Das Europäische Parlament setzt sich vehement für eine militärische Intervention in Libyen ein. Am Donnerstag den 10. März verabschiedete es mit 584 zu 18 Stimmen und 18 Enthaltungen eine Resolution, die die offizielle Anerkennung des Nationalen Übergangsrats in Bengasi fordert und ein militärisches Eingreifen der EU unterstützt.
Artikel zehn der Resolution betont, dass „keine der in der VN-Charta vorgesehenen Optionen ausgeschlossen werden kann“, und fordert die EU-Außenvertreterin Catherine Ashton auf, „Vorkehrungen für einen möglichen Beschluss im VN-Sicherheitsrat zur Einleitung weiterer Maßnahmen zu treffen, wie etwa die Einrichtung einer Flugverbotszone“.
Der Resolution, die von den Fraktionen der konservativen Rechten bis hin zu den Sozialdemokraten und Grünen einstimmig unterstützt wurde, stimmten auch führende Vertreter der Partei der Europäischen Linken (EL) zu. Sie hatten die Resolution mit erarbeitet und zur Abstimmung in die Parlamentsdebatte eingebracht.
Die Annahme der Resolution durch das Europäische Parlament war eine direkte Vorbereitung auf ein aggressiveres Vorgehen gegen Libyen. Noch am Donnerstagabend verschärften die Außenminister der EU die Sanktionen gegen das libysche Regime und die Verteidigungsminister der Nato verstärkten die militärische Überwachung der libyschen Küste. Am Freitag kamen dann die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder zusammen, verlangten den sofortigen Rücktritt Gaddafis und verstärkten ihre militärischen Drohgebärden. Das alles dient dem Versuch, in Tripolis eine den internationalen Ölkonzernen und den strategischen Interessen der europäischen Mächte wohl gesonnene Regierung zu installieren.
Von der Europäischen Linkspartei hatten Lothar Bisky (Linkspartei, Deutschland), Marie-Christine Vergiat (Front de Gauche, Frankreich) und Miguel Portas (Bloco de Esquerda, Portugal) die Resolution mit eingebracht. Bisky ist er der Fraktionsvorsitzende der gemeinsamen Fraktion der Partei der Europäischen Linken und der Nordisch grün-linken Allianz im Europäischen Parlament (GUE/NGL). Er war noch bis zum Mai letzten Jahres an der Seite von Oskar Lafontaine Vorsitzender der deutschen Linkspartei und bis zum Dezember ebenfalls Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken. Marie-Christine Vergiat ist Schatzmeisterin der GUE/NGL und die Chefin ihrer französischen Delegation.
Mit ihrer Unterstützung für die überparteiliche Resolution wandten sich Bisky, Vergiat und Portas gegen eine zuvor erarbeitete Resolution, die von ihrer eigenen Fraktion eingebracht wurde. Diese Resolution spricht sich explizit gegen „jegliche ausländische Militärintervention zur Lösung der Krise in Libyen” aus. Einen Spagat der besonderen Art versuchten Bisky und Co. dann, als sie zunächst in einer Sonderabstimmung gegen den Artikel zehn der Resolution, kurz darauf aber in der eigentlichen Abstimmung für die gesamte Resolution inklusive Artikel zehn stimmten.
Die Junge Welt berichtet, ursprünglich sei sogar beabsichtigt gewesen, dass die drei Abgeordneten die Resolution des Parlaments im Namen der gesamten Fraktion unterzeichnen. Dieser Plan sei aber nach Protesten von anderen Abgeordneten wieder fallengelassen geworden. Neben Bisky, Vergiat und Portas stimmten noch acht weitere Mitglieder der GUE/NGL-Fraktion der Parlamentsresolution zu – unter ihnen auch der Vorsitzende der französischen Linkspartei Jean-Luc Mélenchon. Weitere neun enthielten sich der Stimme, so dass lediglich 15 der insgesamt 35 Fraktionsmitglieder explizit gegen die Unterstützung für eine militärische Intervention in Libyen votierten.
Nach der Abstimmung gab Bisky dann gemeinsam mit fünf weiteren EU-Abgeordneten der Linkspartei eine Presseerklärung heraus, in der es zynisch heißt: „Zugleich lehnen wir jede militärische Intervention ab. Wir halten die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch, auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift. Ein Flugverbot birgt immer die Gefahr in sich, militärisch durchgesetzt zu werden. Dies würde die EU-Mitgliedstaaten in eine militärische Auseinandersetzung führen. Diese aber führt sicher nicht zur Stärkung der Demokratiebewegungen von Marokko bis Jemen.”
