Nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds, das ein Milliardenloch in die Haushaltspläne der Bundesregierung gerissen hat, bereitet diese Sozialkürzungen von gewaltigem Ausmaß vor. Für die horrende Aufrüstung und die Milliardengeschenke an die Reichen sollen Gesundheit, Bildung und Wohnen verwüstet werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) verhandeln seit Sonntagnachmittag hinter verschlossenen Türen darüber, wie das Loch gestopft werden kann. Scholz kehrte deshalb einen Tag früher als geplant von einer Nahostreise zurück, und Habeck sagte einen geplanten Besuch der Weltklimakonferenz in Dubai ab. Bis zur Kabinettssitzung am Mittwoch will die Dreierrunde eine Grundsatzeinigung vorlegen, damit der Haushalt 2024 noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann. Ob dies gelingt, ist allerdings fraglich.
Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinem Urteil vom 15. November ein politisches Signal gesetzt. Es schwang sich zum obersten Richter in Haushaltsfragen auf, die in demokratischen Staaten traditionell das Vorrecht des Parlaments sind. Gestützt auf die sogenannte Schuldenbremse, die SPD und CDU/CSU 2009 gemeinsam im Grundgesetz verankert hatten, erklärte es den Nachtragshaushalt 2021, den der Bundestag rückwirkend beschlossen hatte, für verfassungswidrig und nichtig.
Damit fehlen im Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem klimafreundliche Technologien in der Stahlindustrie, Batterie- und Chipfabriken, die Sanierung der Bahn sowie zahlreiche andere Projekte finanziert werden, 60 Milliarden Euro. Die Projekte müssen nun gestrichen oder durch Einsparungen an anderer Stelle direkt aus dem Haushalt finanziert werden.
Das Urteil betrifft aber nicht nur den Klimafonds. Auch andere der insgesamt 29 Sondervermögen der Bundesregierung, die sich zusammen auf 870 Milliarden Euro belaufen, sind betroffen. Das gilt insbesondere für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) im Umfang von 200 Milliarden Euro, mit dem unter anderem Gas- und Strompreise subventioniert werden, die infolge der Sanktionen gegen Russland gestiegen sind. Hinzu kommen ähnliche Sondervermögen der Bundesländer.
Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem deutlich gemacht, dass es der Bundesregierung in der Haushaltspolitik in Zukunft genau auf die Finger schauen wird. So heißt es in dem Urteil, es unterliege „vollumfänglicher verfassungsgerichtlicher Prüfung“, ob eine außergewöhnliche Notsituation vorliege. Der Bundestag kann eine solche Notsituation beschließen, damit die Regierung die Schuldengrenze umgehen kann.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutet vor allem eines: Die Regierung muss die Milliardensummen, die sie in die Aufrüstung der Bundeswehr, in die Finanzierung des Ukrainekriegs, in Subventionen für Großkonzerne und in ähnliche Projekte steckt, noch weit brutaler aus der arbeitenden Bevölkerung herauspressen, als sie dies ohnehin schon getan hat.
Dabei sieht schon der bisherige Haushaltsentwurf die heftigsten Sozialkürzungen seit bestehen der Bundesrepublik vor. Gemessen an der Inflation sollte der Realhaushalt um 11,8 Prozent sinken. Allein der Gesundheitshaushalt wurde gegenüber 2022 bereits um drei Viertel von 64,4 auf 16,2 Milliarden Euro gekürzt. Der Bildungsetat wurde um 5,4, Wohnen um 5,1 Prozent reduziert. Diese Pläne sollen nun noch weit in den Schatten gestellt werden.
Das Verfassungsgericht tritt dabei als direktes Sprachrohr der Wirtschaftsverbände und der Reichen auf, die das seit langem fordern. „Unabhängig“ ist es nur formal, da es nicht an Weisungen der Regierung gebunden ist. Politisch ist es dagegen alles andere als unabhängig. Die beiden Richter, die das Urteil maßgeblich prägten, Berichterstatterin Sibylle Kessal-Wulf und Peter Müller, sind beide von der CDU/ CSU für ihr Amt nominiert worden, die gegen den Nachtragshashalt geklagt hat. Müller war von 1999 bis 2011 CDU-Ministerpräsident des Saarlands, bevor er als Verfassungsrichter nach Karlsruhe wechselte.
Der Ampel-Koalition bereitet das Urteil zwar Schwierigkeiten, es kommt ihr aber keineswegs ungelegen. Auch sie ist entschlossen, die Angriffe auf Einkommen und Sozialleistungen zu verschärfen. Nun kann sie sich dabei auf eine „unabhängige“ Instanz, das Bundesverfassungsgericht berufen.
