Bauernproteste in Deutschland: Ein sozialer Aufstand gegen die Ampel-Koalition

Zehntausende Bäuerinnen und Bauern haben im Verlauf dieser Woche gegen die Sparpolitik der Bundesregierung protestiert und mit ihren Treckern Autobahnen, Zugangsstraßen und Innenstädte blockiert. Die Treckerkonvois waren teilweise bis zu zehn Kilometer lang. Für den kommenden Montag planen die Bauern eine Großdemonstration in Berlin.

Bauernprotest vor dem Brandenburger Tor, Berlin 10. Januar 2024 [Photo by Stefan Müller / flickr / CC BY-NC 2.0]

Der Protest der Bauern ist Bestandteil eines sozialen Aufstands gegen die Ampel-Koalition, die breite Teile der Arbeiterklasse sowie Teile der Mittelschichten umfasst. Zeitgleich mit den Bauerndemonstrationen legten die Lokführer drei Tage lang die Deutsche Bahn still, an den Kundgebungen der Bauern beteiligten sich auch zahlreiche Handwerker und rund 70 Prozent der Bevölkerung äußerten in Umfragen Sympathien für ihre Anliegen.

Bereits im vergangenen Jahr hatten Millionen Beschäftigte des öffentlichen Diensts und der Post mit überwältigender Mehrheit für Streik gestimmt, waren aber von ihren Gewerkschaften ausgebremst und mit Tarifabschlüssen weit unter der Inflationsrate abgespeist worden. In der Auto- und Zulieferindustrie entwickelt sich ein gewaltiges Jobmassaker, das von der IG Metall abgedeckt und mitorganisiert wird.

Vertreter der Regierung und ihr nahestehende Medien haben abwechselnd versucht, die Bauernproteste als rechtsextreme Verschwörung oder als Protest privilegierter Subventionsempfänger darzustellen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), den empörte Bauern nach einem Urlaub auf einer Nordseeinsel am Verlassen seiner Fähre gehindert hatten, schimpfte in einem vom Ministerium produzierten Video: „Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt.“ Innenministerin Nancy Faeser (SPD) behauptete, dass „Rechtsextremisten und andere Demokratiefeinde versuchen, die Proteste zu unterwandern“.

Der Spiegel verglich den Bauernprotest mit dem Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol und warnte vor „rechtsextremen Umsturzfantasien“. Die Grünen-nahe taz erklärte: „Die Proteste sind unangemessen und leisten Rechtsextremisten Vorschub.“ Und die F.A.Z. kommentierte unter der Überschrift „Verwöhnte Bauern“: „Deutsche Landwirte können sich vor Subventionen kaum retten. Aber wenn sie eines ihrer Privilegien aufgeben sollen, rollen die Trecker auf die Autobahnen. Das ist kein nachvollziehbarer Protest, sondern eine Frechheit.“

Das sind üble Verleumdungen. Vereinzelte Versuche von Rechtsextremen, sich an die Proteste anzuhängen – wie eine eigene „Bauern“demonstration der Freien Sachsen in Dresden – liefen ins Leere. Auf den meisten Kundgebungen der Bauern waren Rechtsextreme unerwünscht. Auch Anbiederungsversuche der AfD, die in ihrem Grundsatzprogramm von 2016 noch „mehr Wettbewerb“ und „weniger Subventionen“ für die Landwirtschaft gefordert hatte, zeigten wenig Wirkung. Und was die wirtschaftliche Lage der Bauern betrifft, so steht vielen das Wasser bis zum Hals.

Auslöser der Proteste war die Entscheidung der Bundesregierung, die Steuervergünstigung für Agrardiesel und die KfZ-Steuerbefreiung von Agrarfahrzeugen zu streichen. Durch diese beiden Maßnahmen wollte sie jährlich 450 und 485 Millionen, also eine knappe Milliarde Euro einsparen. Umgerechnet auf die etwas mehr als 250.000 landwirtschaftlichen Betriebe, die es in Deutschland noch gibt, ist dies eine erhebliche Summe von durchschnittlich 4.000 Euro pro Betrieb, die sich in vollem Umfang auf das Einkommen der Bauern auswirkt.

Die Erhöhung der Steuern war aber nur der buchstäbliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Deshalb brachen die Proteste auch nicht ab, als die Regierung am Donnerstag einen Teilrückzug machte, die Abschaffung der KfZ-Steuerbefreiung zurücknahm und die Aufhebung der Steuervergünstigung für Agrardiesel auf drei Jahre verteilte.

Krise in der Landwirtschaft

In der Landwirtschaft findet seit Jahrzehnten ein brutaler Verdrängungswettbewerb statt, der jedes Jahr tausende Höfe zur Aufgabe zwingt – ein äußerst schmerzlicher und nervenaufreibender Prozess. Gab es vor 50 Jahren in Deutschland noch über 900.000 Bauernhöfe, sind es heute gerade noch etwa 250.000.

