Die mündliche Verhandlung über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, die am Mittwoch vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten stattfand, hat gezeigt, dass das Gericht kurz davorsteht, dieses demokratische Grundrecht aufzuheben. Dies hätte kolossale politische Folgen.
Zwei Generationen von US-Amerikanern haben die Zeit vor dem Urteil im Fall Roe v. Wade nicht mehr erlebt. Eine Abtreibung war damals ein heimlicher, oft kriminalisierter Prozess, der manchmal mit körperlicher Verstümmelung und sogar dem Tod enden konnte. Das Recht von Frauen, diese Entscheidung zu treffen, war der reaktionären Willkür von Polizei, Priestern und Politikern unterworfen. Die amerikanische Bevölkerung wird mit gerechtfertigtem Zorn auf diesen Versuch reagieren, die Uhr der Geschichte zurückzudrehen.
Die Anhörung unterstrich die Rolle einer klerikal-reaktionären Fraktion innerhalb der US-amerikanischen herrschenden Elite, die eng mit den faschistischen Kräften unter der Führung von Ex-Präsident Donald Trump verbündet ist. Die große Präsenz von rechten Katholiken am Obersten Gerichtshof – darunter Samuel Alito, Clarence Thomas, Brett Kavanaugh, Amy Coney Barrett und der Oberste Richter John Roberts – ist in der Abtreibungsfrage von besonderer Bedeutung. Diese Kräfte setzen ein religiöses Dogma durch und verletzen dabei in eklatanter Weise das Trennungsgebot von Kirche und Staat.
Die fünf Richter und der von Trump ernannte Neil Gorsuch haben sich eindeutig für die Aufrechterhaltung des in Mississippi gültigen Gesetzes entschieden, das Abtreibungen nach der 15. Woche verbietet. Die sechs Richter stellten nur wenige Fragen und schienen den vorgebrachten Argumenten weitgehend gleichgültig gegenüberzustehen. Ihr Hauptinteresse galt der Frage, ob der Fall für eine sofortige Zurückweisung des Grundsatzurteils von 1973 genutzt werden sollte oder ob das Gesetz von Mississippi auf engerer Grundlage aufrechterhalten und Roe noch nicht offiziell aufgehoben werden sollte.
Auf diese Weise würde dasselbe Ziel ein wenig langsamer erreicht, da der durch Roe und die darauffolgende Entscheidung im Fall Planned Parenthood vs. Casey von 1992 gesetzte Maßstab dadurch abgeschafft würde. Die Urteile hatten das Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs – d. h. nach etwa 23 Wochen – bekräftigt.
Wenn die Lebensfähigkeit des Fötus nicht länger der Maßstab ist, gibt es keinen juristischen Grund, warum die in Mississippi festgelegte 15-Wochen-Grenze nicht weiter gesenkt werden könnte – auf zwölf Wochen, auf acht Wochen oder sogar auf sechs Wochen, bevor die meisten Frauen überhaupt wissen, dass sie schwanger sind. Ein „Höchstwert“ von sechs Wochen wäre im Grunde dasselbe wie ein völliges Verbot.
Ein Großteil der Anhörung wurde von den drei verbliebenen gemäßigten liberalen Richtern genutzt, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, dass sich das Gericht in den Augen der amerikanischen Bevölkerung – die mit überwältigender Mehrheit Abtreibungsrechte befürwortet – diskreditieren könnte. (Meinungsumfragen am Vorabend der Anhörung ergaben große Mehrheiten gegen die Aufhebung des Urteils im Falle Roe v. Wade. In einer Umfrage von ABC und Washington Post erreichte dieser Anteil 75 Prozent.)
Stephen Breyer, Elena Kagan und Sonia Sotomayor warnten, dass das Gericht in nie dagewesener Weise ein demokratisches Recht bedroht, auf das sich Millionen Menschen in den letzten 50 Jahren verlassen haben – und dies nur, weil sich die Zusammensetzung des Gerichts geändert hat und nicht, weil sich die Art des Problems oder die öffentliche Stimmung geändert hätte.
Die schärfste Kritik kam von Sotomayor. Sie zitierte Aussagen von Abgeordneten des Staates Mississippi, wonach diese das 15-Wochen-Gesetz verabschiedet hätten, „weil wir neue Richter haben“. Sie fragte: „Wird diese Institution den Gestank überleben, der ihr durch die öffentliche Wahrnehmung anhaftet, die Verfassung und ihre Auslegung seien nur politische Akte? Ich wüsste nicht, wie das möglich sein sollte.“
Die Zusammensetzung des Gerichts ist selbst ein Ausdruck des Verfalls der amerikanischen Demokratie, die am 6. Januar letzten Jahres an den Rand des Zusammenbruchs gebracht wurde. Trump versuchte damals, die Präsidentschaftswahlen des Jahres 2020 zu kippen und sich selbst an der Macht zu halten.
Trump hat drei der sechs Mitglieder der ultrarechten Mehrheit persönlich ernannt. Die jüngste Richterin, Amy Coney Barrett, wurde nur wenige Tage vor der Wahl eingesetzt, während Trump offen erklärte, er werde sich nicht an das Wahlergebnis halten. Er zählte dabei auf Barrett, um eine Anfechtung der Wahl Bidens vor dem Obersten Gerichtshof zu entscheiden.
