Die Ankündigung der Volkswagen AG, drei Werke zu schließen, viele tausende Arbeitsplätze zu vernichten und die Löhne der verbleibenden Beschäftigten massiv zu senken, ist nicht der einzige Angriff auf die arbeitende Bevölkerung in den letzten Wochen. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass ein neuer Konzern massive Stellenstreichungen auf internationaler oder nationaler Ebene ankündigt.
Am Dienstag, den 5. November, gab der französische Reifenhersteller Michelin die Schließung von zwei Werken bekannt, wodurch 1.250 Arbeitsplätze wegfallen. Das vor 135 Jahren gegründete Unternehmen begründete die Schließung der Standorte Cholet und Vannes in Westfrankreich mit hohen Kosten und billiger Konkurrenz.
Zwei Tage später kündigte Nissan am Donnerstag die Streichung von 9.000 seiner international 134.000 Arbeitsplätze an. In einer Stellungnahme an der Börse von Tokio teilte der Konzern mit, er werde strenge Sparprogramme umsetzen, um sich von den enttäuschenden Geschäftszahlen zu erholen. Zum zweiten Mal hat Nissan seine Prognose für den Betriebsgewinn für das laufende Geschäftsjahr reduziert, von 500 Milliarden Yen auf 150 Milliarden Yen. Der Einzelhandelsverkauf von Fahrzeugen in China ging allein im ersten Halbjahr 2024 um 5,4 Prozent zurück.
Am selben Donnerstag meldeten Medien den Abbau von mindestens 4.500 Stellen bei Audi im „indirekten Bereich“, zum Beispiel in der Entwicklung. Dabei ist noch völlig unklar, ob sich der Abbau auf diese Zahl beschränkt. Audi beschäftigt in Deutschland 54.000 Mitarbeiter.
Noch vor wenigen Tagen hatte Audi-Finanzvorstand Jürgen Rittersberger versichert, dass die bis 2029 geltende Beschäftigungsgarantie Bestand haben werde. Nun gibt das Audi-Management bekannt, dass die mit dem Betriebsrat vereinbarte Garantie eine Ausnahmeregelung für den Fall verschlechterter unternehmerischer Rahmenbedingungen enthalte. Laut Gesamtbetriebsratschef Jörg Schlagbauer hat der Konzern bereits Verhandlungen mit dem Betriebsrat aufgenommen. Über die tatsächliche Zahl der geplanten Entlassungen dringt jedoch nichts nach außen.
Wie andere Automobilhersteller sah sich Audi im dritten Quartal mit einem massiven Rückgang der verkauften Fahrzeuge um 16 Prozent auf 407.000 Einheiten konfrontiert. Der operative Gewinn sank um 91 Prozent auf 106 Millionen Euro.
Die zur Bosch-Gruppe gehörende Bosch-Rexroth hat am Mittwoch den Abbau von 300 Stellen in mehreren Werken in Bayern bekannt gegeben. Dieser Abbau soll zu dem in den vergangenen Monaten nach und nach angekündigten weltweiten Stellenabbau von 7.000 Stellen, die meisten davon in Deutschland, hinzukommen.
Bosch-Vorstandschef Stefan Hartung sagte dem Tagesspiegel, er könne „nicht ausschließen, dass wir die personellen Kapazitäten weiter anpassen müssen“. Schon im März hatte Bosch einen massiven Personalabbau angekündigt, und 25.000 Beschäftigte protestierten heftig gegen die Pläne. Die IG-Metall, die den Protest anführte, steht seither in Verhandlungen mit der Geschäftsführung und hat einer tariflichen Arbeitszeitrückstufung von 40 auf 35 Stunden zugestimmt, was für Tausende von Beschäftigten Lohnverzicht bedeutet.
Im Jahr 2023 hatte Bosch 92 Milliarden Euro erwirtschaftet, und laut Hartung wird im Jahr 2024 die erwartete Steigerung nicht erreicht. Der Betrag wird leicht unter dem des Jahres 2023 liegen. Hartung klagte, dass die Umsatzrendite 4 Prozent betragen werde, 1 Prozent weniger als im Vorjahr. Er versprach, Bosch halte das Ziel von 7 Prozent „dennoch fest im Blick“.