Um lebensfähig zu bleiben, müssen die Höfe ständig expandieren, indem sie neues Land hinzupachten, in neue Maschinen investieren und sich weiter spezialisieren. Sie haben dabei nicht nur mit steigenden Pachtpreisen – zwischen 2010 und 2020 stieg er für einen Hektar Ackerland von 230 auf 375 Euro – und mit stark schwankenden Preisen für ihre Produkte zu kämpfen, die durch Spekulation an den internationalen Börsen oder marktbeherrschende Lebensmittelkonzerne wie Aldi und Lidl diktiert werden, sondern auch mit immer neuen Vorschriften der Europäischen Union und der Bundesregierung. Diese sind zwar teilweise – wie die Stilllegung bestimmter Flächen aus Umweltgründen – mit Vergütungen („Subventionen“) verbunden, was aber die Bauern noch abhängiger von politischer Willkür macht.

Langfristige Planung wird dadurch extrem schwierig. Darauf sind die Bauern aber angesichts der hochgradigen Mechanisierung der Landwirtschaft dringend angewiesen. Mit 794.300 Euro Kapital pro Erwerbstätigen (der Boden nicht eingerechnet) gehört die Landwirtschaft zu den kapitalintensivsten Branchen überhaupt. Im produzierenden Gewerbe (Industrie) beträgt dieser Wert nur 411.000, im Handel 193.300 und im Baugewerbe 59.500 Euro. Derart hohe Investitionen in Maschinen, Ställe und andere Einrichtungen rechnen sich nur, wenn sie über Jahrzehnte geplant werden können.

2020 beschäftigte die deutsche Landwirtschaft 937.000 Personen. Knapp die Hälfte, 436.000, waren Familienarbeitskräfte in Einzelunternehmen. 229.000 waren fest angestellt und 271.000 Saisonarbeitskräfte. Die Einkommen waren relativ niedrig und höchst ungleich verteilt.

Die Zahl von 115.000 Euro Gewinn pro Hof, die oft als Beweis für den „Reichtum“ der Bauern angeführt wird, beweist in Wirklichkeit nichts dergleichen. Anders als bei Unternehmensgewinnen, bei denen die Gehälter von Beschäftigten und Vorstandsmitgliedern bereits abgezogen sind, müssen von den Gewinnen der Lebensunterhalt des Hofbesitzers und mitarbeitender Familienmitglieder bezahlt werden.

Das tatsächliche Pro-Kopf-Einkommen (Gewinn plus Personalaufwand je Arbeitskraft) lag im Wirtschaftsjahr 2021/22 bei 43.500 Euro. Das war ein gewaltiger Sprung von fast einem Drittel gegenüber dem Vorjahr, der auf den Anstieg der Lebensmittelpreise als Folge des Ukrainekriegs zurückzuführen ist. Inzwischen sind die Preise bereits wieder deutlich gefallen.

Zuvor hatten die Einkommen der Bauern zehn Jahre lang stagniert. 2020/21 lag der Schnitt bei 32.900 Euro, 1.700 Euro unter dem Niveau von 2012/13. Das entspricht einem durchschnittlichen Bruttomonatslohn von 2,740 Euro. Das liegt deutlich unter dem Durchschnittsgehalt von 4.100 Euro, und das bei einer Arbeitszeit, die für viele Bauern 60 bis 70 Stunden pro Woche beträgt und kaum Urlaub zulässt.

Die Einkommen sind zudem je nach Betriebsform, Region und Beschäftigungsform höchst unterschiedlich verteilt, d.h. viele Bauern und Beschäftigte verdienen noch deutlich weniger.

Es gibt in Deutschland 38.000 Betriebe mit einer Fläche von mehr als 100 Hektar, die zusammen 62 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschaften. Oft handelt es sich dabei um landwirtschaftliche Unternehmen. Diese verdienen relativ gut, was nicht bedeutet, dass sie auch ihre Beschäftigten gut bezahlen. In Ostdeutschland, wo viele dieser Agrarunternehmen liegen, gehört ein Drittel ortsfremden Investoren.

86 Prozent aller Betriebe bewirtschaften dagegen weniger als 100 Hektar Land. Hier reicht die Spanne von der Massentierhaltung über klassische Familienbetriebe und Öko-Bauernhöfe bis zum Nebenerwerbsbetrieb. 80 Prozent aller Höfe befinden sich – teils seit Generationen – im Familienbesitz. 42 Prozent gaben laut einer Erhebung des Statistischen Bundeamts an, zusätzlich zur Landwirtschaft andere Erwerbsquellen – wie Forstwirtschaft, Holzverarbeitung, Erzeugung erneuerbarer Energie – zu betreiben.

Etliche Betriebe haben versucht, ihre Existenz durch die Umstellung auf ökologischen Landbau zu sichern. Inzwischen gibt es in Deutschland 37.000 Bio-Bauernhöfe. Hier sind die Preise stabiler, die Einkommen aufgrund der hohen Arbeitsintensität aber auch besonders niedrig. Die Erhöhung des Dieselpreises durch die Regierung trifft diese Betriebe, die wegen des geringen Pestizideinsatzes auf einen höheren Maschineneinsatz angewiesen sind, besonders hart.