Neil Gorsuch wurde für einen Sitz benannt, den der Führer der Republikaner im Senat – Mitch McConnell – über neun Monate hinweg freigehalten hatte, indem er darauf bestand, dass Barack Obama nicht das Recht habe, eine freie Stelle während eines Präsidentschaftswahljahres zu besetzen. Diesen Präzedenzfall wies er vier Jahre später zynisch von sich, um Trumps Nominierung von Amy Coney Barrett durchzusetzen.
Gegen keine einzige von Trumps Nominierungen leistete die Demokratische Partei irgendeinen ernsthaften Widerstand. Sie protestierte ohnmächtig gegen Gorsuch. Sie brachte die Anhörung von Brett Kavanaugh – Trumps zweitem Kandidaten – mit einem #MeToo-ähnlichen Ablenkungsmanöver auf Abwege, während sie jegliche Diskussion über seine rechten Positionen und seine Rolle in der Verschwörung zu Bill Clintons Amtsenthebung vermied.
Mit Barrett – einer Juraprofessorin, die einer reaktionären katholischen Geheimgesellschaft angehört und Ruth Bader Ginsburg ersetzte – erreichte dieser Prozess seinen Tiefpunkt. Vom Standpunkt der Identitätspolitik sprach nichts dagegen, eine Frau durch eine andere zu ersetzen und ohnehin waren die Demokraten gerade damit beschäftigt, Trumps nach wie vor andauernde Verschwörung zur Annullierung des Wahlergebnisses zu vertuschen. Und so sahen sie einfach zu, wie das Gericht immer schärfer nach rechts gerückt wurde.
Die Demokraten haben die letzten zwei Jahrzehnte damit verbracht, dem rechten Angriff auf die Abtreibungsrechte entgegenzukommen und sich ihm anzupassen. Die New York Times – eine halboffizielle Publikation der Demokratischen Partei – brachte den bevorstehenden Angriff auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zum Ausdruck, indem sie an prominenter Stelle eine Wutrede von Ross Douthat veröffentlichte. Der Titel: „The Case Against Abortion“ („Ein Plädoyer gegen Abtreibung“).
Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist eine Klassenfrage. Dem lautstarken Händeringen der Demokraten zum Trotz ist ihre soziale Basis in der oberen Mittelschicht nicht übermäßig beunruhigt über die Aussicht auf eine Aufhebung von Roe v. Wade. Frauen mit Geld werden weiterhin Zugang zu Abtreibungen haben, wenn sie es wünschen. Sie können problemlos nach Kalifornien oder in den Nordosten reisen, wo es weiterhin legal sein wird, oder sogar nach Kanada und Europa.
Ganz anders sieht es für Frauen aus der Arbeiterklasse im Süden, im Mittleren Westen und in anderen Bundesstaaten aus, in denen Abtreibungen im Falle einer Aufhebung von Roe stark eingeschränkt oder gänzlich verboten würden. Schon jetzt haben Frauen mit geringem Einkommen in diesen Staaten große Schwierigkeiten, eine Abtreibung zu erhalten – im gesamten Bundesstaat Mississippi gibt es beispielsweise nur eine einzige Klinik, die Abtreibungen anbietet.
Im zweitgrößten Bundesstaat Texas hat das neue Gesetz – das zivilrechtliche Selbstjustiz bei Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche zulässt – den Zugang zu Abtreibungsdiensten praktisch zum Erliegen gebracht. Frauen sind gezwungen, zu hohen Kosten hunderte Kilometer nach Oklahoma, Louisiana oder New Mexico zu fahren, wobei sie Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, weil sie in dieser Zeit nicht arbeiten können.
Die Zahlen, die dem Obersten Gerichtshof in den Amicus-Schriftsätzen und während der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurden, bezeugen die Notlage arbeitender Frauen. Eine von vier Frauen wird im Laufe ihres Lebens einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Von diesen sind 75 Prozent einkommensschwach, 59 Prozent haben bereits Kinder, und 55 Prozent erleben einschneidende Lebensereignisse wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder des Partners, die bei ihrer Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch eine Rolle spielen.
Die rechtsextremen politischen Kräfte, die mobilisiert werden, um das Recht auf Abtreibung zu zerstören, sind dieselben Kräfte, die eine führende Rolle bei der Forderung nach Aufhebung aller Beschränkungen der Covid-19-Pandemie gespielt haben und die mit dem Putschversuch vom 6. Januar kurz davor standen, eine faschistische Diktatur zu errichten.
Die Demokraten haben ein ums andere Mal vor diesen politischen Kräften kapituliert: Sie haben sich die Forderung nach Schulöffnungen und der Aufhebung anderer Pandemiemaßnahmen vollständig zu eigen gemacht und haben versucht, die Rolle ihrer republikanischen „Kollegen“ im Putschversuch vom 6. Januar zu vertuschen.
Der Kampf zur Verteidigung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch kann nicht über die politischen Parteien geführt werden, die jeweils eine Fraktion der kapitalistischen Oligarchie oder der wohlhabenden oberen Mittelschichten vertreten. Wie im Falle aller anderen demokratischen Rechte erfordert dieser Kampf die Mobilisierung der Arbeiterklasse als unabhängige politische Kraft – in Opposition zur herrschenden Klasse und dem kapitalistischen System.
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