Gesundheitsminister Lauterbach plant Einschnitte bei der Pflege

Nachdem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Ampel-Regierung mit der Krankenhausreform die Gesundheitsversorgung massiv angegriffen haben, plant die Regierung die nächsten Kürzungen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach [Photo by Raimond Spekking / Wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Ende Mai sprach Lauterbach in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem „akuten Problem in der Pflegeversicherung“. In den letzten Jahren sei „die Zahl der Pflege­bedürftigen geradezu explosionsartig gestiegen“, behauptete der Minister. „Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000.“

Lauterbach betreibt ein Spiel mit falschen Zahlen, um einen Vorwand für eine rasche „Reform“ – sprich: massive Einschnitte – in die Pflegeversicherung zu liefern. Nimmt man seine Aussage wörtlich, könnte man glauben, die Zahl der Pflegebedürftigen sei im vergangenen Jahr schlagartig auf das Siebenfache des Erwarteten gestiegen. Das ist aber gelogen.

2017 wurde die Pflegebedürftigkeit neu definiert. Seither gibt es auch bei Demenz und ähnlichen Erkrankungen einen Anspruch auf Pflege. Bereits damals war klar, dass die Zahl der Pflegebedürftigen um mindestens 200.000 pro Jahr ansteigen würde, und nicht nur um die 50.000, mit denen aus demografischen Gründen ohnehin zu rechnen war.

Tatsächlich stieg die Zahl pro Jahr um durchschnittlich 326.000. 2023 erhöhte sie sich um 361.000, also 35.000 mehr als im Schnitt der vorangegangenen Jahre. Bei einer Gesamtzahl von über 5 Millionen Pflegebedürftigen ist dies kein „explosionsartiger Anstieg“.

Lauterbach selbst geht davon aus, dass eine tiefgreifende Reform der Pflegeversicherung erst in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden kann. Daher gibt es noch kaum Details zu den Plänen. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass unter anderem die kostenintensiven Versorgungsformen im stationären Bereich zugunsten einer günstigeren ambulanten Versorgung schlechter finanziert werden sollen; und vor allem soll die private Vorsorge ausgebaut werden.

Aktuell arbeitet eine Expertenkommission Vorschläge zur „zukunftssicheren Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung” aus. Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Parteien auf die Einsetzung einer solchen Kommission verständigt.

Allen bisher bekannten Informationen zufolge steht dabei die ergänzende private Vorsorge im Zentrum, d.h. nur wer es sich leisten kann, soll künftig adäquat versorgt werden. Nicht ohne Grund begrüßt der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) dahingehende Vorschläge.

Nachdem bereits im letzten Jahr die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung erhöht wurden, sollen sie ab 2025 erneut steigen. Damit wird die Belastung der Lohnabhängigen weiter zunehmen. „Die Pflegekassen gehen davon aus, dass die Finanzmittel im ersten Quartal 2025 insgesamt weniger als eine Monatsausgabe betragen. Für diesen Fall darf die Bundesregierung den Beitragssatz per Rechtsverordnung anheben“, erklärte etwa der Verband der Ersatzkassen NRW gegenüber der Rheinischen Post.

Unabhängig von den Plänen der Regierung, zeigen die Zahlen, wie angespannt die Situation der Pflegeversicherung ist. Der Pflegebereich, ebenso wie das gesamte Gesundheitswesen, werden seit Jahrzehnten kaputtgespart und stürzen von einer Krise in die nächste.

Experten rechnen damit, dass in den nächsten 15 Jahren über eine Million zusätzliche Pflegebedürftige zu den bereits fünf Millionen hinzukommen werden. Gernot Kiefer, der Vorstand des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), schätzt, dass bis zum Jahr 2040 1,5 bis über 2,5 Millionen pflegebedürftige Menschen neu hinzukommen. Damit würde die Zahl der Pflegebedürftigen auf 6,8 bis 8 Millionen ansteigen.

Dieser Anstieg bedeutet, dass der Bedarf an Pflegekräften außerordentlich zunimmt. Nach konservativen Schätzungen werden in den nächsten 25 Jahren 280.000 bis 690.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Wobei die Präsidentin des deutschen Pflegerats, Christine Vogler, erwartet, dass in den nächsten zehn Jahren schon 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. Schon zum jetzigen Zeitpunkt fehlen 115.000 Pflegekräfte in Vollzeit.

Im letzten Jahr mussten durchschnittlich pro Tag zwei Pflegeeinrichtungen Insolvenz anmelden. Ende 2023 war mehr als jede dritte Einrichtung in den roten Zahlen. 33 Pflegeheime, 80 Pflegedienste und 37 Tagespflegen mussten im ersten Quartal 2024 geschlossen werden. Grund dafür waren die finanzielle Schieflage und fehlende Pflegefachkräfte.

Zahlreiche Pflegekräfte arbeiten heute oft in Teilzeit, weil die Arbeitsbelastung extrem hoch ist. Zudem kommen wegen dem enormen Stress viele Ausfälle aufgrund von Krankheit dazu. Fehlendes Personal sowie häufige Unterbesetzung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern können zudem die Patientensicherheit negativ beeinflussen, was zu pflegerischen Komplikationen oder auch zu Todesfällen führen kann. Das zeigte sich jüngst im Pflegeheim „Am Schloß Friedrichsfelde“ in Berlin-Lichtenberg. In der Nacht vom 15. April rief eine Altenpflegerin aus Verzweiflung Polizei und Feuerwehr, weil keine Pflegefachkraft für die Nachtschicht vorhanden war.

Gleichzeitig explodieren die Kosten für Pflegebedürftige und deren Angehörige. Im Durchschnitt liegen die Kosten für den Eigenanteil aktuell bei 2.783 Euro im Monat. 2017 waren es noch 1.690 Euro, was einer Steigerung von 65 Prozent entspricht.

Der Eigenanteil für die stationäre Pflege liegt in Berlin über 2.500 Euro pro Monat im ersten Jahr. Die durchschnittliche Rente eines Berliners liegt dagegen gerade einmal bei 1.500 Euro. Spätestens mit dem Pflegefall rutschen damit viele in die Altersarmut. Ein Drittel der Pflegeheimbewohner ist deshalb auf die „Hilfe zur Pflege“ durch den Sozialhilfeträger angewiesen, was auch bedeutet, dass zunächst fast die gesamten Ersparnisse aufgebraucht werden müssen.

17,5 Prozent der Rentner gelten in Deutschland als arm und 660.000 der über 65-Jährigen sind auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. In den letzten Jahren gehörten besonders die hohe Inflation, stark gestiegene Energiepreise sowie explodierende Mieten zu den Hauptfaktoren für Armut.

Um die massiven Probleme im Gesundheits- und Pflegebereich zu beheben, wären erhebliche Investitionen in Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen für Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte in diesen Bereichen notwendig. Darüber hinaus muss eine hochwertige Versorgung für die wachsende Zahl an Pflegebedürftigen sichergestellt werden.

Wie die Krankenhausreform gezeigt hat – und dies wird auch die Reform der Pflegeversicherung bestätigen – werden die Mittel für Gesundheit und Pflege immer weiter gekürzt. Die Regierungsparteien, wie alle etablierten Parteien, stecken stattdessen jeden Cent in Militarisierung und Krieg. Der aktuelle Kriegshaushalt beläuft sich laut den jüngsten Angaben der Regierung auf über 90 Milliarden Euro. 2022 lag er noch bei 57,8 Milliarden. Der Haushalt für Gesundheit wurde im gleichen Zeitraum von 64,4 Milliarden Euro auf 16,7 Milliarden Euro eingestampft.

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