Scholz beharrt auf Schuldenbremse: Sozialabbau für Rüstung und Krieg

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in den vergangenen Tagen zwei Mal ausführlich zu seiner Politik geäußert. Am 11. Mai beantwortete er in der Talkreihe „RND vor Ort“ 75 Minuten lang Fragen der Moderatoren und des Publikums, und am 13. Mai veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Stern ein langes Interview mit dem Kanzler.

Bundeskanzler Scholz beim Truppenbesuch in Litauen [Photo by Bundesregierung/Bergmann]

Scholz machte vor allem zwei Dinge deutlich: Trotz der wachsenden Opposition gegen die Kriege in Gaza und der Ukraine hält er unnachgiebig daran fest, diese Kriege mit allen verfügbaren Mitteln zu unterstützen. Und er ist entschlossen, die explodierenden Kosten des militärischen Wahnsinns in Form von Sozialkürzungen, sinkenden Reallöhnen und Massenentlassungen auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen.

Die Frage, ob es für Deutschland eine rote Linie gegenüber Israel gebe, beantwortete er im RND-Talk klar mit Nein. Er wich zwar einer direkten Antwort aus, wiederholte aber die stereotype Formel: „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen und die Hamas zu bekämpfen“, mit der die Bundesregierung bisher sämtliche Kriegsverbrechen des Netanjahu-Regimes gerechtfertigt hat.

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Scholz stellte sich auch hinter die gewaltsame Unterdrückung pro-palästinensischer Proteste in Deutschland. „Wir haben sehr klare Gesetze, was Versammlungen betrifft, wir haben auch viele Dinge, die verboten sind, da müssen die Sicherheitsbehörden gegen vorgehen,“ antwortete er auf entsprechende Fragen.

Was den Krieg mit Russland betrifft, brüstete sich der Kanzler, dass Deutschland der größte Unterstützer der Ukraine in ganz Europa und nach den USA der zweitgrößte der Welt sei. Allein die bisher geleistete und zugesagte Waffenhilfe belaufe sich auf 28 Milliarden Euro. Im Stern-Interview warf er anderen europäischen Ländern vor, nicht gleichzuziehen. Deutschland habe „Patriot-Luftabwehr-Systeme, Kampfpanzer, Mehrfach-Raketenwerfer, anderes schweres Gerät“ geliefert, sagte er. „Leider gibt es längst noch nicht genügend Nachahmer.“

Nachdem er wochenlang zu der Frage geschwiegen hatte, bekannte sich Scholz im Stern-Interview auch uneingeschränkt zur Einhaltung der Schuldenbremse im Haushalt für das kommende Jahr.

Zwischen den Ministerien toben seit Wochen heftige Auseinandersetzungen, weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) darauf beharrt, die bereits bestehenden Haushaltslöcher, die explodierenden Kosten für Krieg und Aufrüstung sowie alle anderen zusätzlichen Ausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen, um die von der Verfassung vorgeschriebene Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP nicht zu überschreiten.

Eine Erhöhung der Einnahmen, etwa durch eine Steuer auf die Vermögen der mittlerweile 226 deutschen Milliardäre oder auf Spekulationsgewinne mit Aktien und Immobilien, lehnt Lindner strikt ab. Er will die Steuern im Gegenteil weiter senken. Einige Vertreter von SPD und Grünen haben deshalb vorgeschlagen, die Schuldenbremse wie 2023 noch einmal auszusetzen oder die entsprechenden Vorschriften in der Verfassung zu ändern, was die FDP kategorisch zurückweist. Die Zeit drängt, da das Kabinett den Haushaltsplan 2025 am 3. Juli verabschieden will.

Nun hat sich der Bundeskanzler hinter Lindner gestellt und diesem den Rücken gestärkt. Der Finanzrahmen für den Bundeshaushalt sei durch die Steuereinnahmen und die Verfassung vorgegeben, sagte er dem Stern. Die vom Finanzminister genannten Limits seien mit ihm abgesprochen.

Gewaltiger Sozialabbau

Was das bedeutet, lässt sich leicht abschätzen: Gewaltige Kürzungen bei den Ausgaben für Soziales, Klimaschutz, Infrastruktur und andere Bereiche, die im gesellschaftlichen Interesse sind und nicht der Bereicherung einiger weniger dienen.

