Linken-Politikerin Wagenknecht agitiert gegen Corona-Schutzmaßnahmen

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat sich zum prominentesten Sprachrohr der Impfskeptiker in Deutschland aufgeschwungen. Spätestens ihr Auftritt in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am 31. Oktober hat dies einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt.

Wagenknecht brüstete sich damit, dass sie nicht geimpft sei und sich auch nicht impfen lassen werde. Die Impfung sei eine individuelle Entscheidung, erklärte sie. Man dürfe das Impfen nicht zu einem Akt der Solidarität mit anderen aufblasen. „Wer sich impfen lässt, der schützt vor allen Dingen sich selbst.“

Staatliche Schutzmaßnahmen gegen das Virus verurteilte sie als Angriff auf die individuelle Freiheit. Da sich jeder impfen lassen und damit selbst schützen könne, sei kein staatlicher Schutz mehr nötig.

Wagenknecht musste zwar zugeben, dass auch Geimpfte andere anstecken können. Doch auch daraus konstruierte sie ein Argument gegen Schutzmaßnahmen. Die 2G- und 3G-Regeln, die nur Geimpften, Genesenen und Getesteten Zugang zu bestimmten Räumen und Veranstaltungen gewähren, lehnte sie mit der Begründung ab, die Frage sei doch, „wer hier wen ansteckt“.

Ihre eigene Weigerung, sich impfen zu lassen, rechtfertigte Wagenknecht mit möglichen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen, für die es, wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in der Sendung betonte, keinerlei wissenschaftliche Belege gibt. Die neuen Impfstoffe seien mittlerweile eine halbe Milliarde mal verimpft worden, sagte Lauterbach. „Hätte es da Nebenwirkungen gegeben, dann hätten wir das gemerkt.“

Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine agitieren seit längerem gegen Corona-Impfungen. Lafontaine, der mit 78 Jahren zu den Risikogruppen gehört, ist zwar selbst geimpft. Doch das hindert ihn nicht daran, gegen Impfbefürworter zu hetzen.

So hatte er Lauterbach, ein promovierter Mediziner und Epidemiologe, der für relativ restriktive Schutzmaßnahmen eintritt, bereits im August auf seiner Website als „Covidioten“ beschimpft, der „Arm in Arm mit der Pharmaindustrie“ gehe. Die Impfung von Kindern nannte Lafontaine „verantwortungslos“. Es gebe kein überzeugendes Argument dafür, aber mehrere dagegen.

Wagenknecht selbst zeterte Ende Oktober in ihrem wöchentlichen Video-Podcast gegen Corona-Schutzmaßnahmen. Die wüste Tirade hätte ihr den Jubel jeder Querdenker-Demonstration eingebracht.

Sie bezeichnete das Ende der „epidemischen Notlage“, das die Ampel-Mehrheit im Bundestag beschließen will, als „gute Nachricht“, um sich dann darüber zu empören, dass bestimmte Schutzmaßnahmen während einer Übergangsphase beibehalten werden. Als Beispiele nannte sie die Maskenpflicht sowie 2G- und 3G-Regelungen, die sie als „völligen Schwachsinn“ bezeichnete.

Obwohl die Infektionszahlen wieder dramatisch ansteigen, behauptete Wagenknecht unter Missachtung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, wenn sich jeder impfen lassen könne, müsse niemand mehr vor Ungeimpften geschützt werden. „Jeder ist für sich selbst verantwortlich.“ Freiheit sei, „wenn jeder sich selbst schädigen kann“. Das gelte schließlich auch für Raucher und Alkoholkonsumenten.

Auch den „Freedom Day“, den der britische Premier Boris Johnson am 19. Juli ausgerufen hatte, lobte Wagenknecht. Er habe funktioniert, trotz hoher Inzidenzen gebe es weniger Krankenhauseinweisungen. Tatsächlich sind seit diesem Tag 11.620 Briten an Covid 19 gestorben. 3,4 Millionen haben sich zusätzlich infiziert, so dass die Gesamtzahl der Toten jetzt über 165.000 und die der Infizierten über 9 Millionen liegt. Vor allem an britischen Schulen breitet sich das Virus explosiv aus; jeder zwölfte Sekundar- und jeder 33. Primarschüler hat sich bereits angesteckt.

Ungeachtet dieser verheerenden Bilanz schwang sich Wagenknecht zur Anwältin aller Impfverweigerer auf, als seien sie eine verfolgte und unterdrückte Minderheit. Sie würden unter Druck gesetzt, erpresst und als unsolidarisch geächtet, behauptete sie. „Der totalitären Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.“ Ungeimpfte würden behandelt wie Gefängnisinsassen im Freigang, schimpfte sie unter Hinweis auf Österreich, wo die Regierung einen Lockdown für Impfverweigerer erwägt.

