Nachdem die Gewerkschaft Verdi zunächst den Streik des Pflegepersonals in den Kliniken der Charité und bei Vivantes abgewürgt hat, beendete sie nun auch den Kampf für höhere Löhne bei den Tochtergesellschaften des landeseigenen Berliner Klinikkonzerns. Im Ergebnis werden damit die miserablen Löhne der Beschäftigten für weitere vier Jahre festgeschrieben.
Die rund 2000 Beschäftigten arbeiten in ausgegliederten Tochtergesellschaften unter anderem in den Bereichen Reinigung, Transport und Catering. Ihre Forderung war eine Anhebung der Löhne durch Angleichung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD). Entgegen den wenigen Beschäftigten mit Altverträgen, erhält die übergroße Mehrheit in diesen Bereichen bis zu 800 Euro weniger.
Am Freitag stellten Gewerkschaft und Klinikmanagement ein Eckpunktepapier vor, dass als Grundlage für einen Vertrag gilt, der zu Beginn kommenden Jahres in Kraft treten soll. Bereits eine Woche zuvor hatte Verdi den Streik bei den Töchtern ausgesetzt. Kern der Einigung ist das Versprechen, dass sich die Gehälter bis zum Jahr 2025 stufenweise dem Niveau des TVöD „annähern“ sollen.
Nach Gewerkschaftsangaben erhalten zwei der fünf betroffenen Tochtergesellschaften rückwirkend zum 1. Juli eine Erhöhung der Löhne um 2,5 Prozent. Alle Beschäftigten erhalten zudem eine Corona-Sonderzahlung von 1.500 Euro. Nach dem Eckpunktepapier sollen die Beschäftigten der Vivantes-Reha-Einrichtungen und Technik- und Baumitarbeiter Ende 2025 96 Prozent des TVöD-Tarifs erhalten. Für die drei anderen Tochtergesellschaften sollen am Ende 91 Prozent des TVöD erreicht werden.
„Das Ergebnis ist ein Kompromiss. In Teilen ist es ein guter Kompromiss, in Teilen ein sehr schmerzhafter“, bewertete Verdi-Verhandlungsführer Ivo Garbe das Ergebnis. In Wirklichkeit ist das Ergebnis ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten. Damit wurde die zentrale Forderung von Landesregierung, Klinikmanagement und Wirtschaftsvertretern, nämlich keine Angleichung an den TVöD, erfüllt. Vivantes erklärte, dass der größte Teil der Vereinbarung erst auf das Ende der Laufzeit entfällt und war daher höchst zufrieden mit dem Ergebnis.
Eine Erhöhung von gerade einmal 2,5 Prozent in diesem Jahr bedeutet angesichts einer Inflationsrate von 4,5 Prozent im Oktober eine reale Lohnsenkung. Die extrem lange Laufzeit von vier Jahren soll sicherstellen, dass die schlechten Löhne damit langfristig festgeschrieben werden und die Beschäftigten auch für die Laufzeit einem Streikverbot unterliegen.
Die alte – und vermutlich auch neue – Berliner Landesregierung von SPD, Grünen und Linkspartei zeigte sich erleichtert über das Ende des Arbeitskampfes. „Wir freuen uns, dass dieser große Schritt gelungen ist“, erklärte Bettina Jarasch (Grüne) nach einer Sitzung der rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen. Die Berliner SPD-Vorsitzende Franziska Giffey dankte besonders ihrem Parteikollegen und früheren SPD-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, der in dem Tarifkonflikt vermittelt hatte. Seine Arbeit habe eine große Rolle gespielt dabei, trotz verhärteter Fronten eine Lösung zu finden, so Giffey. Platzeck hatte die gleiche Rolle beim Arbeitskampf der CFM-Beschäftigten an der Charité gespielt.
Verdi hat damit einen der längsten Streiks im deutschen Gesundheitswesen vollständig ausverkauft.
Die Pflegekräfte in den Vivantes-Kliniken und der Charité hatten ebenso seit Anfang September für vier Wochen gestreikt. Sie forderten mehr Personal und eine Ende der unhaltbaren Überlastung des Personals. An allen acht Vivantes- sowie den drei Charité-Standorten wurden während des Streiks tausende Behandlungen verschoben oder abgesagt. Der Streik genoss riesige Unterstützung unter anderen Beschäftigten und in der Bevölkerung.
Das oberste Ziel von Verdi war es, den Streik zu begrenzen und möglichst rasch zu beenden. In enger Abstimmung mit Management und Landesregierung beendete sie zunächst den Streik an der Charité, wenige Tage später auch den der Pflegekräfte bei Vivantes. In beiden Fällen hat die Gewerkschaft auch nur ein jeweils vage formuliertes Eckpunktpapier vereinbart, auf dessen Grundlage in den nächsten Wochen ein Tarifvertrag ausgehandelt werden soll.
Für die Pflegekräfte der Charité beinhaltete das Eckpunktepapier einen so genannten Entlastungstarifvertrag. Hier sollen in den nächsten drei Jahren 700 zusätzliche Mitarbeiter in der Pflege eingestellt werden. Damit wurde die ursprüngliche Forderung von 1200 fast halbiert. Darüber hinaus werden keine Angaben zu den tatsächlichen Stellenanteilen der einzustellenden Pflegekräfte gemacht.
