Brief von Will Lehman an die UAW-Delegierten: „Die UAW ist nur noch dem Namen nach eine Gewerkschaft“

Die WSWS veröffentlicht den Text eines Briefs, den Will Lehman an die Delegierten des UAW-Kongresses geschickt hat, der am 25. Juli beginnt. Lehman ist 34 Jahre alt, arbeitet bei Mack Trucks und kandidiert für das Amt des UAW-Vorsitzenden.

Der Brief wurde über eine E-Mail-Liste verschickt, die von dem gerichtlich bestellten Wahlbeobachter geführt wird.

Die WSWS unterstützt Lehmans Wahlkampagne für das Amt des UAW-Vorsitzenden. Mehr über Lehmans Kampagne erfahrt ihr unter WillforUAWpresident.org.

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An alle Delegierten des UAW-Kongresses,

Mein Name ist Will Lehman, und ich kandidiere für das Amt des UAW-Vorsitzenden.

Der gerichtlich bestellte Wahlbeobachter hat mich als wählbaren Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden anerkannt. Damit mein Name bei den Wahlen im Oktober und November auf den Wahlzettel gesetzt wird, muss ich auf dem Kongress in der kommenden Woche noch nominiert werden. Dazu muss mindestens ein Delegierter während der Nominierungssitzung meinen Namen vorschlagen.

Zu dem Zeitpunkt, an dem der UAW-Kongress am Montag beginnt, sind die Lebensbedingungen für UAW-Arbeiter und -Ruheständler unerträglich geworden.

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Die Zugeständnisse, denen die UAW in den letzten Jahrzehnten zugestimmt hat, haben einen Großteil ihrer Mitglieder in die Armut getrieben. In vielen Fällen wurden den Arbeitern von der UAW-Führung jährliche Lohnerhöhungen von nur zwei bis drei Prozent aufgezwungen, obwohl die UAW-Führung genau wusste, wie rasant die Inflation steigt. Jetzt bedeuten die steigenden Preise für Waren, dass die Arbeiter Reallohnkürzungen von fünf bis zehn Prozent pro Jahr hinnehmen müssen. Der Acht-Stunden-Tag gehört der Vergangenheit an, stattdessen gibt es zermürbende „alternative“ Arbeitszeiten und obligatorische Überstunden.

Jetzt, da sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, beginnen die Unternehmen mit Massenentlassungen, u.a. bei Stellantis und Ford. Wie wird die UAW-Bürokratie reagieren? Die Frage beantwortet sich von selbst. Sie wird diese Entlassungen ebenso hinnehmen wie die Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen in den letzten vier Jahrzehnten.

Unterdessen wütet die Corona-Pandemie erneut in den Werken, nachdem in den USA bereits Tausende von Arbeitern und mehr als eine Million Menschen insgesamt gestorben sind. Die UAW unternimmt nichts, um unsere Gesundheit und unser Leben zu schützen. Die Arbeiter brechen bei Rekordhitze am Fließband zusammen, weil sie gezwungen sind, Überstunden und Wochenendarbeit zu machen, um die Produktion für die Unternehmen zu steigern.

Ich trete bei dieser Wahl für ein Kampfprogramm ein. Es ist höchste Zeit, dass die Arbeiter in der UAW gemeinsam mit allen Teilen der Arbeiterklasse einen koordinierten Kampf für die Erfüllung unserer Forderungen führen, darunter für den Anfang: massive Lohnerhöhungen, eine obligatorische Lebenskostenangleichung in Höhe der Inflation, die Abschaffung des Lohnstufensystems und dauerhafter Leiharbeitsverhältnisse, vollständige Finanzierung der Renten und einer hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle derzeitig Beschäftigten und Rentner sowie die Wiedereinführung des Acht-Stunden-Tags.

Doch um ein solches Programm umzusetzen, muss man sich klar machen, wie es so weit gekommen ist. Die UAW hat durch ihre gesamte Politik der letzten Jahrzehnte alles zerstört, was frühere Generationen von Arbeitern in erbitterten Kämpfen errungen haben.

Die UAW ist nur noch dem Namen nach eine Gewerkschaft. Sie ist eine von den Konzernen kontrollierte Organisation und wird von einem riesigen Apparat verwaltet, der zu einem Werkzeug der Managements geworden ist. Das Hauptanliegen dieses Apparats ist es nicht, die Interessen der UAW-Mitglieder zu vertreten, sondern seinen Reichtum und seine Privilegien zu mehren.

Dieser Kongress findet statt, um direkte Wahlen der Führung zu bewilligen, weil die Kriminalität des UAW-Apparats durch einen massiven Korruptionsskandal aufgedeckt wurde.

Die Personen, die den Vorsitz beim letzten Kongress im Jahr 2018 führten, sitzen mittlerweile im Gefängnis. Dazu gehörten der damalige scheidende Präsident Dennis Williams und der auf dem Kongress gewählte Präsident Gary Jones. Nur zwei Jahre später hat sich Jones der Unterschlagung und Verschwörung schuldig bekannt. Er war am Diebstahl von mehr als 1,5 Millionen Dollar an Gewerkschaftsgeldern beteiligt. Die Delegierten waren von diesen Verbrechern so begeistert, dass sie sogar eine massive Gehaltserhöhung für den Apparat bewilligt haben.

Das Solidarity House verteilt jedes Jahr 75 Millionen Dollar an Hunderte von Assistenten, amtierende Repräsentanten, Sekretäre und andere Funktionäre, die zwischen 100.000 und 160.000 Dollar pro Jahr verdienen. Und wofür? Damit sie den Arbeitern Tarifverträge aufzwingen, die sie nicht wollen, und unsere Versuche unterdrücken, uns dagegen zu wehren.

Es ist mittlerweile Routine, dass die Tarifverträge, die von der UAW hinter unserem Rücken „ausgehandelt“ wurden, mit mehr als 90 Prozent abgelehnt werden. So ist es im Verlauf des letzten Jahres bei Volvo Trucks, Dana, Deere und zuletzt bei Tenneco und Ventra geschehen. Dennoch werden die Verträge irgendwie mit irgendwelchen geringfügigen Korrekturen durchgedrückt. Bei HarperCollins haben gerade 99,5 Prozent der Arbeiter für einen Streik gestimmt, aber die UAW hat sie nach nur einem Tag wieder an die Arbeit geschickt.

Ich kandidiere für das Amt des Vorsitzenden der UAW International, um eine Massenbewegung der einfachen Arbeiter mit dem Ziel anzuführen, die Vorherrschaft des Apparats zu brechen und die Macht und Kontrolle über alle Entscheidungsprozesse an die Arbeiter der Autowerke und aller anderen Betriebe zu übertragen. Wenn die UAW weiterbestehen soll, dann als Organisation der Arbeiter, von den Arbeitern und für die Arbeiter.

Das Ergebnis des Nominierungsverfahrens wird darüber entscheiden, ob es Delegierte gibt, die die Basis repräsentieren und für sie sprechen. Wenn ihr bereit seid, zu kämpfen, euch gegen den Apparat zu stellen und dafür zu sorgen, dass die Arbeiter bei diesen Wahlen eine echte Wahl haben, dann ist jetzt der Zeitpunkt, aktiv zu werden.

Mit freundlichen Grüßen
Will Lehman

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