Tarifkampf der Länder: Brecht mit Verdi und baut unabhängige Aktionskomitees auf!

Am gestrigen Donnerstag sind in Berlin mehr als 2000 Erzieher und Sozialarbeiter in den Streik getreten; in ganz Berlin blieben Kitas und Beratungsstellen geschlossen. Vor einer Woche hatten in Hamburg schon die Beschäftigten der Elbfähren und der Jobcenter die Arbeit niedergelegt.

Stellvertretend für 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Länder nehmen die Streikenden den Kampf für bessere Löhne auf. Denn im Nahverkehr, in den Kitas, Schulen und Universitätskliniken, in den Sozialämtern, im Straßenbau, den Werkstoffhöfen, der Müllabfuhr, der Forstwirtschaft und vielen weiteren Betrieben wird infolge unzureichender Bezahlung und grassierenden Personalmangels nur noch unter größtem Arbeitsstress geackert. Mehr als 300.000 Stellen sind bundesweit im öffentlichen Dienst unbesetzt.

„Unterbesetzt, unterbezahlt, überfordert, überlastet“, Plakat einer Sozialarbeiterin aus Hessen, April 2023

Im Kongresshotel Potsdam treffen sich derweil seit gestern die Verhandlungsführer zu ihrer zweiten Runde; eine dritte Runde soll am 7. und 8. Dezember folgen. Allerdings ist von ihnen absolut keine Verbesserung der Zustände im Arbeitsleben zu erwarten.

Tatsächlich verhandeln sie hinter verschlossenen Türen darüber, wie die Reallohnkürzungen durchzusetzen seien, die der Kriegshaushalt der Regierung vorsieht. Die punktförmigen Warnstreiks und Trillerpfeifenproteste dienen dabei nur einem Zweck: einen wirklich effektiven Arbeitskampf zu verhindern.

Es ist das alte Ritual mit praktisch immer derselben Rollenbesetzung: Auf Gewerkschaftsseite verhandelt Verdi-Chef Frank Werneke federführend für weitere Gewerkschaften (GEW, IG Bau, Polizeigewerkschaft GdP und Beamtenbund dbb). Das langgediente SPD-Mitglied Werneke trifft am Verhandlungstisch auf einen alten Parteigenossen: Dr. Andreas Dressel (SPD), Finanzsenator von Hamburg, der auf Seiten der Arbeitgeber der Länder die Verhandlungen führt.

Dressel ist mit Kanzler Olaf Scholz, der jahrelang Hamburgs regierender Erster Bürgermeister war, wahrscheinlich auf Du und Du. Dressel fühlt sich sehr sicher und hat in der ersten Runde provokativ noch überhaupt kein Lohnangebot gemacht.

Wie die ganze SPD und alle Parteien, die im Bund und in den Ländern regieren, unterstützen auch Verdi, der DGB und Frank Werneke persönlich Olaf Scholz‘ „Zeitenwende“ zu einer offenen Kriegspolitik.

Werneke hatte Scholz und seinen Stellvertreter Robert Habeck (Grüne) zum Verdi-Gewerkschaftstag im September als Sprecher eingeladen. Derselbe Gewerkschaftstag verabschiedete eine Hauptresolution, die die Kriegspolitik der Regierung ausdrücklich unterstützt, die Milliarden-verschlingende Aufrüstung der Bundeswehr gutheißt und Waffenlieferungen an die Ukraine fordert.

Seither hat die Regierung für 2024 einen atemberaubenden Kriegshaushalt vorgelegt, der zugunsten der Aufrüstung den Etat für Gesundheit und Bildung gnadenlos zusammenstreicht. Dieselben Politiker, die jetzt in Potsdam zusammensitzen, haben vor wenigen Wochen entschieden, den Pflegekräften in den Krankenhäusern, den Kita-Erzieherinnen, den Eisenbahnern, den Postlern und vielen anderen Arbeiterinnen und Arbeitern gnadenlos die Daumenschrauben anzuziehen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, ebenfalls ein SPD-Mitglied, fordert einen „Mentalitätswechsel“, der die ganze Gesellschaft und Politik durchdringen müsse. Dem ZDF sagte Pistorius vor wenigen Tagen: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“

Gegen einen solchen Kriegskurs wächst in der Arbeiterklasse der Widerstand. Seit Beginn der Corona-Pandemie schuften Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte und auch viele Beamte am Limit. Gleichzeitig müssen sie fast das gesamte Gehalt für die unmittelbaren Lebenshaltungskosten ausgeben. Entgegen der offiziellen Propaganda steigen die Preise für Nahrungsmittel, Energie und Wohnen weiter an. Nur ein Beispiel: Im September hat Olivenöl 34 Prozent mehr als vor einem Jahr gekostet, Kartoffeln und Kartoffelprodukte sind im gleichen Zeitraum um 22 Prozent und Zucker sogar um 71 Prozent im Preis gestiegen.

