Zehntausende demonstrieren in Rom gegen Ausschreitungen faschistischer Impfgegner

Letzten Samstag beteiligten sich in Rom Zehntausende an einer Protestveranstaltung, die sich gegen die faschistischen Ausschreitungen eine Woche zuvor richtete. Rechtsextreme Schlägerbanden hatten eine Gewerkschaftszentrale verwüstet und versucht, das Parlament zu stürmen.

Laut den Gewerkschaften, die zu den Protesten am Samstag aufgerufen hatten, protestierten in Rom 100.000 Menschen gegen die extreme Rechte. Andere Schätzungen kamen auf 50.000 bis 60.000 Teilnehmer. Auf den Schildern der Demonstranten war u.a. zu lesen: „Wir haben am 25. April 1945 aufgehört, mit Faschisten zu reden“ und „Si, vax!“ (Ja zur Impfung). Letzteres bezieht sich auf die rechtsextreme Kampagne gegen eine Impfpflicht.

Protest auf dem Platz vor der Lateranbasilika in Rom am 16. Oktober 2021 (AP Photo/Andrew Medichini)

Am 9. Oktober beteiligten sich mehrere Tausend Menschen an einer rechten Protestveranstaltung gegen die Einführung des erweiterten „Grünen Passes“. Dieser erfordert den Nachweis einer vollständigen Impfung gegen das Coronavirus, einen negativen Covid-Test innerhalb der letzten 48 Stunden oder einen aktuellen Genesenennachweis. Seit letztem Freitag müssen Arbeiter im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft einen QR-Code ihres grünen Passes einscannen, wenn sie ihren Arbeitsplatz betreten wollen. In Bars, Cafés und anderen öffentlichen Einrichtungen gilt diese Pflicht bereits länger.

Im Verlauf der Demonstration spaltete sich eine kleinere Gruppe von mehreren Hundert Menschen unter zwei führenden Mitgliedern der kleinen faschistischen Partei Forza Nuova ab und versuchte, ins Parlament einzudringen. Nachdem die Polizei diesen Versuch abwehren konnte, zogen die Randalierer zur Zentrale der CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro), des ältesten Gewerkschaftsbunds des Landes.

Der Angriff auf das Parlament und das Gewerkschaftsgebäude folgte einem im Vorfeld ausgearbeiteten Plan und orientierte sich am Sturm auf das US-Kapitol, den Donald Trump am 6. Januar im Rahmen seines Putschversuchs angezettelt hatte.

75 Minuten vor Beginn der Belagerung der CGIL-Zentrale rief der Parteichef der Forza Nuova, Giuliano Castellino, von der Bühne auf der Piazza del Popolo, wo die Kundgebung stattfand: „Wir gehen jetzt alle zur CGIL.“ Er hetzte die Menge auf: „Wisst ihr, wer zugelassen hat, dass der Grüne Pass Gesetz wird und dass Millionen unserer Landsleute mit drohender Arbeitslosigkeit erpresst werden? Sie haben Namen: CGIL, CISL und UIL. Wisst ihr, was freie Bürger tun? Sie belagern die CGIL... Gehen wir hin und holen uns alles, was uns gehört.“

Auf Live-Videos, die von den Randalierern mit Handys aufgenommen und in den sozialen Medien veröffentlicht wurden, ist zu sehen, wie sie „Freiheit“ rufen, während sie die Räume der Gewerkschaft verwüsten. Die Polizei schritt erst mit großer Verzögerung ein, um sie aus dem Gebäude zu vertreiben, obwohl der Angriff mehr als eine Stunde zuvor von einem Faschistenführer bei einer Kundgebung mit Tausenden Teilnehmern angekündigt wurde. Nur 12 Menschen wurden verhaftet, darunter die Forza-Nuova-Führer Castellino und Roberto Fiore.

Der Angriff auf die CGIL-Zentrale war eine bewusste politische Entscheidung und sollte an die Geschichte des italienischen Faschismus anknüpfen. Mussolinis faschistische Banden hatten Anfang der 1920er solche Angriffe auf Gewerkschaften durchgeführt. Zwar sind die Gewerkschaften heute völlig andere Organisationen als zu der damaligen Zeit – sie haben keine Massenbasis in der Arbeiterklasse und machen mit den Arbeitgebern und dem Staat gemeinsame Sache gegen die Arbeiter – das wirkliche Ziel des faschistischen Mobs ist dennoch die Arbeiterklasse.

In den letzten Wochen fanden noch weitere kleinere rechtsextreme Proteste im ganzen Land statt. Am Montag setzte die Polizei Wasserwerfer gegen eine Sitzblockade ein, durch die der Hafen von Triest lahmgelegt wurde. An der Veranstaltung waren lokale rechtsextreme Aktivisten aus der Region beteiligt, darunter Stefano Puzzer, ein ehemaliges Mitglied der christlich-demokratischen Confederazione italiana sindacati lavoratori (CISL), der heute für die rechtsextreme Lega stimmt.