Wagenknechts und Lafontaines Standpunkte sind asozial und politisch kriminell. In die Tat umgesetzt würden sie – zusätzlich zu den weltweit 5 bis 15 Millionen, die der Pandemie bereits zum Opfer gefallen sind – weitere Millionen Menschenleben kosten. Insbesondere Arbeiter und Arme, die sich anders als die Reichen und Superreichen kaum schützen können, wären betroffen.

Wagenknechts Behauptung, Impfen sei eine individuelle Entscheidung und keine Frage der Solidarität, erinnert an den berüchtigten Ausspruch der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, es gebe keine Gesellschaft, sondern nur einzelne Männer und Frauen.

Die Pandemie ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Die Übertragung des Virus und die damit verbundenen Masseninfektionen können nur durch eine gemeinsame, internationale gesellschaftliche Anstrengung unterbunden werden. Anders als dem Rauchen und dem Alkoholkonsum kann man sich dem Virus, der sich über Aerosole von Mensch zu Mensch verbreitet, nicht durch individuellen Verzicht entziehen, sondern nur durch gesellschaftliche Schutzmaßnahmen.

Mit ihrer Kampagne gegen solche Schutzmaßnahmen stellen sich Wagenknecht und Lafontaine in eine Reihe mit faschistischen Figuren wie Donald Trump, Jair Bolsonaro und den rechtsextremen Elementen, die auf den Querdenkerdemonstrationen den Ton angeben. Sie alle stellen ihre Ablehnung von Impf- und Schutzmaßnahmen populistisch als Kampf für „Freiheit“ dar, während sie in Wirklichkeit das Leben von Millionen Menschen den Profitinteressen der Finanzoligarchie zum Fraß vorwerfen.

Sie vertreten in ausgeprägtester Form eine Politik, die nahezu alle kapitalistischen Regierungen unter Parolen wie „mit dem Virus leben lernen“ und „neue Normalität“ verfolgen. Diese „neue Normalität“ misst sich nicht an der Rettung von Menschenleben, sondern ausschließlich an Profitfaktoren. „Tod und schwere Krankheit“ werden gegen „verlorene Arbeitstage, Geschäftsschließungen und Schulabwesenheitsraten“ aufgerechnet, wie es die Unternehmensberatungsfirma McKinsey kürzlich tat.

Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht und Lafontaine die Positionen der äußersten Rechten vertreten. In der Flüchtlingspolitik verfolgen sie seit langem einen Kurs, der sich kaum von jenem der AfD unterscheidet. In diesem Frühjahr veröffentlichte Wagenknecht das Buch „Die Selbstgerechten“, in dem sie eine völkisch-nationalistische Ideologie vertritt, gegen Kosmopolitismus und Weltoffenheit hetzt, für Protektionismus und einen starken Staat wirbt und Migranten und Flüchtlinge denunziert. Wir haben es auf der WSWS besprochen.

Führende Vertreter der Linkspartei haben versucht, sich von Wagenknechts jüngsten Corona-Äußerungen zu distanzieren. Doch das Vorhandensein rechtsextremer Positionen innerhalb der Linkspartei wirft grundlegende Fragen auf, die sich nicht durch eine oberflächliche Distanzierung aus der Welt schaffen lassen.

Jede halbwegs gesunde Partei würde solche rechten Elemente sofort abstoßen. Nicht so die Linke. Wagenknecht wurde vom mitgliederstärksten Landesverband NRW zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gewählt, als ihre nationalistische Hetzschrift „Die Selbstgerechten“ bereits auf dem Markt war. Im Wahlkampf trat sie wiederholt mit anderen Spitzenvertretern der Partei auf.

Die Landesschiedskommission NRW lehnte einen Ausschluss-Antrag gegen Wagenknecht kürzlich mit der Begründung ab, ihre inhaltlichen Standpunkte würden zwar einen Rauswurf rechtfertigen, der entstandene politische Schaden sei aber nicht allein ihr anzulasten: „Verantwortung hat in gleicher Weise die Partei, die seit vielen Jahren den mit zunehmender Härte geführten Konflikt um die Ansichten der Antragsgegnerin nicht politisch löst.“

Die Partei „löst“ den Konflikt mit Wagenknecht deshalb nicht, weil sie ihren Kurs in der Praxis unterstützt. So hat Thüringen, das einzige Bundesland mit einem Linken-Ministerpräsidenten, beim Abbau von Corona-Schutzmaßnahmen stets eine Vorreiterrolle gespielt. Auch jetzt verfügt es mit 355 über die höchste Sieben-Tage-Inzidenz aller Bundesländer. 7,4 Prozent der Einwohner haben sich mit Sars-Cov-2 infiziert, die zweithöchste Rate hinter Sachsen. Auch bei der Abschiebung von Flüchtlingen nimmt Thüringen einen bundesweiten Spitzenplatz ein.

Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihr Vorgänger, der Bund Sozialistischer Arbeiter, haben seit der Gründung der PDS vor 32 Jahren darauf beharrt, dass die Nachfolgerin der stalinistischen SED eine bürgerliche Partei sei, und jedes Zusammengehen mit ihr abgelehnt. Daran änderte auch die Gründung der Linken durch eine Fusion mit abtrünnigen Sozialdemokraten unter Führung des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaines nichts. Im Gegenteil, Lafontaine sah die Aufgabe der SPD und der Linken stets darin, den Klassenkampf zu unterdrücken.

Es blieb pseudolinken Strömungen – dem pablistischen Vereinigten Sekretariat, SAV, Marx21 und anderen – überlassen, die Linke als eine sozialistische oder gar marxistische Organisation darzustellen. Sie schlossen sich der Partei an und machten darin rasch Karriere.

Jahrzehnte rechter Regierungspolitik in mehreren Bundesländern und zahlreichen Kommunen sowie die Zuspitzung von sozialer Ungleichheit und Klassenkampf haben es unmöglich gemacht, die Fiktion weiter aufrechtzuerhalten, an der Linken sei irgendetwas sozialistisch oder progressiv.

In der Bundestagswahl verfehlte sie die Fünf-Prozent-Marke und verlor fast die Hälfte ihrer Sitze. Nur dank drei Direktmandaten zog sie erneut ins Parlament ein. In den Ländern setzt sie ihre rechte Regierungspolitik fort. Neben Thüringen und Berlin tritt sie nun auch in Mecklenburg-Vorpommern in die Regierung ein.

Die Partei zerlegt sich zunehmend. Ein Flügel orientiert sich mittels Identitätspolitik auf das Kleinbürgertum, um dort eine soziale Basis für die rechte Politik der Linkspartei zu finden, ein anderer auf die Gewerkschaftsbürokratie. Der Wagenknecht-Flügel versucht zum selben Zweck den rückständigen Bodensatz der Gesellschaft zu mobilisieren. Im Fäulnisgestank, den der Zerfall der Partei auslöst, gedeihen ihre ultrarechten Positionen.

Die Pseudolinken reagieren, indem sie sich noch enger an die Linke klammern. Die SAV veröffentlichte in den letzten Monaten mehrere Artikel unter dem Motto: „Trotzdem in der Linken bleiben und kämpfen!“ Sie wandte sich auch explitzit dagegen, Wagenknecht wegen ihrer ultrarechten Positionen aus der Partei auszuschließen. „Die SAV ist dagegen, Sarah Wagenknecht auszuschließen, diese Auseinandersetzung ist politisch zu entscheiden,“ erklärt sie.

Das bestätigt, dass sich die Pseudolinken der Linkspartei nicht aufgrund falscher Hoffnungen und Illusionen angeschlossen hat, sondern weil sie ihre Klassenorientierung teilt. Sie orientiert sich an jenen Schichten des wohlhabenden Kleinbürgertums, die angesichts wachsender Klassenspannungen nach rechts rücken.

Eine nicht unerhebliche Rolle spielen dabei die Fleischtöpfe, die die Linke den pseudolinken Karrieristen bietet. Im Rechenschaftsbericht 2020 weist sie Einnahmen von 34 Millionen Euro und ein Reinvermögen von 45 Millionen Euro aus. Hinzu kommen 82 Millionen Euro, die die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Bundeshaushalt bezog. Abgeordnetendiäten, Mitarbeitergehälter und zahlreiche gutdotierten Stellen in Regierungen und Verwaltung sind dabei noch gar nicht mitgerechnet.

Es ist bezeichnend, dass die Linke zu einem Zeitpunkt weiter nach rechts rückt und desintegriert, an dem SPD, Grüne und FDP die Regierung übernehmen, um ein Programm der Massenentlassungen in der Autoindustrie, des Sozialabbaus, des Militarismus und der inneren Aufrüstung zu verwirklichen. Links von der Ampel gibt es außer der Sozialistischen Gleichheitspartei keine Oppositionspartei, die diesen Namen verdient.

Die SGP ist zwar zahlenmäßig noch schwach, aber sie verfügt über ein sozialistisches Programm, das die Zukunft verkörpert. Als deutsche Sektion der Vierten Internationale orientiert sie sich auf die stärkste gesellschaftliche Kraft: die internationale Arbeiterklasse, die zunehmend den Kampf aufnimmt. Wer wirklich für eine sozialistische Gesellschaft, gegen Militarismus und Faschismus kämpfen will, muss sich jetzt der SGP anschließen.

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