Eine Großdemonstration von Bauern hat am Montag das Zentrum Berlins rund um das Brandenburger Tor und den Potsdamer Platz weitgehend stillgelegt. Über 6000 Fahrzeuge – größtenteils Traktoren, aber auch Lastwagen – waren während der Nacht auf vier Routen laut hupend in die Hauptstadt gerollt.
An der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor beteiligten sich laut Organisatoren 30.000 Teilnehmer. Die Polizei sprach von 8.500. Neben den Bauernverbänden hatten auch Vertreter des Transportgewerbes, der Fischerei und des Gastgewerbes zur Teilnahme aufgerufen.
Die Berliner Großdemonstration bildete den Abschluss einer Protestwoche, in der Bauern Autobahnen, Straßen und teilweise ganz Ortschaften blockiert hatten. Der Protest richtet sich gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung, die Landwirte besonders hart treffen. Die Regierung hatte ursprünglich beschlossen, die Steuervergünstigung für Agrardiesel und die KfZ-Steuerbefreiung von Agrarfahrzeugen vollständig zu streichen. Für die 250.000 landwirtschaftlichen Betriebe hätte dies eine zusätzliche Belastung von knapp einer Milliarde Euro im Jahr bedeutet.
Inzwischen hat die Regierung zwar die Streichung der KfZ-Steuerbefreiung zurückgenommen und den Abbau der Vergünstigung von Diesel auf drei Jahre gestreckt; doch das konnte die Bauern nicht besänftigen. Die Wut auf die etablierten Parteien im Allgemeinen und die Ampel-Koalition im Besonderen war auf der Kundgebung mit Händen zu greifen.
Auf den Traktoren prangten handgemalte Plakate mit Aufschriften wie: „Jetzt ist Schluss! Wir lassen uns das alles nicht mehr gefallen! Die Ampel muss weg!“, „Stoppt den Ampel-Wahnsinn“, „Hütet Euch vor Sturm und Wind. Und Bauern, die in Rage sind“, „Veruntreuung, Vetternwirtschaft, Kriegstreiberei. Nicht mit unseren Steuergeldern!“ und „Bauer sucht [Frau] fähige Regierung“.
Ein Nebenerwerbslandwirt aus Bernau, nördlich von Berlin, sagte der WSWS: „Es gibt keinen gesellschaftlichen Bereich, der nicht momentan derart heruntergewirtschaftet ist, dass überall Geld benötigt wird, das dann in Form von Steuern eingetrieben wird. Man hätte vor Jahren gegensteuern müssen. Jetzt sollen wir bezahlen, was die da oben angerichtet haben. Es gibt doch nichts mehr, was funktioniert in diesem Staat.“
Ein Rentner, der ihn begleitete, empörte sich über die hohen Rüstungsausgaben: „Mich treibt an, dass wir große Summen ausgeben, um Waffen zu liefern. Wir sind im Krieg. Jeden Tag sterben Menschen, und wir machen einfach weiter. Die Priorität Menschenleben, die gibt es nicht mehr. Das macht mich traurig und langsam auch wütend.“
Jugendliche trugen ein Plakat: „Eure Politik ist so schlecht wie unsere Schulbildung.“
Auf der Demonstration waren höchst unterschiedliche soziale Interessen vertreten. Die Teilnehmer erstreckten sich von gutsituierten Verbandsfunktionären über Großbauern und Kleinunternehmer bis zu Klein- und Nebenerwerbsbauern, LKW-Fahrern und Landarbeitern.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied, der die Hauptrede hielt und als Wortführer der Proteste auftritt, ist Großbauer, CDU-Politiker und Multifunktionär. Er lässt in der Nähe von Heilbronn einen Betrieb mit 360 Hektar bewirtschaften, während 86 Prozent aller Höfe kleiner als 100 Hektar sind. Er sitzt im Präsidium des Deutschen Raiffeisenverbandes, im Aufsichtsrat des Agrarkonzerns BayWa, im Beirat der DZ-Bank und im Vorstand des Verbands Süddeutscher Zuckerrübenanbauer. Der DBV gilt als Interessenvertretung der großen Agrarbetriebe und ist eng mit der Agrarwirtschaft verflochten.
