Arbeitslose in Barcelona schildern soziale Tragödie in Spanien

Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 ist die Arbeitslosigkeit in Spanien von acht Prozent auf fast 25 Prozent gestiegen. Das ist mehr als das Doppelte des europäischen Durchschnitts. Unter Jugendlichen ist sie von 22 auf 53 Prozent gestiegen. In den ärmeren Regionen wie der Extremadura, den Kanarischen Inseln und dem südlichen Andalusien nähert sich die Arbeitslosenrate 35 Prozent.

Die Zahl der Emigranten aus Spanien, die hauptsächlich in andere EU-Länder oder nach Lateinamerika auswandern, ist von 400.000 in 2010 auf über 500.000 in 2011 gestiegen.

Besonders stark war der Beschäftigungsrückgang im Baugewerbe. Dort macht sich der Zusammenbruch des Baubooms unmittelbar bemerkbar. Ausgabenkürzungen der Regierung haben zu dramatischen Arbeitsplatzverlusten im Öffentlichen Dienst geführt.

Letzte Woche führte Ministerpräsident Mariano Rajoy von der Volkspartei Gespräche mit den Führern der siebzehn Regionalregierungen Spaniens und forderte sie auf, weitere Kürzungen durchzuführen. Die Regierung erleichtert es Unternehmen, Arbeiter zu entlassen, und erlaubt ihnen, Tarifverträge zu unterlaufen und zurückzudrängen.

Um Arbeitslosengeld zu erhalten, muss man in den zurückliegenden sechs Jahren mindestens 360 Tage gearbeitet haben und als arbeitsfähig registriert sein. Ein Arbeitsloser erhält sechs Monate lang siebzig Prozent seines letzten Lohnes, danach sechzig Prozent für maximal 24 Monate. Aber die maximale Höhe des Arbeitslosengeldes für einen Alleinstehenden beträgt nur wenig mehr als tausend Euro im Monat, und für jemanden mit zwei Kindern 1.400 Euro.

Joaquin Joaquin

Vor dem Arbeitsamt trafen wir Joaquin (60). Er erklärte: „Ich habe als Autoverkäufer gearbeitet, aber jetzt bin ich schon seit zwei Jahren arbeitslos. Mein Arbeitslosengeld läuft aus. Aber für Personen über 55 gibt noch einen Zuschuss von ca. 400 Euro.

Vor einem Jahr ist meine Mutter gestorben, deswegen kümmere ich mich jetzt um meinen Vater. Ich versuche, eine neue Arbeit zu finden, aber es ist schwierig, beinahe unmöglich. Ein großes Problem ist mein Alter, und auch die Krise macht sich stark bemerkbar. Das ist erst der Anfang; es wird lange so weitergehen und noch schlimmer werden. Die wirtschaftliche Lage wird sich so bald nicht bessern.

Die Parteien sind meilenweit von den Menschen entfernt, sie verstehen überhaupt nicht, was los ist. Ich glaube nicht, dass sie etwas tun können, und in Wirklichkeit wollen sie auch gar nichts ändern. Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren überhaupt nichts getan. Sie sind einfach nur da, und das war’s. Ich traue den Gewerkschaften nichts mehr zu.“

Elisa (59) sagte: “Ich habe bei einer Versicherung gearbeitet, bin aber seit zwei Jahren arbeitslos. Das Arbeitslosengeld läuft jetzt aus. In meinem Alter und in meiner Lage sieht die Zukunft ziemlich düster aus. Ich habe keinerlei Chance mehr, eine neue Arbeit zu finden.

Das älteste meiner drei Kinder hat das Land verlassen, um in Belgien zu arbeiten. Für alle drei sehe ich höchstens noch eine Zukunft außerhalb von Spanien.

