Selenskyj drängt auf Kriegseintritt der Nato

Der ukrainische Präsident drängt darauf, dass sich die Nato direkt an Kriegshandlungen gegen Russland beteiligt – auch wenn sie damit einen dritten Weltkrieg riskiert.

Wolodymyr Selenskyj sprach am Mittwoch per Videoschaltung zum US-Kongress und am Donnerstag zum Deutschen Bundestag. In beiden Reden kritisierte er die bisherigen Militärhilfen und Sanktionen gegen Russland als zu schwach und verlangte die Einrichtung einer Flugverbotszone.

„Das ist ein Terror, wie ihn Europa seit 80 Jahren nicht mehr gesehen hat, und wir verlangen eine Antwort, eine Antwort auf diesen Terror von der ganzen Welt“, sagte er in Washington. „Ist es zu viel verlangt, eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten, um Menschen zu retten?“ Alternativ schlug er die Lieferung von hochwertigen Luftabwehrraketen vor, die sich in Nato-Beständen befinden.

Auch in Berlin verlangte Selenskyj eine Flugverbotszone. Er forderte Deutschland auf, zu helfen, den Himmel über der Ukraine sicher zu machen und russische Luftangriffe zu verhindern. Gleichzeitig übte er heftige Kritik an der deutschen Russlandpolitik. Durch das lange Festhalten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und die Weigerung, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, habe Deutschland daran mitgewirkt, sein Land zu isolieren und an Russland auszuliefern, warf er den versammelten Abgeordneten vor.

Experten sind sich einig, dass die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine einem offiziellen Kriegseintritt der Nato gleichkäme. So bezeichnete der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Harald Kujat die Forderung als unverantwortlich.

„Abgesehen davon, dass es für Flugverbotszonen kein UN-Mandat geben würde, wäre eine Flugverbotszone gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an Russland“, sagte Kujat der Heilbronner Stimme. „Damit Kampfflugzeuge der Nato nicht abgeschossen werden, müssten zunächst die Luftverteidigungssysteme Russlands ausgeschaltet werden. Selbst wenn dies gelingen sollte, würden Luftkämpfe folgen. Die Nato und Russland wären miteinander im Krieg und stünden an der Schwelle zu einem Nuklearkrieg.“

Trotzdem gewinnt die Forderung in den USA und Europa wachsende Unterstützung. Unter anderem wird sie von den Regierungschefs Polens, Tschechiens und Sloweniens unterstützt, die Selenskyj am Mittwoch einen abenteuerlichen Besuch in Kiew abstatteten. Der starke Mann der polnischen Regierungspartei PIS, Jaroslaw Kaczynski, verlangt sogar eine bewaffnete „Friedensmission“ der Nato in der Ukraine.

Selenskyj, ein ausgebildeter Schauspieler, zog alle Register, um Unterstützung für eine weitere militärische Eskalation zu bekommen. Er schilderte die Schrecken des Krieges, beschwerte sich vorwurfsvoll über unzureichende Unterstützung und schmeichelte gleichzeitig dem Nationalstolz seines Publikums. Die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung zog er mit keiner Silbe in Betracht.

In Washington beschwor er die Gründerväter der USA, pries das Land als Inbegriff von „Demokratie, Unabhängigkeit und Freiheit“, erinnerte an die Traumata der US-Geschichte, Pearl Harbor und den 11. September, und appellierte an Präsident Biden, als „Führer einer großen Nation“ die Ukraine im Kampf „für die Werte Europas und der Welt“ zu unterstützen.

Er war sich noch nicht einmal zu schade, Martin Luther Kings berühmte „I have a dream“-Rede zu zitieren. Der Bürgerrechtler hatte allerdings von einer Welt ohne Unterdrückung und Rassismus geträumt, während Selenskyjs Traum auf tödliche Waffen abzielt.

Eine Woche zuvor hatte sich Selenskyj im britischen Unterhaus auf Winston Churchill berufen, der Großbritannien in seiner „dunkelsten Stunde“ gegen Deutschland verteidigt habe.

Im Bundestag schlug Selenskyj erneut andere Töne an. Hier appellierte er an den Antikommunismus der herrschenden Klasse und an ihr Streben, wieder eine Großmachtrolle zu spielen. Hinweise auf die „Mauer“, die Ost- und Westdeutschland vierzig Jahre lang voneinander trennte, zogen sich als Leitmotiv durch seine gesamte Rede.

