Die 20.000 Bodenbeschäftigten der Lufthansa haben die nach Passagierkilometern größte Airline Europas am Mittwoch weitgehend lahmgelegt. Das Unternehmen strich mehr als tausend Flüge, davon 680 in Frankfurt und 350 in München. 134.000 Passagiere waren betroffen.
Der Streik zeigt, über welch enorme Macht die Arbeiter verfügen, wenn sie sich zum Kampf entschließen. Doch die Gewerkschaft Verdi, die zum eintägigen Warnstreik aufrief, beabsichtigt nicht, diese Macht tatsächlich einzusetzen. Die Verdi-Funktionärin Christine Behle, die die Tarifverhandlungen mit Lufthansa führt, versicherte im ARD-Morgenmagazin, bis zur nächsten Verhandlungsrunde am 3. August werde es keine weiteren Aktionen geben: „Das kann ich ausschließen.“
Tatsächlich können die Lufthansa-Beschäftigten ihren Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen nur gewinnen, wenn sie mit Verdi brechen. Die Gewerkschaft hat nicht die geringste Absicht, ihre eigene Tarifforderung durchzusetzen, geschweige denn gegen die untragbaren Arbeitsbedingungen vorzugehen. Sie verlangt offiziell 9,5 Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Das würde knapp die Inflation ausgleichen, die massiven Einkommensverluste der vergangenen Jahre aber nicht wettmachen.
Christine Behle begründete die Verdi-Forderung mit der prekären Lage der Lufthansa-Beschäftigten. Mehr als ein Drittel des Personals sei in der Corona-Krise abgebaut worden. Deren Arbeit müsse nun von den verbliebenen Beschäftigten übernommen werden, die „täglich dem Ärger der Passagiere ausgesetzt“ seien.
„Die Belastungen sind extrem hoch und viele denken darüber nach, den Luftverkehr dauerhaft zu verlassen“, klagte Behle. Nach „drei Jahren Lohnverzicht zur Stabilisierung des Unternehmens während der Pandemie“ seien die Beschäftigten außerdem besonders hart von der hohen Inflationsrate betroffen.
So viel Zynismus lässt einem den Atem stocken. Es war niemand anderes als Verdi und Behle selbst, die dafür gesorgt haben, dass Lufthansa tausende Mitarbeiter des Boden- und des Bordpersonals in die Wüste schicken und den verbliebenen „Lohnverzicht“ diktieren konnte.
Das SPD-Mitglied Behle ist nicht nur stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, sondern auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa AG. In dieser Funktion, die ihr eine jährliche Vergütung von 140.000 Euro einbringt, steht sie in ständigem Kontakt mit Lufthansa-Chef Carsten Spohr und den Anteilseignern.
Während der Konzern 6 Milliarden Corona-Hilfen vom Bund kassierte, stimmten Verdi und die Spartengewerkschaften UFO und Cockpit dem Abbau zehntausender Arbeitsplätze und Lohnverzicht in Milliardenhöhe zu. UFO vereinbarte im Sommer 2020 Einsparungen von einer halben Milliarde Euro zu Lasten der 22.000 Kabinenmitarbeiter, Cockpit Kürzungen von 850 Millionen Euro zu Lasten der Piloten.
Ende 2020 stimmte Verdi dann einem Abgruppierungsvertrag für die Bodenbeschäftigten zu. Durch den sofortigen Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Lohnstopp und Verzicht auf Zulagen bis Ende 2021 leisteten die Bodenbeschäftigten „einen Sparbeitrag von mehr als 200 Millionen Euro zur Bewältigung der Krise“, verkündete Christine Behle. Lufthansa-Personalchef Michael Niggemann jubelte, durch die Einigung mit dem Bodenpersonal könnten bis zu 50 Prozent Personalkosten dieser Beschäftigtengruppe eingespart werden.
„Einen derartigen Einkommensverzicht von insgesamt 1,2 Milliarden Euro haben Gewerkschaften hierzulande bisher nicht vereinbart,“ kommentierte damals die WSWS. „Das ist eine neue Dimension des gewerkschaftlichen Ausverkaufs. Umgerechnet auf die Gesamtzahl der Beschäftigten von gegenwärtig etwa 130.000 bedeutet das, einen durchschnittlichen Einkommensverlust von fast 10.000 Euro pro Mitarbeiter.“
Verdi sorgte – nicht nur bei Lufthansa – dafür, dass jeder Widerstand gegen diesen Kahlschlag im Keim erstickt wurde. Einzige Ausnahme bildeten Bodenarbeiter des Frankfurter Flughafens, die mit einem Hungerstreik und unzähligen Protesten monatelang gegen ihre Entlassung durch den Dienstleistungskonzern WISAG kämpften.
