Silvio Berlusconi, der am Montag im Alter von 86 Jahren in einem Mailänder Krankenhaus an Leukämie starb, wird als Symbol der Degeneration der bürgerlichen Herrschaft in die Geschichte eingehen. Er verkörperte das Verschmelzen von Reichtum und Macht, von krimineller Unterwelt und Politik, von kultureller Rückständigkeit und gesellschaftlichen Eliten. Vor allem aber machte er die Erben des Faschismus wieder hoffähig und bahnte ihnen den Weg zurück an die Macht.
Berlusconi nahm ähnliche Karrieren in anderen Ländern vorweg, die zum Teil verblüffende Parallelen aufweisen: Donald Trump in den USA, Andrej Babiš in Tschechien, Petro Poroschenko in der Ukraine, um nur einige zu nennen. Auch Vergleiche mit Rupert Murdoch, der sein Medienimperium zur Förderung ultrarechter Politik nutzt, drängen sich auf. Historisch erinnert er an Alfred Hugenberg, den deutschen Rüstungsunternehmer und Medienzar, der ebenfalls in die Politik ging und seine Medienmacht einsetzte, um Hitler den Weg an die Macht zu bahnen.
Das überschwängliche Lob, mit dem Politiker aller Schattierungen Berlusconi nach seinem Ableben überschütten, zeigt, dass sie ihm für die Rehabilitierung des Faschismus dankbar sind und in dieselbe Richtung steuern. Berlusconis Aufstieg zu einem der reichsten und mächtigsten Männer Italiens ist kein individuelles Ereignis, sondern das Ergebnis grundlegender gesellschaftlicher Tendenzen, die sich nicht auf Italien beschränken.
Italiens Präsident Sergio Mattarella würdigte Berlusconi als „großen politischen Anführer, der die Geschichte unserer Republik geprägt hat“. Oppositionsführerin Elly Schlein (PD) nannte ihn einen „Hauptdarsteller der Geschichte unseres Landes“. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen bescheinigte ihm, er habe „Italien in einer Zeit des politischen Umbruchs geführt und seitdem sein geliebtes Land weiter geprägt“. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich „zutiefst betrübt“ über „Silvios“ Tod und nannte ihn einen „großen Freund Israels“. Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete „Silvio“ als „teuren Menschen und echten Freund“, sein Tod sei ein „unersetzbarer Verlust und ein tiefes Unglück“.
Silvio Berlusconi wurde 1936 in Mailand als Sohn eines Angestellten geboren. Er schloss 1961 sein Jurastudium mit einem Diplom ab und jobbte als Staubsaugervertreter sowie als Sänger und Conférencier auf Kreuzfahrtschiffen. Wie der mittellose Jurist dann innerhalb von zehn Jahren zum milliardenschweren Bauunternehmer wurde, bleibt bis heute von Geheimnissen umrankt. Sicher ist, dass er Mitglied von Propaganda Due (P2) war, einem kriminellen, als Freimaurerloge getarnten antikommunistischen Netzwerk, dem hunderte ranghohe Politiker, Militärs, Geheimdienstler, Richter, Staatsanwälte, Unternehmer und Journalisten angehörten.
P2 war an den Terroranschlägen beteiligt, die Italien in den 1960er und 1970er Jahren erschütterten. Sie unterhielt Verbindungen zur organisierten Kriminalität und zur Nato-Untergrundarmee Gladio, die auf Sabotageakte spezialisiert war. Sie war an zahlreichen Finanzskandalen beteiligt, die für die Protagonisten manchmal tödlich endeten. Ihre Verbindungen in die höchsten Stellen von Staat und Justiz sorgten dafür, dass die Drahtzieher unbehelligt blieben.
Vieles deutet darauf hin, dass die gewaltigen Summen, mit denen Berlusconi in den 1960er Jahren in Mailand Bauprojekte mit tausenden Wohnungen hochzog, aus den dubiosen Quellen von P2 stammten. Es gibt sogar Vermutungen, dass Berlusconi anfangs lediglich ein Strohmann für P2 war.