Rukwied hatte Finanzminister Christan Lindner (FDP) als Redner eingeladen, der mit ohrenbetäubenden Buh-Rufen und „Hau ab“-Parolen empfangen wurde. Lindner konnte erst sprechen, nachdem sich Rukwied nachdrücklich für ihn eingesetzt hatte. Aber auch danach war er nur in den vordersten Reihen zu hören, da die Protestrufe gegen ihn immer wieder ausbrachen.
Lindner versuchte, sich an die Bauern anzubiedern, indem er „Verständnis“ für ihren Protest heuchelte und behauptete, er sei „beeindruckt von dem Zusammenhalt, den Sie hier zeigen“. Er hetzte gegen Klimakleber, die linksextremistisch unterwandert seien und das Brandenburger Tor beschmierten, während die Bauern es „als Symbol unserer nationalen Einheit“ feierten.
Er bemühte sich im Stil der rechtsextremen AfD, die Wut der Bauern auf Bedürftige und Migranten abzulenken: „Es ärgert mich, dass ich bei Ihnen als den fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun. … Deshalb kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber. Deshalb sparen wir 1 Milliarde Euro beim Bürgergeld.“
Doch dann verteidigte er knallhart die Kürzungen, zu denen auch die Landwirtschaft einen „fairen Beitrag“ leisten müsse. Es gehe ihm nicht darum, „die Landwirtschaft zu schwächen“, sondern „nachhaltiges Unternehmertum zu stärken“ – ein Synonym für die Fortsetzung des Höfesterbens unter dem Druck wachsender Kosten und sinkender Preise.
Nach der Kundgebung trafen sich Vertreter der Bauernverbände mit den Fraktionsvorsitzenden der drei Regierungsparteien – wie es scheint ohne Ergebnis. DVB-Präsident Rukwied kündigte danach weitere Proteste an, falls die Bundesregierung nicht von ihren Steuererhöhungsplänen abrücke. Er versprach aber auch, die Proteste sofort zu beenden, falls sie die geplante Kürzung der Vergünstigung für Agrardiesel zurücknehme.
In der Bevölkerung stoßen die Bauernproteste auf große Unterstützung. Viele Arbeiter sind der Ansicht, dass hier endlich jemand gegen die verhasste Politik der Ampel-Koalition auftritt, was die Gewerkschaften, die eng mit der Regierung zusammenarbeiten, systematisch verhindern.
Eine Umfrage des Senders MDR unter 35.000 Nutzern ergab, dass 90 Prozent Verständnis für die Blockaden und Sperren äußerten, selbst wenn sie selbst unmittelbar davon betroffen waren. Nur jeder Vierte fand, die Protestformen gingen zu weit. Ein Drittel fand sie angemessen und ein Drittel war der Ansicht, sie gingen nicht weit genug. Viele sprachen auch von einem „Generalstreik“, der jetzt nötig sei.
Die Bauern, eine traditionell konservative Schicht von Kleineigentümern, neigen einer individualistischen und nationalistischen Lösung zu. Während alle Demonstrationsteilnehmer, mit denen die WSWS sprach, ihre Abscheu über die etablierten Parteien zum Ausdruck brachten, äußerten einige Hoffnungen in das Bündnis Sahra Wagenknecht und einige auch in die AfD, die, wie einer meinte, als einzige Partei im Bundestag gegen den Krieg gegen Russland sei.
Wie wir bereits in einem früheren Artikel zu den Bauernprotesten schrieben, hängt „die Lösung der gesellschaftlichen Krise davon ab, die Arbeiterklasse aus der lähmenden Kontrolle der gewerkschaftlichen Apparate zu befreien und für eine sozialistische Politik zu mobilisieren, die die Macht der Banken und Konzerne über die Gesellschaft bricht“. Weist die Arbeiterklasse einen Ausweg aus der gesellschaftlichen Sackgasse, werden sich die unteren Schichten der Bauern und die Landarbeiter ihr anschließen und die rechten Demagogen zurückweisen.