US-Wirtschaftsboom ist eine Illusion

Kommentare über den Zustand der US-Wirtschaft konzentrieren sich in der Regel auf deren vordergründige Stärke und auf Prognosen für die Zukunft, die nicht über die möglichen Auswirkungen von Zinserhöhungen oder -senkungen durch die US-Notenbank hinausgehen.

So wird darauf hingewiesen, dass das Wachstum in den USA höher ist als in Europa und Japan; dass die chinesische Wirtschaft schwächelt und die Aussichten, dass ihr Bruttoinlandsprodukts (BIP) das der USA übertrifft, schwinden; dass die Verbraucherausgaben in den USA „robust“ bleiben; dass der Aktienmarkt dank des Technologiebooms weiterhin Rekordstände erreicht; dass die offizielle Arbeitslosenquote historisch niedrig ist und dass die USA nach der höchsten Inflation seit vier Jahrzehnten eine „weiche Landung“ hingelegt haben.

Ein Händler an der New Yorker Börse [AP Photo/Craig Ruttle]

Doch ab und zu gibt es eine Ausnahme. Dann schaut jemand „unter die Motorhaube“, um die darunter liegenden Prozesse zu ergründen. Das Resultat ist dann ein völlig gewandeltes Bild.

Ein Beispiel dafür ist ein Artikel, der am Dienstag in der Financial Times erschien. Er stammt von Ruchir Sharma, dem Vorsitzenden von Rockefeller International, und trägt den Titel „Der US-Boom ist eine Fata Morgana“.

Am selben Tag, an dem Millionen von US-Amerikanern zu den Wahlurnen gingen, wies er auf den Widerspruch zwischen dem offiziellen Narrativ und der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung hin, die von ihren Alltagserfahrungen ausgeht.

Obwohl die Wirtschaft mit einem durchschnittlichen Wachstum von fast drei Prozent in neun aufeinanderfolgenden Quartalen ungewöhnlich stark sei und ausländische Anleger die Aktienmärkte auf Rekordhöhen treiben würden, „bleiben die Wähler pessimistisch in Bezug auf ihre wirtschaftliche und finanzielle Situation“.

Warum das so ist, wird im Rest des Artikels anhand von Daten erläutert. Das alte Sprichwort aus der Kennedy-Ära, dass „steigende Fluten alle Schiffe heben“, gilt nicht mehr, wenn es denn jemals wirklich zutraf.

Sharma erklärt, dass „das US-Wachstum für die meisten Amerikaner eine Fata Morgana“ sei, die von wachsendem Reichtum und steigenden Konsumausgaben der Reichsten angetrieben werde. Außerdem sei es „verzerrt durch die steigenden Gewinne der größten Unternehmen“ und „stark abhängig von Kreditaufnahme und Staatsausgaben“.

Was den angeblich „unsinkbaren“ amerikanischen Verbraucher betrifft, so können sich immer mehr Amerikaner kein Eigenheim mehr leisten und geraten in die Schuldenfalle.

„Auf die unteren 40 Prozent der Einkommensbezieher entfallen jetzt 20 Prozent aller Ausgaben, auf die reichsten 20 Prozent dagegen 40 Prozent. Das ist die größte Kluft seit Beginn der Aufzeichnungen, und sie wird wahrscheinlich noch größer werden“.

Offiziellen Angaben zufolge ist die Inflation zwar rückläufig, aber die Preissteigerungen der Vergangenheit wurden nicht rückgängig gemacht, sodass die meisten „Amerikaner inzwischen so viel für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel ausgeben, dass ihnen nur noch wenig für Extras wie Reisen oder Restaurantbesuche übrigbleibt“.

Man könnte noch weitere Zahlen zur Ungleichheit anführen, etwa dass eine winzige Elite mehr Vermögen besitzt als die untere Hälfte der Bevölkerung und dass das Vermögen der US-Milliardäre inzwischen bei 5,5 Billionen Dollar liegt, nachdem es seit Beginn der Pandemie um mehr als 90 Prozent gewachsen ist.

Sharma charakterisierte die US-Wirtschaft als eine vergoldete Wirtschaft mit einer „glänzenden, aber dünnen Fassade“.

„Im Unternehmenssektor machen die zehn größten Unternehmen 36 Prozent der Marktkapitalisierung aus – das ist der höchste Wert seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1980. Die wertvollste US-Aktie wird 750-mal höher gehandelt als jede Aktie im untersten Viertel – vor zehn Jahren war es nur das 200-fache, und das ist die größte Kluft seit den frühen 1930er Jahren.“

Kleinere Unternehmen werden von Ängsten und wirtschaftlicher Unsicherheit geplagt, und ihr „Vertrauen ist auf einem Tiefpunkt, wie man ihn außerhalb von Rezessionen selten erlebt“.