Der krasse Widerspruch zwischen Biskys Einsatz für die überparteiliche Resolution des EU-Parlaments und der offiziellen Linie seiner Partei zeigt, was von dem linken Gerede der Linkspartei zu halten ist. Bislang konnten sich die Vertreter dieser Partei noch den Luxus erlauben, bei Abstimmungen über militärische Interventionen mit „Nein” zu stimmen, weil es auf ihre Stimmen nicht ankam. Aber jetzt hielt es die Führung der Linkspartei offenbar für notwendig, ein klares Signal der Unterstützung an die herrschende Elite zu senden. Bisky ist nach wie vor eine wichtige Führungsfigur in der Partei, und man kann davon ausgehen, dass er seine Arbeit im Europäischen Parlament mit seinen Führungskollegen eng abstimmt.
Bislang hat sich die Führung der Linkspartei mit öffentlichen Äußerungen zu Biskys Abstimmungsverhalten auffallend zurückgehalten. Würde diese Partei ihre verbale Ablehnung von Militäreinsätzen auch nur ansatzweise ernst nehmen, hätte sofort die Forderung nach einem Ausschluss Biskys oder zumindest nach seinem Rücktritt von allen Ämtern laut werden müssen. Doch niemand in der gesamten Partei hat bislang auch nur ansatzweise etwas Ähnliches zur Debatte gestellt. Der Parteivorstand hat sich jeder offiziellen Stellungnahme enthalten. Stattdessen übt sich die Partei im Kleinreden und Vertuschen.
So erklärte Thomas Händel, einer von zwei Sprechern der deutschen Delegation in der GUE/NGL-Fraktion, im Neuen Deutschland vom Samstag, er sähe keinen Konflikt in der Delegation, es gebe lediglich „Diskussionsbedarf“.
Biskys Zustimmung zur Parlamentsresolution rechtfertigte Händel damit, dass „dort eben nicht nur die Frage der Flugverbotszonen aufgeführt“ sei. Es gehe auch um Forderungen nach einer Isolation des Gaddafi-Regimes. „Das sind Kernelemente, die man unterstützen kann und muss. Und es sind Punkte, die wir jetzt noch mit unserer weiteren Arbeit im Europäischen Parlament vertiefen müssen.“
Händels Rechtfertigung verrät mehr, als er selbst beabsichtigt hat. Er und die Fraktion der Linkspartei stimmen in allen wesentlichen Punkten mit der Libyen-Politik der anderen Parteien im EU-Parlament überein. Diese ist darauf ausgerichtet, die europäischen Interessen in dem ölreichen Land zu wahren und die Revolution im gesamten arabischen Raum zu ersticken, bevor sie imperialistische und kapitalistische Interessen bedroht.
An der Spitze des Nationalen Übergangsrats, dessen Anerkennung durch die EU Händel und die GUE/NGL-Fraktion offenbar befürworten, stehen ehemalige Minister Gaddafis, die sich in letzter Minute von ihm abgewandt und den internationalen Ölkonzernen die Fortsetzung ihrer Verträge garantiert haben. Den verarmten libyschen Massen haben sie ebenso wenig zu bieten, wie der Herrscher in Tripoli.
Lediglich einer Militärintervention, der logischen Schlussfolgerung aus der gesamten politischen Linie der Resolution, will Händel – noch – nicht zustimmen. Bisky ist da schon ein Schritt weiter.
Für alle, die in Nordafrika und Europa ernsthaft gegen Militarismus und soziale Angriffe kämpfen wollen, sollte Biskys Stimme für eine Militärintervention in Libyen eine wichtige Lehre sein. Werden die Interessen der Herrschenden ernsthaft bedroht, stehen Bisky und die Linkspartei auf ihrer Seite. Die gleiche verbrecherische Rolle, die diese vermeintlich linken Kräfte jetzt in Bezug auf die Revolutionen im Nordafrika spielen, werden sie auch in Europa übernehmen, sobald sich Widerstand gegen die nächste Runde sozialer Angriffen regt.