Auch die Lizenzen, die ihn in die Lage versetzten, aus einem kleinen Lokalsender für seine Wohnprojekte ein italienisches Medienimperium zu schaffen, verdankte Berlusconi einem prominenten Mitglied von P2: Bettino Craxi, dem Chef der Sozialistischen Partei, der von 1983 bis 1987 italienischer Ministerpräsident war. Craxis Partei dominierte auch die Mailänder Kommunalpolitik, was für Berlusconis Bauprojekte von unschätzbarem Nutzen war.
Seine Medienmacht nutzte Berlusconi als politische Waffe. In einem Land, in dem man keinen Schritt machen kann, ohne auf Zeugnisse jahrtausendelanger Hochkultur zu stoßen, drückte er die Fernsehunterhaltung auf das niedrigstmögliche Trash-Niveau. Seine Kontrolle über die drei größten Privatsender des Landes – und als Premierminister auch über die öffentlichen Sender – setzte er skrupellos zu politischen Zwecken ein.
Für sein politisches Wirken bediente sich Berlusconi seines Firmenimperiums, zu dem mittlerweile auch Italiens größtes Verlagshaus Mondadori, eine Bank sowie der Fußballspitzenclub AC Milan gehörten. Zwei Monate vor ihrem Wahlerfolg im März 1994 gründete er die Partei Forza Italia, benannt nach dem Schlachtruf von Fußballfans. Sie war ein verlängerter Arm seines Wirtschaftsunternehmens.
Berlusconis Wirtschafts- und Medienmacht allein kann allerdings nicht erklären, weshalb er an die Spitze der Regierung aufstieg und diese mit insgesamt neun Jahren länger als jeder andere italienische Politiker seit dem Zweiten Weltkrieg führte. Viel wichtiger für seinen Erfolg war der politische Bankrott der sogenannten „Linken“ – der einflussreichen Kommunistischen Partei und ihrer Nachfolgeorganisationen sowie ihres pseudolinken Umfelds. Sie bahnten Berlusconi durch ihre rechte Politik den Weg an die Macht, lähmten den Widerstand gegen sein Regime, an dem sich zeitweise Millionen beteiligten, und verschafften ihm und seinen faschistischen Verbündeten, wenn sie selbst regierten, durch ihre arbeiterfeindliche Politik die Voraussetzungen für ein Comeback.
Zwei wichtige Ereignisse gingen Berlusconis politischem Aufstieg voraus: Die Auflösung der Sowjetunion und der Kollaps der traditionellen italienischen Regierungsparteien, insbesondere der Christdemokraten und der Sozialisten, im gigantischen Korruptionsskandal „Tangentopoli“. Während bekannte Politiker im Rahmen der Operation „Mani pulite“ reihenweise verhaftet wurden und ins Gefängnis wanderten, entledigte sich die Kommunistische Partei (KPI) jeglicher linken Symbolik und verwandelte sich in eine rechte bürgerliche Partei nach dem Vorbild der US-Demokraten.
Die KPI, die aufgrund ihrer Rolle in der Resistenza, dem bewaffneten Widerstand gegen Mussolini, über erheblichen Einfluss in der Arbeiterklasse verfügte, hatte zwar schon immer seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine staatstragende Rolle gespielt. Ihre Politik unterschied sich, abgesehen von der Rhetorik, kaum von jener der deutschen SPD oder der französischen Sozialisten. Aber wegen ihrer Verbindungen zu Moskau war sie, vor allem auf Druck der USA, stets von der Regierung des Nato-Landes ferngehalten worden.
Nun, da dieses Hindernis weggefallen war und die Arbeiterklasse auf eine linke Antwort auf „Tangentopoli“ drängte, fielen ihr die KPI-Nachfolger in den Rücken. Sie warben im Wahlkampf für eine verantwortliche Finanzpolitik und befürworteten harte Sparmaßnahmen. In das so entstandene politische Vakuum stieß Berlusconi mit seiner populistischen Demagogie vor. Ausgerechnet ein Mann aus dem Zentrum des Korruptionssumpfes profitierte so von seiner Trockenlegung.
Forza Italia gewann 1994 die Wahl, war aber mit 21 Prozent weit von einer eigenen Mehrheit entfernt. Berlusconi holte neben der Lega Nord erstmals die Erben Mussolinis von der Nationalen Allianz/Soziale Bewegung Italiens (MSI) in seine Regierung. Bisher hatte ein Bündnis mit den Neofaschisten als absolutes Tabu gegolten.