Die SPD, die mit einer Unterbrechung seit 25 Jahren Mitglied der Bundesregierung ist und das Arbeits- und Sozialministerum führt, ist für Hartz IV, die Erhöhung des Rentenalters auf 67 und zahlreiche andere soziale Angriffe verantwortlich. Als Folge ihrer Politik hat die Zahl der Armen und Niedriglohnbeschäftigten Rekordniveau erreicht. Nun leitet sie gemeinsam mit FDP und Grünen eine neue Stufe des Sozialabbaus ein. Die Summen, um die es im Haushalt geht, lassen deren Dimension erahnen.
Für das laufende Jahr hat die Regierung einen Nachtragshaushalt beschlossen, der die erlaubte Schuldenobergrenze um 44,8 Milliarden Euro überschreitet. Um dies zu ermöglichen, soll der Bundestag unter Berufung auf die Energiekrise und die Kosten für den Aufbau nach der Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren für 2023 eine außergewöhnliche Notlage erklären.
Für das kommende Jahr schließt der Finanzminister die erneute Ausrufung einer außergewöhnlichen Notlage aus. Laut Lindner müssten dann im Kernhaushalt 17 Milliarden Euro eingespart werden. Andere Schätzungen gehen von weit höheren Summen aus. Laut Bundesrechnungshof fehlen der Regierung im kommenden Jahr 48,5 Milliarden Euro. Um sie auszugleichen müssten 8 Prozent aller Ausgaben eingespart oder neu finanziert werden.
Steuererhöhungen auf die Einkommen und Vermögen der Reichen, die seit Jahrzehnten stetig wachsen, schließen Regierung und Opposition kategorisch aus. Auch die Rüstungsausgaben, die im kommenden Jahr einschließlich der Nebenhaushalte über 89 Milliarden Euro ausmachen, wird die Bundesregierung nicht kürzen. Bundeskanzler Scholz hat der Ukraine eben erst eine Verdoppelung der jährlichen Militärhilfen auf 8 Milliarden Euro versprochen.
Auch die unter dem Sammelbegriff „Subventionen“ zusammengefassten Ausgaben wird die Bundesregierung kaum antasten. Zum einen stehen mächtige Lobbys dahinter – wie hinter der Steuerbefreiung von Flugbenzin (8,4 Milliarden) und Diesel (8,2 Milliarden) und den Vergünstigungen für große industrielle Stromverbraucher (13,6 Milliarden).
Die Abschaffung der Pendlerpauschale (sechs Milliarden) würde vor allem Arbeiter mit einem langem Arbeitsweg empfindlich treffen. Die Strom- und Gaspreisbremse (6,3 Milliarden) hat die Regierung bereits gestoppt, was die Strom- und Energiekosten für Privathaushalte weiter in die Höhe treiben wird.
An den zugesagten Subventionen aus dem Klimafonds, bei denen es sich teilweise auch schlicht um Handelskriegsmaßnahmen handelt, will die Regierung laut Kanzler Scholz festhalten. Hier sind 19 Milliarden für die Förderung von Wärmepumpen und Solardächern, vier Milliarden Zuschüsse für die Chipindustrie, drei Milliarden für Wasserstoffprojekte und zwei Milliarden für Ladesäulen vorgesehen.
Auch die Zinszahlungen an die Banken wird die Regierung nicht antasten. Sie sind mit einem Anteil von 8,7 Prozent der drittgrößte Posten des Bundeshaushalts und in den letzten zwei Jahren aufgrund steigender Zinsen explodiert – von vier Milliarden 2021 auf 40 Milliarden 2023.
Stattdessen stehen die Sozialausgaben im Zentrum der Sparbemühungen, die mit 185 Milliarden Euro 42 Prozent des Kernhaushalts ausmachen. Der größte Teil davon entfällt auf Renten.
Vertreter von CDU/CSU und FDP verlangen bereits massive Einschnitte bei der Kindergrundsicherung, beim Bürgergeld und bei den Renten. Die SPD ziert sich noch, aber jeder weiß, dass die Partei von Hartz IV und Agenda 2010 dazu bereit ist.
Finanzminister Lindner erwähnt als erstes stets den Sozialhaushalt, wenn er nach Kürzungsmöglichkeiten gefragt wird. Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hat die Mütterrente (19 Milliarden Euro) und die Rente mit 63 (13 Milliarden) in Frage gestellt.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte, die für Januar vorgesehene Erhöhung des Bürgergelds um ein Jahr zu verschieben und noch einmal völlig neu anzusetzen. Flüchtlinge und Asylsuchende, auch solche aus der Ukraine, sollen überhaupt kein Bürgergeld mehr bekommen. Ähnlich äußerte sich CDU-Chef Friedrich Merz.
Auch die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst, bei Bahn und Post, die dank der Mithilfe von Verdi und den anderen Gewerkschaften weit unter den Preissteigerungen liegen, dienen dazu, die Kosten des Militarismus und der Bereicherung der Reichen auf die Beschäftigten abzuwälzen.
Der Kampf dagegen erfordert den Aufbau einer Partei, die kompromisslos die Interessen der Arbeiterklasse vertritt und für ein internationales sozialistisches Programm kämpft – der Sozialistischen Gleichheitspartei.