Der Automobilzulieferer Schaeffler mit Sitz in Herzogenaurach teilte Anfang dieser Woche mit, dass der Konzern 3.700 Arbeitsplätze in Europa abbaut, davon 2.800 in Deutschland. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 120.000 Mitarbeiter. Noch im Oktober hatte Schaeffler die Vitesco Technologies Group AG in Regensburg, einen konkurrierenden Automobilzulieferer mit 35.000 Mitarbeitern, übernommen.
Das Management erklärte die Wettbewerbsfähigkeit zum zentralen Ziel und ließ offen, ob in Zukunft ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen zu erwarten sei. Indessen nannte es drei Ziele, die das Unternehmen anstrebt: 1. Optimierung der Gewinnmarge, 2. Ausnutzung der Synergien aus der Übernahme von Vitesco, 3. Bewältigung des fortschreitenden Transformationsprozesses in der Autoindustrie. Das Ziel des Arbeitsplatzabbaus sei es, fünf Jahre lang das Einsparpotential auf 290 Millionen Euro pro Jahr anzuheben.
Auch bei ZF Friedrichshafen, einem weiteren großen Autozulieferer, kommt es zu massiven Stellenstreichungen. Die Belegschaft des ZF-Werks Brandenburg an der Havel wurde am Mittwoch in einer Betriebsversammlung über den Abbau von 850 Stellen bis 2028 informiert. In dem Werk produzieren 1.600 Beschäftigte Zahnräder. Die IG-Metall gibt vor, nicht informiert zu sein. Nach der Betriebsversammlung, die von der Geschäftsführung und der IG-Metall einberufen wurde, sagte die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Oranienburg-Potsdam, Stefanie Jahn, dass ihr derzeit über Verhandlungen, auf welche Weise die Maßnahmen „möglichst sozialverträglich“ umgesetzt werden könnten, nichts bekannt sei.
Mitte Oktober hatte ZF schon die Streichung von 1.800 Arbeitsplätzen in seinem Werk in Saarbrücken bis Ende 2025 angekündigt. Diese Zahl wird sich bis 2028 auf 4.500 erhöhen, wenn nicht genügend Aufträge eingehen, um die Gewinnspanne zu erhöhen.
Schon Mitte Juli hatte ZF die Entlassung von 14.000 Mitarbeitern und die Schließung mehrerer Werke angekündigt. Die Wirtschaftswoche berichtet aus den internen Unterlagen zum Sanierungsplan (ohne jedoch eine Zahl zu nennen), dass 15 Werke mit 300 oder weniger Beschäftigten von der Schließung bedroht sind, dass aber auch größere Standorte wie Friedrichshafen mit massiven Stellenstreichungen rechnen müssen.
Wie eine ZF-Sprecherin in Saarbrücken bestätigt hat, stehen alle Werke im Bezirk auf dem Prüfstand, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Sie wies darauf hin, dass dies nur durch die Kollaboration der IG-Metall auf Kosten der Beschäftigten erreicht werden könne. Die Verhandlungen stünden vor der Frage, was getan werden müsse, um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Sie drohte, sollten die Zugeständnisse nicht ausreichen, das Werk in Saarbrücken mit 10.000 Beschäftigten zu schließen: „Nur wenn das nicht gelingt, kommt als Ultima Ratio ein Verkauf des Standorts oder dessen Schließung in Frage.“
Ende September hat ZF seine Prognose der Geschäftszahlen für 2024 leicht nach unten korrigiert. Der Gesamtumsatz reduziert sich von erwarteten 42,5 bis 43,5 Milliarden auf 40 bis 42 Milliarden Euro. Die erwartete bereinigte EBIT-Marge sinkt von 4,9 bis 5,4 Prozent auf 3 bis 4 Prozent.
Ende September meldete der Autozulieferer WKV (Walter Klein Gruppe) Insolvenz an. Bei dem Unternehmen, das für die Produktion von Zierleisten für VW und BMW bekannt ist, drohen der Abbau von 3.800 Arbeitsplätzen und die Schließung der Standorte Velbert und Wuppertal.
Bereits im Jahr 2022 wurde WKV von der nordrhein-westfälischen Landesregierung mit einer Anleihe unterstützt. Nun sucht das Unternehmen nach Investoren oder Käufern. Die Verhandlungen mit einem amerikanischen Unternehmen über einen Verkauf scheiterten Ende Juni. Zuletzt machte das Unternehmen 560 Millionen Umsatz vor allem in Europa und den USA.