Lehren aus der Geschichte

Die Sparmaßnahmen der Ampel-Koalition haben es nun geschafft, die unterschiedlichen Gruppen und Schichten von Bauern zu vereinen. Anders als im Oktober 2019, als kleinere Bauernverbände Treckerproteste gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung organisierten, hat diesmal der Deutsche Bauernverband, der traditionell die Interessen der großen Landbesitzer und Agrarbetriebe vertritt, die Führung übernommen. Er wird alles tun, um die Bewegung unter Kontrolle zu halten und zu verhindern, dass sie Bestandteil einer breiten Revolte gegen Regierung und Staat wird.

Tatsächlich entwickelt sich genau eine solche Bewegung. Die Politik der Ampelkoalition, die hunderte Milliarden in Krieg und Aufrüstung steckt, die Profite der Reichen schützt und gleichzeitig Sozialausgaben, Löhne und öffentliche Ausgaben kürzt, treibt immer breitere Schichten auf die Barrikaden. Ähnliche Entwicklungen finden in allen kapitalistischen Ländern statt.

Das sehen auch etwas weitsichtigere bürgerliche Kommentatoren so. Das Handelsblatt schreibt:

Rund 70 Prozent der Bevölkerung haben Sympathien für die Bauernproteste. Mit den Landwirten gehen Mittelständler, Handwerker und ganz normale Arbeitnehmer von Industriebetrieben auf die Straße. Alle eint das Gefühl der Ratlosigkeit, das längst in Wut über die Lage im Land umgeschlagen ist. Es geht schon lange nicht mehr allein um die Kürzung von Subventionen.

Pandemie, Ukrainekrieg und Energienotstand haben die Bürgerinnen und Bürger an den Rand der Belastungsfähigkeit gebracht. Jetzt kommt ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Staat hinzu.

Die Ampelkoalition wird vor nichts zurückschrecken, um diese Bewegung zu unterdrücken und das bankrotte kapitalistische Gesellschaftssystem gegen jede Opposition zu verteidigen. Die Brutalität, mit der sie den verlustreichen Krieg gegen Russland in der Ukraine anheizt, den Genozid an den Palästinensern in Gaza unterstützt und die Flüchtlingspolitik der AfD übernimmt, unterstreicht das. Sie ist sich darin mit den Oppositionsparteien CDU/CSU, Linke und AfD trotz taktischer Differenzen einig.

Die Lösung der gesellschaftlichen Krise hängt davon ab, die Arbeiterklasse aus der lähmenden Kontrolle der gewerkschaftlichen Apparate zu befreien und für eine sozialistische Politik zu mobilisieren, die die Macht der Banken und Konzerne über die Gesellschaft bricht. Der Protest der Bauern ist ein Symptom der gesellschaftlichen Krise, aber als kleinbürgerliche Schicht sind sie zu einer selbständigen Politik nicht in der Lage.

Was Leo Trotzki, der herausragende Marxist des 20. Jahrhunderts, gestützt auf jahrzehntelange Erfahrungen mit dem Kleinbürgertum schrieb, trifft auch heute zu:

Unter den Bedingungen der kapitalistischen Fäulnis und wirtschaftlichen Ausweglosigkeit … versucht die Kleinbourgeoisie, sich den Fesseln der alten Herren und Meister der Gesellschaft zu entwinden. Sie ist durchaus fähig, ihr Schicksal mit dem des Proletariats zu verknüpfen. Hierzu ist nur eines erforderlich: Das Kleinbürgertum muss die Überzeugung gewinnen, dass das Proletariat fähig ist, die Gesellschaft auf einen neuen Weg zu führen. Ihm diesen Glauben einzuflößen, vermag das Proletariat nur durch seine Kraft, durch die Sicherheit seiner Handlungen, durch geschickten Angriff auf die Feinde, durch die Erfolge seiner revolutionären Politik.

Erweise sich dagegen die revolutionäre Partei, wie damals die von Stalin dominierte KPD, als unfähig, die Arbeiterklasse um sich zu scharen, „verliert das Kleinbürgertum die Geduld und beginnt in den revolutionären Arbeitern die Urheber seines eigenen Elends zu sehen“. Es wende sich den Faschisten zu.

Heute kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) als einzige Partei dafür, die wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit, Unterdrückung und Krieg zu einer mächtigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus zu entwickeln. Sie beteiligt sich an der Europawahl, um in enger Zusammenarbeit mit ihren internationalen Schwesterparteien für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa zu kämpfen, für ein Europa, in dem die gesellschaftlichen Bedürfnisse und nicht die Profitinteressen der Reichen Wirtschaft und Politik bestimmen.

Auf dieser Grundlage wird es auch möglich sein, die sozialen Interessen der Bauern mit der Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln und dem Schutz der Umwelt in Übereinstimmung zu bringen.

Loading