Die Workers League, die Vorgängerin der Socialist Equality Party in den USA, kommentierte dies im International Workers Bulletin vom 11. April 1994: „Die italienische Bourgeoisie sieht die Rehabilitierung des Faschismus als einen notwendigen Schritt an bei der Lösung der lang hingezogenen Krise des gesamten politischen und wirtschaftlichen Systems. Korruptionsskandale, die die früher regierenden Parteien – die Christdemokraten und Sozialdemokraten – praktisch ausgelöscht haben, sind benutzt worden, um die politischen Strukturen zu erschüttern, die den ausgedehnten Sozialstaat Italiens und seinen großen verstaatlichten Industriebereich aufrechterhalten haben. Jetzt bringt die herrschende Klasse Kräfte nach vorne, um den Job zu Ende zu führen.“
Das Wiederauftauchen des Faschismus sei „ein organischer Ausdruck der Krankheit der kapitalistischen Gesellschaft“, warnte das IWB. „Noch einmal, wie in den 30er Jahren, brechen demokratische Institutionen unter dem Druck von Klassengegensätzen und internationalen Spannungen auseinander. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist so tief geworden, dass sie sich nicht mehr durch das Spiel parlamentarischer Kräfte überbrücken lässt.“
Die italienische Wahl sei eine ernste Warnung für die Arbeiter auf der ganzen Welt, endete der Kommentar: „Wenn die Arbeiterklasse keinen Weg findet, ihre unabhängige politische Mobilisierung gegen das kapitalistische System voran zu bringen, wird sie noch einmal mit einer faschistischen Katastrophe konfrontiert sein.“
Diese Warnung ist seither bestätigt werden. Es würde zu weit führen, in diesem Nachruf sämtliche Wendungen der italienischen Politik der letzten 30 Jahre zu verfolgen, an denen Berlusconi beteiligt war. Eines muss jedoch betont werden. Eine entscheidende Rolle dabei, ihm immer wieder zurück an die Macht zu verhelfen, spielten Rifondazione Comunista und andere pseudolinke Organisationen, die sich als Alternative zu den Demokraten ausgaben.
Wann immer eine von den Demokraten geführte oder unterstützte Regierung in Konflikt mit der Arbeiterklasse geriet, sprang ihr Rifondazone zur Seite. 2006 trat sie sogar in die Regierung des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi ein, was ihr politisch das Genick brach. Als Folge kehrte Berlusconi zwischen 2008 und 2011 ein viertes Mal an die Spitze der Regierung zurück.
Der Bankrott der angeblichen Linken schuf schließlich die Voraussetzungen für den kometenhaften Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) des Komikers Beppe Grillo, die 2018 die Wahl gewann. Sie zeigte sofort ihren wirklichen Charakter, indem sie eine Regierungskoalition mit der ultrarechten Lega Matteo Salvinis schloss.
Später wechselten die Fünf Sterne den Koalitionspartner und verbündeten sich mit den Demokraten, die Berlusconis Forza Italia 2022 ein weiteres Mal den Weg zurück an die Macht ebneten. Diesmal stellt Berlusconis Partei, die auf 8 Prozent geschrumpft ist, allerdings nicht den Regierungschef. Sie unterstützt die Neofaschistin Giorgia Meloni als Juniorpartner.
Berlusconi hatte Meloni bereits 2008 gefördert, indem er die 31-Jährige zur Jugend- und Sportministerin in seiner Regierung ernannte. Später brach Meloni mit ihrer alten Partei, der Alleanza Nazionale, weil sie sich nicht von Mussolini distanzieren wollte. Trotzdem wird die Neofaschistin von allen westlichen Regierungen umworben und mit offenen Armen empfangen.
Berlusconis Projekt, die Faschisten zu rehabilitieren, hat bei ihnen vollen Erfolg gehabt. Sie brauchen die Rechtsextremen, um ihre Aufrüstungs- und Kriegspolitik gegen den Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend durchzusetzen und sozialen Protest zu unterdrücken.
Diese Gefahr kann nur durch den Aufbau einer unabhängigen, sozialistischen Bewegung in der Arbeiterklasse überwunden werden, die den Kampf gegen Faschismus, Krieg und Sozialabbau mit der Beseitigung ihrer Ursache, des Kapitalismus, verbindet.