Die russische Invasion habe eine Art neuer Mauer mitten in Europa geschaffen, die „zwischen Freiheit und Unfreiheit“ trenne, erklärte Selenskyj und appellierte an Bundeskanzler Olaf Scholz: „Zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die es verdient.“ Alle Fraktionen, von der Linken bis zur AfD, dankten ihm mit stehendem Applaus.

Es ist nur 80 Jahre her, seit Deutschland die Sowjetunion überfiel und 27 Millionen ihrer Einwohner umbrachte, viele davon in der Ukraine. Wenn Selenskyj Deutschland nun wieder auffordert, eine „Führungsrolle“ zu spielen, ist das kein Missverständnis. Ukrainische Nationalisten wie Stepan Bandera, die mit der deutschen Wehrmacht kollaborierten und sich an ihren Massakern beteiligten, stehen in der Ukraine hoch im Kurs. Sie werden öffentlich mit Denkmälern und Gedenkfeiern geehrt.

Nur einen Tag vor Selenskyjs Bundestagsrede hatte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, öffentlich das Asow-Regiment verteidigt, das sich aus Rechtsextremen zusammensetzt und Nazi-Symbole auf der Uniform trägt. „Bitte hören Sie auf, das Asow-Regiment zu dämonisieren und Propaganda – jetzt auch mitten im RUS Vernichtungskrieg – in die Hände zu spielen,“ schrieb er auf Twitter. „Diese mutigen Kämpfer verteidigen ihre Heimat, vor allem die belagerte Stadt Mariupol. Lassen Sie sie in Ruhe.“

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Melnyk protestierte gegen einen Artikel der Zeit, die längst bekanntes Material über die rechtsextreme Truppe zusammengetragen hatte und zum Schluss gelangt war: „Im Krieg mögen solche Kräfte der ukrainischen Regierung nützlich sein. Fraglich bleibt, was aus dem Regiment wird, wenn der Konflikt vorbei ist. Militärisch gedrillte Neonazis mit Kampferfahrung, mit Panzerfäusten und Sturmgewehren, dürften sich kaum wieder einfach so einem demokratisch gewählten Präsidenten unterordnen.“

Die Förderung faschistischer Gruppen durch die Regierung in Kiew rechtfertigt nicht den militärischen Angriff Russlands, der reaktionär ist. Sie entlarvt aber die Lüge, es gehe in dem Krieg um Demokratie und Freiheit, und zeigt, dass die Verantwortung für den Krieg und das Leid der ukrainischen Bevölkerung nicht allein in Moskau liegt.

Die USA und ihre Nato-Verbündeten haben seit der Auflösung der Sowjetunion das Ziel verfolgt, Russland als geostrategischen Rivalen auszuschalten und Zugriff auf seine gewaltigen Rohstoffe und Landmassen zu bekommen. Um ihre Stellung als Weltmacht zu verteidigen, führten sie völkerrechtswidrige Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien und dehnten die Nato immer weiter nach Osten aus.

In der Ukraine, die wirtschaftlich und kulturell eng mit Russland verbunden ist, schürten sie gezielt Nationalismus. 2014 organisierten sie einen rechten Putsch und brachten ein prowestliches Regime an die Macht. Seither haben sie das Land systematisch aufgerüstet, Waffen im Wert von Milliarden hineingepumpt und seine Armee ausgebildet.

Der jetzige Krieg ist in Wirklichkeit ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Nato, der auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgetragen wird. Finanziert wird er von der Nato. Im neu beschlossenen US-Haushalt sind 14 Milliarden Dollar für die Ukraine eingeplant, doppelt so viel wie deren eigener Militärhaushalt. Seit Kriegsbeginn sind davon 550 Millionen geflossen, weitere 800 Millionen hat Präsident Biden bereits freigegeben. Auch die anderen Nato-Mitglieder überfluten das Land mit Militärhilfe und Waffen.

Für die deutsche Regierung dient der Krieg als willkommene Gelegenheit, längst vorbereitete Aufrüstungspläne in die Tat umzusetzen und die größte Rüstungsoffensive seit Hitler zu starten. Bisher war das in der Bevölkerung immer auf großen Widerstand gestoßen.

Die Gefahr, dass der Krieg außer Kontrolle gerät und in einen dritten Weltkrieg mündet, wird von Tag zu Tag größer. Sie kann nur durch eine Offensive der Arbeiterklasse gestoppt werden, die die Arbeiter aller Länder im Kampf gegen den Kapitalismus zusammenschließt.

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