Ein zweitägiger Warnstreik legt das Frankfurter Uniklinikum noch bis zum heutigen Freitagabend lahm. Beteiligt sind mehr als 4000 nicht-ärztliche Beschäftigte, die sich gegen Personalmangel und katastrophale Bedingungen wehren. Die Zustände haben sich im Lauf der Corona-Pandemie verschlechtert und der Krankenstand ist hoch. Zuletzt hat das für die Uniklinik zuständige Land Hessen sogar versucht, Pflegekräfte mit positivem Corona-Test zurück an die Arbeit zu schicken.
Zynischerweise schlägt sich die personelle Unterbesetzung in der Finanzkalkulation des Klinikums als Plus nieder – deshalb versucht das Management, am Status Quo festzuhalten. Aber die Beschäftigten sind nicht mehr bereit, die unhaltbaren Zustände länger hinzunehmen, und der Warnstreik kann leicht in einen unbefristeten Streik münden.
Er ist Teil einer Offensive des Pflegepersonals auf der ganzen Welt: Pflegestreiks gab und gibt es in den USA, in Frankreich, Spanien und Griechenland wie auch in Sri Lanka. In Nordrhein-Westfalen hat das Personal der Unikliniken elf Wochen lang gestreikt, wie zuvor auch die Berliner Pflegekräfte an der Charité und Vivantes.
Pflegekräfte der Onkologie, der Chirurgie und der Ambulanz berichteten der WSWS von einer wahren Kündigungswelle, bei der immer mehr Kolleginnen und Kollegen den Dienst quittieren, weil sie einfach nicht mehr können. Die Lage in den Abteilungen sei nahe daran, zu kippen.
„Meine Arbeitswoche hat schon mal 72 Stunden“, sagt Carina. „Wir Pflegekräfte übernehmen viele Aufgaben der Ärzte, die selbst stark überlastet sind.“ In der Onkologie seien zwei Examinierte für 25 Patienten zuständig.
„Wir machen die Arbeit von Ärzten – aber bezahlt werden wir wie Anfänger“, berichtet auch Stephan, der in der Notambulanz arbeitet. Die Schichten seien so eng getaktet, dass Familien und soziale Kontakte sehr zu kurz kämen. „Hier muss sich wirklich was ändern!“
Fassungslos hatten Pflegekräfte miterlebt, wie die Regierung „in Nullkomma Nix 100 Milliarden für die Bundeswehr“ aufbrachte, wie einer sagte, während für die Pflege angeblich kein Geld vorhanden sei.
„Die Erschöpfung der Mitarbeitenden nimmt täglich zu“, hieß es letztes Jahr in einem Brandbrief, den 150 Frankfurter Beschäftigte an die Klinikleitung richteten. Die Unterschriften kamen vor allem aus den Intensivstationen, die mit schweren Corona-Fällen überlastet waren und es heute noch sind. Der chronische Personalmangel wirke sich verheerend aus, stand dort. „Viele klagen über Schlafstörungen oder verlassen weinend die Station – das ist kein akzeptabler Zustand.“
Kurz vor der nächsten Corona-Welle im Herbst und Winter, die mit dem hochansteckenden BA5-Virus bereits anrollt, hat die Landesregierung Hessen im Juli eine Entscheidung getroffen, die der Durchseuchung Tür und Tor öffnet. Sie hat verfügt, dass auch infizierte Beschäftigte mit noch positivem Corona-Test wieder zur Arbeit kommen. Verantwortlich dafür ist die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, die den Grünen angehört. Sie ist auch die Aufsichtsratsvorsitzende des Uniklinikums Frankfurt.
Dort hat diese Praxis eine Welle der Empörung ausgelöst, so dass sie wieder gestoppt werden musste. Infizierte Kolleginnen und Kollegen müssen hier jetzt zwar einen negativen Test, jedoch keinen PCR-Test vorweisen, um an die Arbeit zurückzukehren.
An der Uniklinik Marburg/Gießen, der zweiten Uniklinik in Hessen, können jedoch nach wie vor Corona-positive Pflegekräfte eingesetzt werden. Eine solche Entscheidung ist für Pflegekräfte und Patienten gleichermaßen lebensbedrohlich. Sie ist Ausdruck der Profite-vor-Leben-Politik der Regierungsparteien.
Die zweieinhalb Corona-Jahre, die das Personal auf den Stationen auslaugten, haben letztlich nur die Missstände offengelegt, die sich schon vorher angehäuft hatten. Verheerend wirkte sich vor allem die Einführung der Fallpauschalen, der DRGs (Diagnosis Related Groups) aus, die jeden Patienten zu einem „Fall“ degradieren. Die DRGs bestimmen, was die Kassen an Pflegezeiten, Therapien, etc. bezahlen, und üben so einen gewaltigen Druck auf Ärzte und Krankenhausleitungen aus.
„Seither wurde massiv Personal abgebaut“, berichtete uns eine Krankenschwester. „Patienten, die man früher gesundgepflegt hätte, werden nun oft zu früh entlassen. Dieses Fallpauschalen-System“, setzte sie hinzu, „gehört schnellstens abgeschafft!“
Um solche Ziele zu erreichen, muss der Kampf jedoch unabhängig von den Gewerkschaften geführt werden! Denn diese isolieren jeden Kampf und zementieren die verheerenden Bedingungen, die eine Folge der Durchseuchungs- und Kriegspolitik der Regierung sind. Auch der Druck auf die Arbeitslöhne steigt infolge der Inflation und Preisexplosion, die der Militarismus erzeugt. In all diesen Fragen stehen die Gewerkschaften auf der Seite der Ampel-Koalition und ihrer Kriegspolitik gegen Russland.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat sowohl die Corona-Frage als auch die grassierende Teuerung aus den Verhandlungen ausgeklammert. Sie konzentriert alles auf den „Tarifvertrag Entlastung“ (TV-E), der sich schon in Berlin und Nordrhein-Westfalen als rein kosmetische Maßnahme und Ablenkung erwiesen hat.