Die zwei jüngeren haben ihre Ausbildung fast beendet. Sie bereiten sich auf einen Erasmus-Austausch vor; vielleicht finden sie anderswo Arbeit. Ich weiß es nicht. Die Kürzungen in der Bildung und im Gesundheitssystem sind tödlich. Beide Bereiche gehören zum Grundbestand der Gesellschaft.“

Gina Gina

Gina (28) sagte uns: “Ich komme aus Cadiz, wohne aber hier in Barcelona. Ich suche Arbeit, doch ehrlich gesagt, mache ich mir nicht viel Hoffnung. Ich absolviere eine Weiterbildung nach der anderen. Ich habe einen Master in Meeresbiologie, habe viele Jahre studiert. Aber dann musste ich als Kellnerin arbeiten. Als Kellnerin verdiene ich aber nicht genug, um mir eine eigene Wohnung leisten zu können. Also werde ich wahrscheinlich nach Hause zurückkehren und einen Neuanfang versuchen.

Ich habe häufig umsonst gearbeitet, weil ich ja Praxis erwerben muss, um einen Job in meinem Beruf zu bekommen. Ich denke auch daran, das Land zu verlassen, aber die Sprache ist ein Problem. Eine andere Möglichkeit wäre, noch einmal weiter zu studieren. Aber ein weiterer Master-Abschluss würde mich zwei- bis dreitausend Euro kosten.

Ich kenne eine Menge Leute, die in der gleichen Lage sind und ebenfalls keine Arbeit haben, besonders meine ehemaligen Klassenkameraden. Wir alle sind ausgebildet, doch wir können nicht arbeiten. Einer von ihnen ist nach Schottland ausgewandert.

Im Moment sehe ich keine Lösung aus der Krise. Es gibt keine Partei, für die ich stimmen könnte. Das Wichtigste für mich ist, Arbeit zu finden, egal was für ein Job, damit ich endlich Geld verdienen kann.“

José Maria (36) sagte: “Heute musste ich meinen Arbeitslosenstatus klären. Die Krise hat schlimme Auswirkungen auf die Menschen. Ich zum Beispiel habe sechs Kinder; ich habe als Manager für eine Firma mit vier Läden in Barcelona gearbeitet. Aus meiner Sicht müsste ich meine eigene Perspektive optimistisch sehen, aber die Realität sieht anders aus. Für die Jugend sehe ich keine Zukunft. Meine Frau ist Lehrerin, aber auch sie muss Kürzungen hinnehmen.

Man redet über langfristige Lösungen, aber ich persönlich kann sie nicht sehen. Ich glaube, dass Gewerkschaften in unserer Gesellschaft wichtig sind, aber die heutigen Gewerkschaften sind keinen Schuss Pulver wert.“

Sebastian Sebastian

Sebastian (26) sagte: “Ursprünglich komme ich aus Argentinien, aber ich lebe hier schon seit zehn Jahren. Ich arbeite als Beleuchtungsassistent beim Theater, aber jetzt habe ich keine Arbeit. Die Kürzungen, besonders im Kulturbereich, sind enorm. Z.B. wurde die Umsatzsteuer für kulturelle Produkte von acht auf 21 Prozent erhöht und die Subventionen wurden gekürzt. Schon seit einiger Zeit war es schwierig, monatlich Gehälter zu zahlen. Aber jetzt ist es noch schlimmer geworden.

Ich glaube die Lage wird sich jahrelang nicht bessern. Keine Partei vertritt die Mehrheit der Menschen. Sie handeln im Interesse der Banken und organisieren Bankenrettungspakete. Auf der Arbeit vertritt dich auch niemand, egal ob du festangestellt bist oder einen prekären Job hast.“

Gimena Gimena

Gimena (36) sagte: „Ich habe verschiedene Jobs gemacht und zuletzt als Babysitterin gearbeitet. Ich sehe meine Zukunft ziemlich düster. Die Krise hat uns alle schwer getroffen.

Ich bin alleinerziehende Mutter und habe ein Kind, das in eine subventionierte Schule geht. Aber es ist schwierig, alle Kosten zu decken. Die Kürzungen bei der Bildung und der Gesundheit sind wirklich brutal. Vorher hatte jeder, zumindest theoretisch, Anrecht auf kostenlose Gesundheitsversorgung. Jetzt müssen wir eine Menge Zuzahlungen leisten. Das gleiche bei der Bildung.“

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