Auf der anderen Seite steigen auch die Börsengewinne stetig an und die Bereicherung der Superreichen, Aktionäre und Boni-Empfänger kennt keine Grenzen. 500.000 Deutsche besitzen ein Vermögen von einer Million US-Dollar oder mehr, und bei 2900 sind es sogar mindestens 100 Millionen US-Dollar. Eine Vermögensteuer gibt es nicht, und sie ist auch in Finanzminister Christian Lindners Haushalt 2024 nicht vorgesehen.

An der Inflation und der krassen sozialen Polarisierung gemessen, sind die Verdi-Forderungen mehr als bescheiden: 10,5 Prozent für ein Jahr, ein Lohnplus von mindestens 500 Euro, für Azubis 200 Euro pro Monat. Dieselben Forderungen wurden schon beim Tarifkampf im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen aufgestellt – in einem Kampf, den Verdi im letzten April schmählich ausverkauft hat.

Im damaligen Tarifkampf um den TVöD hatte Verdi zunächst ebenfalls 10,5 Prozent, mindestens aber eine Erhöhung um 500 Euro mit einjähriger Laufzeit gefordert, und was war die Bilanz? Verdi weigerte sich, mit einem unbegrenzten Erzwingungsstreik für die Forderung zu kämpfen und im Ergebnis erhalten nun die Beschäftigten bis einschließlich Februar 2024 überhaupt keine tabellenwirksame Lohnerhöhung! Ein Inflationsausgleich von 3.000 Euro, der in Monatsraten bezahlt wird, ändert nichts daran, dass die Preise ständig steigen, während die Tabellenlöhne auf dem niedrigen Niveau verharren.

Einen ähnlichen Ausverkauf organsierten Verdi und andere Gewerkschaften auch in anderen Bereichen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge: Bei der Post hatten 86 Prozent der Verdi-Mitglieder in der Urabstimmung für Streik gestimmt, aber Verdi ignorierte das Votum, trat als Streikbrecher auf und setzte am Ende gewaltige Reallohnkürzungen durch. Nach demselben Muster handelte auch die EVG beim Ausverkauf der streikbereiten Eisenbahner.

Schon jetzt weigert sich die Verdi-Führung bewusst, den Kampf im öffentlichen Dienst mit demjenigen anderer Beschäftigter zu verbinden: Gerade befinden sich Verdi-Mitglieder der Handelssparte im Arbeitskampf und haben schon mehrfach Warenhäuser wie Netto, Kaufland, Rewe und Edeka bestreikt, von Amazon ganz zu schweigen. In anderen Branchen stehen Stahlarbeiter und die Lokführer der GDL vor dem Arbeitskampf und international sind Hunderttausende streikbereit, wie beispielsweise die Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Schulangestellten der Vereinigten Staaten.

Es gibt nur einen Weg, endlich lebenswerte Arbeitsbedingungen durchzusetzen und die Beschäftigten vor Niedriglohn und Altersarmut zu schützen: Der Kampf muss unabhängig von Verdi organisiert werden! Die Verhandlungsführung muss der Gewerkschaftsbürokratie, die auf der anderen Seite steht, aus den Händen genommen werden. Dazu ist es notwendig, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen.

Solche Aktionskomitees sind unter Ford-Arbeitern, Postlern und Eisenbahnern schon gegründet worden. Sie werden in allen Arbeitsbereichen, im öffentlichen und privaten Sektor, entstehen. Dabei geht es nicht allein darum, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu verteidigen, sondern auch, die verheerende Entwicklung zu einem dritten Weltkrieg zu stoppen. Dies ist nur aufgrund eines internationalen, sozialistischen Programms möglich, das das Leben höher stellt als die Profite und die Arbeiter aller Länder über die Grenzen hinweg vereint.

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