In NRW hielten Pflegekräfte einen Streik an den Unikliniken elf Wochen lang durch, ehe Verdi ihn im Juli mit dem TV-E abwürgte. Dieser Vertrag sieht zwar bindende Personal-Patienten-Schlüssel auf den Stationen vor, die, wenn sie unterschritten werden, der Pflegekraft Punkte einbringen – aber erst für sieben solche Punkte steht ihr ein Entlastungstag zu.
Das Hauptproblem ist, dass der Personalmangel ja nach wie vor besteht. Wenn jemand also einen Entlastungstag nimmt, müssen die Kolleginnen und Kollegen die Zusatzbelastung ausgleichen – ein wahrer Teufelskreis, der nichts lösen wird! Bis das System in Kraft tritt, sollen außerdem die Pflegekräfte noch anderthalb Jahre warten.
Zuvor war schon an der Berliner Charité und bei Vivantes ein TV-E abgeschlossen worden. Dort brach Verdi im letzten Herbst einen Streik nach 50 Tagen ab. Auch jener TV-E hat die unhaltbaren Zustände nicht beseitigt.
Die Verdi-Sekretäre und Verhandlungsführer sind jahrzehntelange Experten darin, den Widerstand des Personals unter Kontrolle zu halten. Sie sind loyale Partner der Klinikleitungen und der Landesregierung. Georg Schulze, der in Frankfurt die Verhandlungen führt, ist nicht nur Verdi-Landesfachbereichsleiter, sondern auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Rhön-Kliniken, die das Uniklinikum Marburg/Gießen übernommen haben. Ohne Leute wie Schulze wäre die Privatisierung niemals so reibungslos über die Bühne gegangen. Schulze kassierte im Aufsichtsrat letztes Jahr 57.000 Euro, im Jahr davor sogar 122.000 Euro an Tantiemen, alles neben seinem eigentlichen Gehalt als Verdi-Sekretär.
Auch die Frankfurter Verdi-Sekretärin für den Gesundheitsbereich, Hilke Sauthof-Schäfer, die am Donnerstag den Warnstreik einleitete, hat jahrelange Erfahrung mit Verdi-Arbeitskämpfen. Sie sitzt im Aufsichtsrat des Klinikums Hanau, dessen Betriebsratsvorsitzende sie zuerst war. Als Kandidatin für die Linkspartei in den Kommunalwahlen unterhält sie die besten Beziehungen zu den etablierten Parteien, in Hessen vor allem zur Linken, der SPD und den Grünen.
Im Kampf um ein qualitativ hochstehendes Gesundheitssystem und menschenwürdige Zustände an den Kliniken brauchen die Pflegekräfte – genau wie die Beschäftigten der Flughäfen, der Schulen und Kitas und des öffentlichen Verkehrswesens – eigene, demokratisch geführte Organe, die unabhängig von den Gewerkschaften handeln können.
Das Aktionskomitee Pflege, das während des Streiks in NRW entstanden ist und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) angehört, hat für den Arbeitskampf folgende Forderungen aufgestellt:
- Für jede unterbesetzte Schicht müssen die Betroffenen einen Ausgleich in Höhe des Lohns der ausgefallenen Kraft plus 50 Prozent Stress-Zulage erhalten! Wer für zwei arbeitet, muss auch für zwei entlohnt werden! Nur so kann das perfide System beendet werden, mit dem die Kliniken an der Unterbesetzung verdienen!
- Sofortige Verdoppelung des Personals! Jeder von uns weiß, dass eine angemessene Pflege nur mit einer massiven Aufstockung und einer Rücknahme aller Personalkürzungen möglich ist!
- Das ist nur möglich, wenn Pflegerinnen und Pfleger endlich angemessen entlohnt werden. Angesichts der hohen Inflation bedeutet die Lohnpolitik der Gewerkschaften einen nicht hinnehmbaren Lohnverlust. Um ihn und die vorangegangenen Reallohnsenkungen auszugleichen, müssen die Löhne um mindestens 30 Prozent erhöht und gleitend an die Inflation angepasst werden!
- 100 Milliarden für Gesundheit statt für Aufrüstung! Jahrelang wurden die Kliniken mit dem Argument kaputtgespart, es sei kein Geld da. Nun werden horrende Summen aufgewendet, um Deutschland zur größten Militärmacht Europas hochzurüsten. Das Geld muss stattdessen in die Pandemiebekämpfung und den massiven Ausbau des Gesundheitssystems investiert werden!
- Das System der Fallpauschalen und die damit verbundene Profitorientierung der Kliniken muss sofort beendet werden. Privatisierte Einrichtungen müssen umgehend in gesellschaftliches Eigentum überführt werden. Das Gesundheitswesen darf nicht im Interesse einer Handvoll Aktionäre geführt werden, sondern muss zum Nutzen der gesamten Bevölkerung ausgerichtet sein.
Unabhängige Aktionskomitees werden die Beschäftigten mit allen nötigen Informationen versehen und ihre Kämpfe über alle Grenzen der Betriebe, Branchen und Länder gemeinsam führen. Beteiligt Euch am Aufbau dieser Arbeiterorgane und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC), die sie koordiniert!
Nehmt Kontakt zum Aktionskomitee Pflege auf, registriert Euch und schickt uns eine Nachricht über Whatsapp: +4915203521345!