Die Demonstration gegen die Faschisten am letzten Sonntag, an der mehr als zehnmal so viele Menschen teilnahmen wie an den Ausschreitungen eine Woche zuvor, zeigt, dass die extreme Rechte eine kleine Minderheit ist und in der Arbeiterklasse und Jugend über keine Massenbasis verfügt.

Zudem befürwortet die große Mehrheit der italienischen Arbeiterklasse Massenimpfungen und lehnt die Behauptung der Faschisten ab, die Impfpflicht sei eine Verletzung ihrer persönlichen Freiheiten. Italien hat mit 80 Prozent der impffähigen erwachsenen Bevölkerung eine der höchsten Impfquoten Europas. Laut dem Forschungsunternehmen Teneo sind zwischen 20,5 und 20,8 Millionen aller 23 Millionen italienischen Arbeiter geimpft, mit Unterschieden nach Region und Branche.

Wenn die Faschisten Unterstützung gewinnen konnten, so lag das am Bankrott der offiziellen „linken“ Parteien und der Gewerkschaften sowie der Tatsache, dass die extreme Rechte von den Mainstreammedien und dem kapitalistischen politischen Establishment unterstützt wird.

Zudem wurde die Kampagne der Faschisten gegen minimalste Schutzmaßnahmen durch den Kurs des gesamten politischen Establishments in Italien gestärkt. Die Regierung hat weitere Lockdowns ausgeschlossen und die Wirtschaft wieder geöffnet, damit die Unternehmen weiterhin Profite machen können, ohne Rücksicht auf die Ausbreitung des Virus und die damit einhergehenden Todesfälle.

Die Verlautbarungen von Vertretern dieser Parteien, sie seien empört über den faschistischen Angriff am 9. Oktober, sind heuchlerisch und bedeutungslos. Präsident Sergio Mattarella und Ministerpräsident Mario Draghi haben dem Vorsitzenden der CGIL, Maurizio Landini, in formellen Botschaften ihre Unterstützung versichert.

Der stellvertretende Parteichef der Partito Democratico, Emanuele Fiano, kündigte an, seine Partei werde einen „Eilantrag“ im Parlament einreichen, um „die Auflösung der Forza Nuova und der anderen offen faschistischen Bewegungen“ zu fordern. Der ehemalige italienische Ministerpräsident und Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, besuchte ebenfalls die CGIL-Zentrale und erklärte, die Bedingungen für die Auflösung der Forza Nuova seien vorhanden.

Doch niemand sollte das geringste Vertrauen haben, dass eine dieser Parteien gegen die Gefahr des Faschismus kämpfen wird. Ihre Erklärungen sind besonders absurd, wenn man bedenkt, dass sie zurzeit in einer Koalition zusammen mit der Lega Nord des Faschisten Matteo Salvini regieren. Als Innenminister hatte Salvini Reden von Mussolinis Lieblingsbalkon gehalten und ständig gegen Immigranten und Flüchtlinge gehetzt, um faschistische Stimmungen anzuheizen. Auch Salvini verurteilte in einer Pro-Forma-Erklärung den jüngsten Angriff auf die CGIL.

Durch die Bildung einer Regierungskoalition wurden die neofaschistischen Fratelli d’Italia zudem zur offiziellen parlamentarischen Oppositionspartei. Ihre Führerin Giorgia Meloni kritisierte die Proteste am 9. Oktober, wollte sie aber nicht als faschistisch bezeichnen und behauptete, sie „lehnt jede Gewalt ab“. Zuvor hatte Meloni jedoch bereits erklärt, sie habe ein „entspanntes Verhältnis zum Faschismus“. (Siehe: Neofaschistin Meloni als italienische Regierungschefin im Gespräch)

Die Ereignisse der letzten zwei Wochen zeigen, dass die Aufgabe, gegen die Gefahr einer faschistischen Diktatur und für ein Ende der Corona-Pandemie zu kämpfen, der Arbeiterklasse zufällt. Massenimpfungen in Verbindung mit Lockdowns und sozialen Distanzierungsmaßnahmen, vollem Lohnausgleich für betroffene Arbeiter und Kleinunternehmen müssen umgesetzt werden, um das Virus weltweit auszurotten und der Pandemie ein Ende zu setzen.

Es waren die spontanen Streiks der Arbeiter in Italien, die die Regierungen im März 2020 dazu zwangen, vorübergehend Lockdown-Maßnahmen einzuführen. Die Ausrottung der Pandemie steht in engem Zusammenhang mit der Mobilisierung der Arbeiterklasse für Arbeiterregierungen und die Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens auf der Grundlage sozialer Bedürfnisse und des Schutzes menschlichen Lebens statt den Profitinteressen der Finanzelite.

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