Nur acht Tage nachdem die 20.000 Bodenbeschäftigten der Lufthansa ihre Macht demonstriert und den Flugbetrieb einen Tag lang weitgehend stillgelegt haben, hat die Gewerkschaft Verdi den Tarifkampf ausverkauft.
Verdi unterzeichnete einen Tarifvertrag, der – gemessen an der Tarifpause der vergangenen drei Jahre und der rapide steigenden Teuerungsrate – zu einem massiven Reallohnverlust führt. Mit einer Laufzeit von 18 Monaten bedeutet er außerdem Tariffrieden und damit Streikverbot bis Anfang 2024.
Wie üblich versucht Verdi, den Abschluss schönzureden, und betreibt jede Menge Augenwischerei. Sie nimmt die niedrigsten Tarifgruppen als Maßstab und verbreitet über die Medien, es seien Gehaltssteigerungen zwischen 13,6 und 18,4 Prozent erreicht worden.
Die Wahrheit sieht völlig anders aus.
Verdi hatte 9,5 Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert und das damit begründet, dass sie „drei Jahre Lohnverzicht zur Stabilisierung des Unternehmens während der Pandemie“ geübt habe. Die Beschäftigten seien also von der galoppierenden Inflation besonders hart betroffen. Dazu komme die ständige Mehrarbeit, weil in den vergangenen Jahren 35.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden.
Vereinbart wurde jetzt ein Festbetrag von 200 Euro rückwirkend zum 1. Juli dieses Jahres. Ab 1. Januar 2023 steigen die Löhne dann um 2,5 Prozent und ab 1. Juli 2023 nochmals um 2,5 Prozent.
Das bedeutet, dass bis Jahresende erneut keine prozentuale Erhöhung der Löhne und Gehälter stattfindet, die eine Steigerung der Sozialbeiträge und Rentenansprüche ergeben. Der Festbetrag von 200 Euro monatlich ist gemessen am geleisteten Lohnverzicht der vergangenen Jahre und den drastischen Preissteigerungen minimal. Allein der gegenwärtige Anstieg der Heiz- und Benzinkosten übersteigt diesen Betrag um ein Vielfaches.
Die folgende Erhöhung um zweimal 2,5 Prozent bei einer anderthalbjährigen Laufzeit unter Bedingungen einer offiziellen Inflationsrate von knapp 8 Prozent und noch höheren Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Sprit, Mieten und Energie bedeutet eine massive Reallohnsenkung.
In der Verdi-Presseklärung heißt es, dass die Konzerntarifkommission dem Verhandlungsergebnis zugestimmt habe, es aber noch „unter dem Vorbehalt einer Mitgliederbefragung“ stehe. Auf eine Rückfrage der WSWS-Redaktion in der Berliner Verdi-Zentrale reagierte die Pressesprecherin ausweichend. Sowohl der Termin als auch die genaue Form, in der die Mitgliederbefragung stattfinden solle, stehe noch nicht fest.
Die Bodenarbeiter der Lufthansa sollten diesen unverschämten Reallohnsenkungs-Vertrag ablehnen und dagegen Sturm laufen. Alle, die in der vergangenen Woche am Warnstreik teilgenommen und die Macht ihrer gemeinsamen solidarischen Aktion erlebt haben, müssen sich die Frage stellen, warum die Tarifkommission unter Leitung von Christine Behle diesem Lohn-Diktat zugestimmt hat.
Die Behauptung von Behle & Co, die Lufthansa und die gesamte Luftfahrt-Branche seien durch die Jahre der Pandemie geschwächt und die Belegschaft müsse durch Lohnzurückhaltung einen Beitrag zur Überwindung der Krise leisten, ist gelogen.
Am selben Tag, an dem Verdi den miserablen Tarifvertrag unterschrieb, trat Unternehmenschef Carsten Spohr vor die Kameras und verkündete, dass die Airline für 2022 erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie wieder mit einem Jahresgewinn rechne. Zum Jubel der Anleger prognostizierte er ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern von mehr als 500 Millionen Euro.
Das Börsen-Magazin Investor-Relations überschlägt sich regelrecht vor Begeisterung über die Lufthansa Group: „Im zweiten Quartal zurück in den schwarzen Zahlen mit operativem Gewinn von 393 Millionen Euro – Stark gestiegene Durchschnittserlöse und erfolgreiche Frachtsparte treiben gutes Quartalsergebnis − Anhaltender Boom bei der Nachfrage nach Flugtickets − Auslastung in Premium-Klassen über dem Niveau von 2019 – Erholung der Geschäftsreisen setzt sich fort.“
Der wahre Grund, weshalb Verdi und ihre stellvertretende Vorsitzende Behle den Lohnsenkungs-Vertrag unterzeichnet haben, ist, dass sie nicht die Interessen der Beschäftigten, sondern die des Konzerns und der Regierung vertreten. Die Gewerkschaften haben sich längst aus reformistischen Arbeiterorganisationen in eine Betriebspolizei der Konzerne verwandelt, deren Hauptsorge darin besteht, dass diese profitabel bleiben und sich gegen ihre Konkurrenten auf dem Weltmarkt durchsetzen.
Das SPD-Mitglied Behle ist nicht nur stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende, sondern auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa AG. In dieser Funktion, die ihr eine jährliche Vergütung von 140.000 Euro einbringt, steht sie in ständigem Kontakt mit Lufthansa-Chef Carsten Spohr und den Anteilseignern.
Darüber hinaus sitzt Behle in jeder Menge weiteren Aufsichtsräten, wie der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft, der Bochum-Gelsenkirchener Bahngesellschaft, der Dortmunder Stadtwerke AG und der Autobahn GmbH des Bundes.
Behle und Verdi reagieren mit Panik darauf, dass es in der internationalen Luftfahrtindustrie brodelt und der Widerstand gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen und Reallohnsenkungen wächst. Deshalb haben sie den Tarifvertrag so eilig unterschrieben.
Die Piloten von Lufthansa haben sich in einer Urabstimmung mit fast 100 Prozent für Streik ausgesprochen. Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, die in der Pandemie ebenfalls massiven Lohnsenkungen zugestimmt hat, weigert sich allerdings bisher, einen Streik auszurufen. Auch die Piloten von British Airways bereiten sich auf einen Streik vor.
In den letzten Wochen gab es und gibt es weiterhin Streiks bei Ryanair, Easyjet, dem skandinavischen Luftfahrtkonzern SAS und anderen Airlines. Arbeitskämpfe auf Flughäfen, insbesondere in Frankreich und Spanien, haben zu zahlreichen Flugausfällen geführt. Auch in den USA sind wegen Personalmangels auf den Flughäfen tausende Flüge gestrichen worden.
Damit diese Kämpfe Erfolg haben, müssen sie sich aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften befreien. Um den Widerstand zu organisieren, müssen sich die Beschäftigten völlig unabhängig von Verdi und anderen Gewerkschaften in Aktionskomitees zusammenschließen, effektive Kampfmaßnahmen vorbereiten, Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen in anderen Städten und Ländern aufnehmen und sich international vernetzen.
Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre internationalen Schwesterparteien haben zu diesem Zweck die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees) ins Leben gerufen. Nehmt Kontakt zu ihr auf und registriert euch für den Aufbau von Aktionskomitees!