Die Löcher im Bundeshaushalt sind riesig und werden täglich größer. Schon jetzt klafft, gemessen am 2023 beschlossenen dreijährigen Finanzplan, eine Lücke von 30 Milliarden Euro. Am Donnerstag vergrößerte sie sich um weitere 11 Milliarden. Die neue Steuerschätzung ergab, dass die Steuereinnahmen wegen der schleppenden Konjunktur weit geringer ausfallen, als noch vor einem halben Jahr angenommen. Bis 2028 fehlen Bund, Ländern und Gemeinden zusammen mehr als 80 Milliarden Euro im Vergleich zur Schätzung vom November letzten Jahres. Knapp die Hälfte davon entfällt auf den Bund.

Finanzminister Lindner kommentierte die Steuerschätzung mit den Worten: „Wir müssen uns von unrealistischen Wünschen verabschieden und die Konsolidierung des Haushalts vorantreiben. Dies erfordert Disziplin und Willenskraft.“

Viele Ausgaben lassen sich nicht reduzieren. So zahlt der Bund im laufenden Jahr aufgrund der gestiegenen Zinsen allein für den Schuldendienst knapp 37 Milliarden Euro, so viel wie für Bildung, Forschung und Gesundheit zusammen. 2022 waren es noch 15 Milliarden gewesen. Und die gewaltigen Kosten für Krieg und Aufrüstung reißen ein weiteres tiefes Loch in den Bundeshaushalt. Alle Parteien der Ampel-Koalition sind sich einig, dass das 2-Prozent-Ziel der Nato eingehalten und die Unterstützung der Ukraine und Israels fortgesetzt werden müssen.

Scholz stellte im Stern-Interview klar, dass dies weitere Kürzungen an anderer Stelle bedeutet: „Die finanziellen Folgen des Ukrainekriegs spürt jeder von uns, die Kosten für Flüchtlinge, Waffenlieferungen und Aufbauhilfen. Wer sagt, das mache sich im Haushalt kaum bemerkbar, irrt.“

Der Rest des Interviews diente vor allem dazu, den Lesern Sand in die Augen zu streuen. So behauptete Scholz, man werde sich „weder am sozialen Zusammenhalt versündigen noch darauf verzichten, das Wachstum anzukurbeln“. Auch eine weitere Anhebung des Rentenalters werde es mit ihm nicht geben.

Scholz weiß, dass dies Lügen sind. Die Einhaltung dieses Versprechens käme der Quadratur des Kreises gleich. Es ist offensichtlich, dass die geplanten Einsparungen im Haushalt nur mittels massiver Sozialkürzungen zu erreichen sind.

Die SPD versteckt sich in altbewährter Manier hinter der FDP, um soziale Angriffe vorzubereiten, die sie selbst plant. Schon die Regierungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt hatten sich in den 1970er Jahren dieser Methode bedient. Die FDP und ihr Chef Lindner, der vor zwei Jahren eine dreitägige Luxushochzeit auf Sylt zelebrierte, verkörpern eine Schicht gesellschaftlicher Aufsteiger, die den Hals nicht voll genug bekommen können, während sie von den Armen verlangen, den Gürtel ständig enger zu schnallen.

Die FDP hat in den vergangenen Wochen erst ein 12- und dann ein 5-Punkte-Papier präsentiert, die Steuersenkungen, eine Kürzung des Bürgergelds, ein Moratorium für Sozialleistungen, die Abschaffung der Rente mit 63 nach 45 Arbeitsjahren, eine Kürzung der Renten sowie weiteren Sozialabbau fordern. SPD-Politiker wie Arbeitsminister Hubertus Heil empören sich öffentlich über diese Forderungen – um sie hinterher zu verwirklichen.

Es gibt keine andere Partei in Deutschland, die derart drastische Sozialkürzungen zu verantworten hat, wie die SPD. 2003 schuf die SPD-geführte Regierung von Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 einen riesigen Niedriglohnsektor. Als Folge verdienen heute in Deutschland 8,4 Millionen Menschen weniger als 14 Euro Stundenlohn. 2006 brachte SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre auf den Weg.

Der Sozialabbau ist dabei nur eine Front im Krieg gegen die Arbeiterklasse. Die Reallöhne sind in den vergangenen Jahren massiv gesunken, weil die Gewerkschaften alle Tarifkämpfe abgewürgt und Abschlüsse weit unter der Inflationsrate vereinbart haben. In der Zuliefer-, der Auto-, der Chemie- und anderen Industrien, im Einzelhandel und in anderen Branchen jagt eine Entlassungswelle die nächste.

Krieg und Klassenkrieg

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Kriegsvorbereitungen gegen China und der Klassenkrieg gegen die Arbeiterklasse sind untrennbar miteinander verbunden. Sie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wie vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg steckt der globale Kapitalismus in einer Sackgasse, aus der die herrschende Klasse keinen Ausweg findet – außer Krieg nach außen und nach innen.