Um diesen Kampf führen zu können, mussten die WISAG-Arbeiter mit Verdi brechen und ein unabhängiges Aktionskomitee gründen. Ihr Kampf scheiterte schließlich, weil er isoliert blieb und ihnen die Gewerkschaften, die Landtagsparteien und schließlich auch die Gerichte geschlossen in den Rücken fielen.
Nachdem die Lufthansa-Belegschaft mit Massenentlassungen und Gehaltseinbußen die Kosten der Corona-Krise tragen musste, sollen jetzt niedrige Löhne und wachsender Arbeitsstress dafür sorgen, dass der Konzern die Staatshilfen so rasch wie möglich ablösen und eine 20-prozentige Bundesbeteiligung wieder loswerden kann, damit die üppigen Profite wieder sprudeln und der Aktienkurs steigt.
Die Arbeitsbedingungen sind inzwischen derart unerträglich und die Löhne derart schlecht, dass es Lufthansa nicht mehr gelingt, genügend Arbeitskräfte zu finden. Wie Verdi selbst zugibt, werden bei den Tochterfirmen LTLS und Lufthansa Cargo teilweise Stundenlöhne unter 12 Euro bezahlt. Das ist weniger als der Mindestlohn, den die Ampelkoalition versprochen hat.
Die Gewerkschaft fordert nun, dass der Stundenlohn für diese Beschäftigtengruppen auf mindestens 13 Euro angehoben wird! Davon kann in teuren Städten wie Frankfurt und München, wo sich die beiden wichtigsten deutschen Flughäfen befinden, kein Mensch leben.
Der Personalmangel bei den Airlines und auf den Flughäfen ist inzwischen derart akut, dass Lufthansa deshalb in den Sommermonaten 3100 Flüge aus dem Flugplan streichen musste – weit mehr als dem eintägigen Warnstreik von Verdi zum Opfer fielen.
Weltweit sind in der Luftfahrt seit Beginn der Pandemie rund 2,3 Millionen Stellen abgebaut worden, 600.000 davon in Europa. Auf deutschen Airports sind laut dem Flughafenverband ADV rund ein Fünftel der Stellen unbesetzt. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft hat errechnet, dass rund 7200 Fachkräfte fehlen, für die kurzfristig kein Ersatz zu finden ist. Ein hoher Krankenstand wegen Corona-Infektionen verschärft die Lage zusätzlich.
Die Folgen sind nicht nur Flugausfälle, Verspätungen und lange Warteschlangen für Reisende, sondern auch ein wahnsinniger Arbeitsdruck für das verbliebene Personal, das dazu noch miserabel bezahlt wird. Die Situation erinnert an die Kliniken und Krankenhäuser, die – ebenfalls unter der Regie von Verdi – während der Pandemie in Grund und Boden gespart wurden.
Verdi versucht verzweifelt, die wachsende Empörung über diese Zustände unter Kontrolle zu halten. Deshalb rief die Gewerkschaft bei Lufthansa zum Warnstreik auf. Aus Sicht ihrer gutbezahlten Funktionäre erfüllt der eintägige Streik ausschließlich den Zweck, etwas Dampf abzulassen und ihre eigene Autorität zu stärken, damit sie in Ruhe den nächsten Ausverkauf vorbereiten können.
In der gesamten internationalen Luftfahrtindustrie brodelt es. In den letzten Wochen gab es und gibt es weiterhin Streiks bei Ryanair, Easyjet, dem skandinavischen Luftfahrtkonzern SAS und anderen Airlines. Arbeitskämpfe auf Flughäfen, insbesondere in Frankreich und Spanien, führten zu zahlreichen Flugausfällen. Auch in den USA sind wegen Personalmangels auf den Flughäfen tausende Flüge gestrichen worden. Bei Lufthansa führt die Gewerkschaft Cockpit derzeit eine Urabstimmung unter den Piloten durch. Auch die Piloten von British Airways bereiten sich auf einen Streik vor.
Damit diese Kämpfe Erfolg haben, müssen sie sich aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften befreien und unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die sich international vernetzen. Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre internationalen Schwesterparteien haben zu diesem Zweck die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees) ins Leben gerufen. Nehmt Kontakt zu ihr auf und registriert euch für den Aufbau von Aktionskomitees!