochen. Möglicherweise erfolgte die Zusammenarbeit aber auf anderer Ebene weiter. Altmann alias Barbie vertrat in dieser Zeit die Merex AG, eine Firma, die Waffengeschäfte abwickelte – auch für den BND.

Heute wirft der SPD-Politiker und ehemalige Staatsanwalt Willfried Penner dem BND „Strafvereitelung“ vor, weil er die Zentrale Stelle für NS-Verbrechen nicht über Barbie/Altmann informiert habe. Es habe Meldepflicht bestanden. Als Vorsitzender der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste war Penner weniger forsch. Als nach Barbies Verhaftung Fragen offen blieben, ließ sich die Kommission vom BND mit der Behauptung abspeisen, man habe nicht gewusst, dass Altmann Barbie sei. Offenbar war den „Kontrolleuren“ der Geheimdienste entgangen, dass man auch „Altmann“ hätte melden und überprüfen müssen.

Historiker Sälter hält die fehlende „Sensibilität“ des Staats gegenüber möglichen Massenmördern schlicht für unerklärlich. Das BND-Argument, man habe die Spezialkenntnisse von NS-Tätern gebraucht, lässt er nicht gelten. Das bedeute, dass man unbedingt „einen Gestaposchläger, der Informationen aus Gefangenen heraus gefoltert hatte“, gebraucht habe.

Ein Blick in die deutsche Nachkriegsgeschichte zeigt, dass die rechten Kräfte „gebraucht“ wurden, um den kapitalistischen Staat wieder aufzubauen und zu verteidigen. Niemand war dafür besser geeignet als ehemalige Nazis ohne demokratische Befangenheit.

Unmittelbar nach dem Krieg gab es in der Bevölkerung starke antikapitalistische Stimmungen. In den 50er Jahren protestierten viele gegen den Aufbau der Bundeswehr und Atomwaffen. In den 60er Jahren forderten breite Bevölkerungsschichten demokratische Reformen. Die Folge: In der Großen Koalition von 1966 rückten SPD und Rechte zusammen. Neben dem Altnazi Kiesinger (CDU) saß der Emigrant Brandt (SPD), und neben dem ehemaligen Kommunisten Wehner (SPD) saß Franz Josef Strauß (CSU).

Seit 1967 verzögerte jede deutsche Regierung die Rückgabe der NS-Mitgliederkartei durch die USA. Erst 1994 gingen die brisanten NS-Akten in deutschen Besitz über. Sie gaben Aufschluss über die NSDAP-Mitgliedschaft vieler hochrangiger Politiker, darunter drei Bundespräsidenten.

Christine Rüttens Film Nazis im BND - Neuer Dienst und alte Kameraden ist ein eindringlicher Appell an die Öffentlichkeit, die braune Vergangenheit des BND und der Bundesrepublik schonungslos aufzuklären. Die aktuelle „unabhängige“ Untersuchungskommission ist dafür kaum geeignet. Sie wurde vom BND initiiert und dient der Beschwichtigung der Öffentlichkeit. Nicht nur dem Filmteam verweigerte der BND Informationen. Der BND bestimmt auch, was die Historiker veröffentlichen dürfen.

Der Film Nazis im BND - Neuer Dienst und alte Kameraden kann auf youtube angesehen werden.

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