Die britische Wochenzeitschrift The Economist hat kürzlich ein Editorial veröffentlicht, das dies in bemerkenswerter Offenheit eingesteht. Auf den ersten Blick sehe die Weltwirtschaft beruhigend widerstandsfähig aus, heißt es darin. Schaue man jedoch genauer hin, erkenne man Zerbrechlichkeit:

Seit Jahren ist die Ordnung, die die Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hat, erodiert. Heute steht sie kurz vor dem Zusammenbruch. Eine besorgniserregende Anzahl von Auslösern könnte einen Abstieg in die Anarchie auslösen, in der Macht vor Recht geht und Krieg wieder das Mittel der Großmächte ist.

Der Artikel weist auf die Zunahme von Sanktionen und Subventionswettläufen, die Fragmentierung globaler Kapitalströme, den Autoritätsverlust internationaler Institutionen wie der WTO, des IWF und des Internationalen Gerichtshofs hin und zieht eine direkte Parallele zu den beiden Weltkriegen. Bisher sehe man die Folgen von Fragmentierung und Verfall der Weltwirtschaft nur, wenn man genau hinschaue, doch:

Leider zeigt die Geschichte, dass tiefere, chaotischere Zusammenbrüche möglich sind – und plötzlich eintreten können, sobald der Niedergang einsetzt. Der Erste Weltkrieg beendete ein goldenes Zeitalter der Globalisierung, von dem viele damals annahmen, es würde ewig dauern. … Heute scheint ein ähnlicher Bruch nur allzu vorstellbar.

Die Krise hat bereits ein Stadium erreicht, in dem die Entscheidungen der Regierungen wie blanker Wahnsinn erscheinen. Sie eskalieren den Krieg gegen Russland, auch wenn sie damit eine nukleare Katastrophe riskieren, die von Europa nicht übrigließe. Nach den verheerenden Kriegen in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien setzen sie erneut den Nahen Osten in Brand. Sie bereiten einen Krieg gegen die Atommacht China vor und verschärfen den Handelskrieg, auch wenn sie sich damit ins eigene Fleisch schneiden.

So überlegt die Europäische Union, hohe Strafzölle auf chinesische Produkte zu verhängen, nachdem die USA dies getan haben. Die Folgen wären verheerend, da China mit Gegenmaßnahmen reagieren und sich der Handelskrieg immer weiter hochschaukeln würde.

Vor allem die deutsche Autoindustrie wäre schwer getroffen. Zehntausende weitere Arbeitsplätze wären gefährdet. So wird jeder zweite in Deutschland gebaute Mercedes der S-Klasse und jeder zweite BMW der Siebener-Klasse nach China exportiert, während umgekehrt die Elektroversion mehrerer Modelle (BMW X3, Mini, Smart) weitgehend in China gefertigt werden.

Doch die Krise hat längst ein Stadium erreicht, in dem die Herrschenden nicht mehr zu rationalen Entscheidungen fähig sind. Sie werden von objektiven gesellschaftlichen Widersprüchen getrieben, über die sie keine Kontrolle haben. Das kapitalistische Privateigentum und der Nationalstaat, auf dem es beruht, vertragen sich nicht mit dem globalen Charakter der modernen Produktion. Um ihre Profite, ihren Reichtum und ihre Privilegien zu verteidigen, setzen sie auf die Neuaufteilung der Welt durch Krieg, verschärfte Ausbeutung und Diktatur.

Dabei verschmelzen die Unterschiede zwischen den Parteien. Stand die SPD früher für soziale Reformen und die Grünen für Umweltschutz und Pazifismus, sind sie heute Vorreiter des Sozialabbaus, des Militarismus und der Staatsaufrüstung. Dasselbe gilt für die Linkspartei und die Gewerkschaften, die zu Co-Managern und einer Art Betriebspolizei der Konzerne verkommen sind.

Die Arbeiterklasse steht vor Kämpfen, denen sie nicht ausweichen kann. Sie muss sich darauf vorbereiten. Es gibt nur einen Weg, wie sie Krieg, sozialen Niedergang, Diktatur und Umweltzerstörung verhindern kann. Sie muss ihren Widerstand gegen Ausbeutung und Armut mit der wachsenden Opposition gegen Krieg verbinden. Sie muss sich international zusammenschließen und für den Sturz des Kapitalismus und für den Sozialismus kämpfen – für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse der Massen und nicht die Profitinteressen der Reichen den Ausschlag geben.

Diese Perspektive steht im Mittelpunkt der Europawahlkampagne der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP).

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