Ein weiterer Eckpunkt sind die so genannten Belastungspunkte. So soll es für fünf Schichten in Unterbesetzung einen Punkt geben, der als Belastungsausgleich in acht Stunden Freizeit umgewandelt werden kann. Dabei soll es aber maximal fünf freie Tage pro Jahr geben. Das schreibt die permanente Überlastung der Pflegekräfte eher fest, als sie zu beenden. Wenn eine Pflegekraft acht Stunden lang für zwei gearbeitet hat, soll sie nicht einmal zwei Stunden davon als Freizeit ausgeglichen bekommen. Damit ist die Unterbesetzung für die Klinik noch immer deutlich rentabler als der Einsatz der vorgeschriebenen Anzahl an Pflegekräften.
Ein ähnliches System wurde für Vivantes vereinbart. Eine Pflegekraft, die eine Schicht lang auf einer unterbesetzten Station gearbeitet hat, erhält demnach einen „Vivantes-Freizeitpunkt“. Für neun angesammelte Punkte gibt es eine Schicht Freizeitausgleich oder alternativ 150 Euro. 2023 soll dies schon ab sieben Punkten gelten. Für die Klinik bleibt es aber weiterhin höchst rentabel, unterbesetzte Schichten zu planen, zumal die Anzahl der möglichen freien Tage – wie an der Charité – gedeckelt wird. Weitere Vereinbarungen, die getroffen wurden und zum 1. Januar nächsten Jahres in einen Tarifvertrag fließen sollen, sind weitgehend kosmetischer Natur.
Verdi hat die Streiks in Berlin auch deshalb abgebrochen, weil sie weitere Kämpfe isolieren und unterdrücken will, die sich angesichts der Zustände in den Kliniken unweigerlich entwickeln. In Brandenburg streiken in dieser Woche erneut 1300 nichtärztliche Beschäftigte in den Asklepios-Kliniken. Ab Donnerstag beginnen in Brandenburg an der Havel, Teupitz und Lübben die Arbeitsniederlegungen.
Seit April verhandelt Verdi mit dem privaten Klinikbetreiber für die insgesamt 1450 Beschäftigten. Dabei hat sich Asklepios, der zu den drei größten Klinikkonzernen des Landes gehört, kategorisch geweigert, die Löhne auch nur ansatzweise auf das Niveau des TVöD anzuheben.
Auch hier arbeitet Verdi mit aller Kraft daran, den Arbeitskampf zu isolieren und schnell zu beenden. Am 5. Oktober sprachen sich die Beschäftigten in einer Urabstimmung mit fast 91 Prozent für einen unbefristeten Streik aus, nachdem es seit Juni bereits an zehn Tagen zu Warnstreiks gekommen war. Verdi ignorierte dieses Votum und rief zu einem auf sechs Tage befristeten Streik auf.
Erst nachdem Asklepios danach ein provokantes Angebot vorgelegt hatte, sah sich Verdi zum erneuten Streikaufruf gezwungen. Das letzte Angebot des Konzerns sah eine Gehaltssteigerung zwischen 4,1 und 8,5 Prozent. Hinzu käme eine einmalige Corona-Sonderzahlung von 1.200 Euro, für die es aber ein Jahr lang keine Tarifsteigerung geben soll. Darüber hinaus drohte Asklepios offen damit, Standorte zu schließen.
Ungeachtet dessen beschränkt Verdi auch diesmal den Streik bis zum 10. November und auch diesmal werden die rund 150 ärztlichen Mitarbeiter gezielt nicht zum Streik aufgerufen.
Die gezielte Sabotage der Gewerkschaften unterstreicht, dass Arbeiter den Kampf in die eigenen Hände nehmen müssen. Beschäftigte im Gesundheitssystem müssen sich in unabhängigen Aktionskomitees organisieren, um die Streiks auszuweiten und ihren Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erfolgreich zu führen. Nur so kann eine noch größere Katastrophe und ein Kollaps des Gesundheitssystems inmitten der Pandemie verhindert werden.
Mehrere Ärztevertreter und Intensivmediziner warnen aktuell vor einer kritischen Belastung der Krankenhäuser. Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, erklärte am Dienstag gegenüber MDR Aktuell, man habe zwar im Moment noch weniger Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen als im vergangenen Herbst, gleichzeitig stünden aber im Vergleich zu Anfang des Jahres 4.000 Intensivbetten weniger zur Verfügung.
Grund dafür sei, dass aufgrund der massiven Belastung viele Pflegekräfte ihren Beruf beendet oder ihre Arbeitszeit reduziert hätten. Auch der Jenaer Klinik-Direktor Michael Bauer bestätigte den Personalschwund auf den Intensivstationen. Gegenüber dem MDR bemerkte er, dass im Laufe der Corona-Pandemie etwa 10 bis 20 Prozent der Pflegekräfte den Intensivstationen den Rücken gekehrt hätten.
Die Folgen dieser Entwicklung sind dramatisch. Bereits jetzt müssten in einigen Regionen erste nicht lebensnotwendige Operationen verschoben werden. Infolge der skrupellosen „Profite vor Leben“-Politik und der de facto Beendigung aller Schutzmaßnahmen schnellen die Fallzahlen und damit auch die Hospitalisierungen schnell nach oben – mit katastrophalen Konsequenzen.
„Wir haben das Problem, dass das Pflegepersonal auf den Intensivstationen ermüdet ist… Es ist eine enorme Belastung“, warnte der Intensivmediziner Prof. Dr. Uwe Janssens im ARD-Morgenmagazin. „Wir haben steigende Zahlen. Und wenn ich... die Inzidenzen sehe, das ist schon dramatisch. Das ist fast wie im letzten Jahr. Und wir werden noch höhere Zahlen erleben.“