WKV, ein alter Traditionsbetrieb, wurde 1940 gegründet; der Vorgänger, die Julius & August Erbslöh GmbH & Co. KG, war sogar schon 1842 gegründet worden. Henner Pasch, Präsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer, schlug im Namen des Unternehmers Alarm und appellierte an die Bundesregierung: „Ich fürchte ja, wenn sich seitens der Politik nichts ändert, wird das nicht die letzte Insolvenz bei den Bergischen Automobilzulieferern gewesen sein.“
Magna, der größte Automobilzulieferer mit weltweit 168.000 Mitarbeitern, betreibt in Deutschland derzeit 30 Produktionsstandorte mit 13.700 Beschäftigten. Laut der Schwäbischen Zeitung hält der Konzern viele dieser Werke für nicht mehr wirtschaftlich und plant die Schließung einer nicht genannten Anzahl von Standorten. Wie hoch der Verlust von Arbeitsplätzen ausfällt, wird bisher nicht bekannt gegeben.
Indessen hat Magna Mitte Oktober die Schließung des Werks in Rosenberg (Baden-Württemberg) angekündigt, wodurch 350 Arbeitsplätze verloren gehen, und will auch das Magna-Werk in Neumarkt in der Oberpfalz mit 100 Arbeitsplätzen schließen. Das Magna-Werk Soest streicht 400 Stellen. Hierzu kündigte Christian Thoenes, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Hamm-Lippstadt, Ende September die Entlassung der Hälfte der 800 Beschäftigten bis Ende 2025 an. Der Konzern teilte mit, dass diese Entscheidung nach monatelangen Verhandlungen mit der Geschäftsführung, der IG-Metall und mehreren Anwälten getroffen worden sei.
Unter den Arbeitern wächst der Widerstand gegen diese brutalen Angriffe. Es muss jedoch gewarnt werden: So groß auch immer der Kampfgeist der Arbeiter sein mag, der traditionelle Weg, sich im Arbeitskampf auf die Führung der IG-Metall oder anderer Gewerkschaften zu verlassen, wird in der Niederlage enden. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen.
Im Februar kündigte Tadano Europe, Tochtergesellschaft des japanischen Kranherstellers Tadano, die Schließung von einem von zwei Standorten in Zweibrücken bis spätestens Sommer 2025 an. In der 35.000-Einwohnerstadt in der Westpfalz ist Tadano der größte Arbeitgeber, und mit der Schließung fallen 400 Arbeitsplätze weg. In beiden Werken zusammen beschäftigt das Unternehmen 1.200 Mitarbeiter. Einen weiteren Standort unterhält Tadano im bayrischen Lauf.
Nach mehrmonatigen Verhandlungen sah sich die IG-Metall gezwungen, Anfang September zur Urabstimmung aufzurufen. 92,9 Prozent der Beschäftigten stimmten für einen unbefristeten Streik. Nach 19 Streiktagen hat der Betriebsrat jedoch eine Vereinbarung unterzeichnet, die sich nicht wesentlich von der ursprünglichen Forderung des Unternehmens unterscheidet. Anstelle von 400 Arbeitsplätzen werden 249 abgebaut, und eins der zwei Werke in Zweibrücken, das Werk Wallerscheid, soll verkauft werden.
Der IG-Metall-Verhandlungsführer Salvatore Vicari sagte dazu: „Wir sind sehr glücklich mit dem Ergebnis“ – ganz im Gegensatz zu den streikenden Arbeitern. Wie der Südwestrundfunk (SWR) berichtete, hat der große Widerstand der Arbeiter zu einer ungewöhnlich langen Betriebsversammlung geführt.
Von Beginn des Arbeitskampfs an setzte die IG-Metall alles daran, den Kampf zu isolieren. Abgesehen von formellen Solidaritätserklärungen weigerte sie sich, die Beschäftigten in der Region, geschweige denn auf nationaler Ebene, zur Unterstützung des Streiks zu mobilisieren. Diese Strategie der IG-Metall, die Arbeiter von Betrieb zu Betrieb voneinander zu trennen, soll dazu dienen, sie zu kontrollieren und jede unabhängige Aktion zu verhindern.
Die Erfahrung bei Tadano zeigt die Notwendigkeit eigener unabhängiger Organisationen in Form von Aktionskomitees, welche die Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien über die Profitinteressen der Konzerne, Aktionäre und Superreichen stellen, den Kampf ausweiten und gemeinsam zum Erfolg führen werden.