Einer der Hauptindikatoren für die sich entwickelnde Krise des US-Kapitalismus – Sharma nennt es nicht Krise, aber die von ihm angeführten Zahlen deuten darauf hin – ist der Anstieg des Staatsdefizits und der Staatsverschuldung. Das Haushaltsdefizit hat sich in den letzten zehn Jahren auf sechs Prozent des BIP verdoppelt und wird voraussichtlich weiter steigen.

Die Gesamtverschuldung, die sich derzeit auf fast 36 Billionen Dollar beläuft, ist in den letzten zehn Jahren um 17 Billionen Dollar gestiegen, „damit ist sie in zehn Jahren so stark gewachsen wie in den 240 Jahren zuvor – fast bis zurück zur Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten“.

Die finanziellen Implikationen sind beträchtlich. Nach dem Ende der Nullzinsphase vor zwei Jahren sind die Finanzinvestoren, gemeinhin als „Bond Vigilantes“ bekannt, „aus einem langen Dornröschenschlaf erwacht und haben begonnen, Länder für fiskalische Verschwendung zu bestrafen, angefangen bei Frontier-Märkten wie Sri Lanka und Ghana über Schwellenländer wie Brasilien und die Türkei bis hin zu Industrieländern, zuerst Großbritannien und jetzt Frankreich“.

Die USA seien aufgrund der Rolle des Dollars als Weltwährung noch nicht betroffen, aber „kein Land ist für immer immun“.

Der Artikel schließt mit mit der Bemerkung: „Imperien sind oft gescheitert, wenn sie ihre eigenen Schulden nicht mehr bedienen konnten, und so wie sich die USA entwickeln, könnte ihr nächster Präsident diese Lektion auf die harte Tour lernen.“

Wie Sharma richtig feststellt, wird die sich verschlechternde Finanzlage eher früher als später erhebliche politische Auswirkungen haben. Die nächste Regierung wird die Angriffe auf die Arbeiterklasse in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verschärfen müssen.

Trumps Präsidentschaft hält für die Teile der Arbeiterklasse einen großen politischen Schock bereit.

Trump und die führenden Kräfte in seinem Umfeld versuchen, eine faschistische Bewegung zur gewaltsamen Unterdrückung der Arbeiter aufzubauen. Dafür haben sie die Unterstützung von nicht unbedeutenden Teilen der kapitalistischen Oligarchie, nicht nur von Elon Musk, sondern auch von anderen wie dem Milliardär und Chef des Blackstone-Hedgefonds Steven Schwartzman. Andere haben deutlich gemacht, dass sie sich mit einer Trump-Präsidentschaft arrangieren werden.

Die zig Millionen, die für Trump gestimmt haben, taten dies nicht, weil sie Anhänger von Faschismus und autoritären Herrschaftsformen wären – ganz im Gegenteil. Einer der wichtigsten Faktoren ist die seit langem bestehende Ablehnung der Demokraten, die durch die schweren Einschnitte in den Lebensstandard während der vierjährigen Biden-Harris-Regierung noch verstärkt wurde.

Trumps Wahlkampf bestand aus zwei Komponenten: einer bösartigen Kampagne gegen Einwanderer und Asylbewerber, die zu Sündenböcken für die wirtschaftlichen und sozialen Missstände des Landes gestempelt wurden, und quacksalberische Behauptungen, er werde die Wirtschaft auf magische Weise wieder in Ordnung bringen.

Insoweit vom Trump-Lager überhaupt konkrete wirtschaftliche Maßnahmen vorgeschlagen wurden, basieren sie auf der Behauptung, dass massive Zollerhöhungen und Steuersenkungen einen Wirtschaftsboom zur Folge haben werden, der höhere Löhne, mehr Arbeitsplätze, den Schutz der Sozialversicherungssysteme, Verbesserungen im Bildungswesen und andere Vorteile mit sich bringen werde. Man hat den Eindruck, es fehlt nur noch die wundersame Heilung von Krebs.

In einer Rede vor dem Economic Club of New York während seines Wahlkampfs zitierte Trump die Regierung von Präsident McKinley in den 1890er Jahren, als Zölle die Haupteinnahmequelle der Regierung waren. Dies, so Trump, könne künftig wieder so sein. Wie lächerlich ein solches Programm ist, wird sofort deutlich, wenn man sich die enormen Veränderungen vor Augen führt, die sowohl in der US- als auch in der Weltwirtschaft in den 130 Jahren seitdem stattgefunden haben.

Die objektive wirtschaftliche Realität durchbricht selbst die Rhetorik der überzeugendsten Marktschreier. Wie Sharmas Artikel zeigt, ist die objektive Realität der US-Wirtschaft nicht mehr von der aufstrebenden imperialistischen Macht, die sie zu McKinleys Zeiten war, sondern von tiefer innerer Fäulnis und Verfall gekennzeichnet.

Wenn die Arbeiterklasse mit dieser Realität unter der neuen Trump-Administration konfrontiert wird, was eher früher als später der Fall sein wird, wird die Reaktion heftig sein, wenn die wütenden Arbeiter erkennen, dass sie betrogen wurden.

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