Selten zuvor fand eine Bundestagswahl derart unter dem wachsenden Druck von Streiks und Protestdemonstration statt.
Drei Mal streikten die Beschäftigten der Eisenbahn seit August und legten tagelang den Güter- und Personenverkehr lahm. In der vergangenen Woche beendete dann die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) diesen bundesweiten Streik, obwohl die Kampfbereitschaft der Streikenden während des Ausstands zugenommen und die Unternehmensleitung nur minimale Zugeständnisse gemacht hatte.
Die Gewerkschaft akzeptierte eine drastische Reallohnsenkung, denn die Erhöhung von durchschnittlich 1,8 Prozent bei einer Laufzeit von 32 Monaten gleicht noch nicht einmal die Hälfte der Inflationsrate aus, die sich rasch der 4-Prozent-Marke nähert. Auch in der betrieblichen Altersvorsorge stimmte die GDL der Einführung eines Zwei-Klassensystems zu. Die bisherige Zusatzrente gilt ab nächstem Jahr nur noch für sogenannte Bestandsmitarbeiter.
Diese Woche versucht nun die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, den bisher unbefristeten Streik bei den beiden großen Berliner Klinikkonzernen Charité und Vivantes abzuwürgen. Bei den Tochterfirmen von Vivantes, bei denen es um die Angleichung der äußerst niedrigen Löhne an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TvöD) geht, hat Verdi bereits am Samstag den Streik beendet und die Verhandlungen wieder aufgenommen.
Nach Spitzengesprächen am Wochenende erklärte Verdi am Dienstag, man begrüße es, „dass sich die Vivantes-Geschäftsführung einen Ruck gegeben“ und ein neues Angebot vorgelegt habe. Das werde nun geprüft, kündigte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger an, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Vivantes ist. Sie fügte hinzu: „Wir hoffen weiterhin, dann zu schnellen Lösungen zu kommen, die ein Herunterfahren des Streiks ermöglichen.“
Mit dem Abwürgen des Streiks reagiert Verdi auf die wachsende Mobilisierung der Pflegekräfte, die sich wie ein Lauffeuer ausbreitet. Der Arbeitskampf bei den beiden landeseigenen Klinikkonzernen wird von vielen als Signal verstanden, endlich gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen vorzugehen, die durch jahrelange Kürzungen, Privatisierungsmaßnahmen und Profitorientierung entstanden sind und durch die Corona-Pandemie weiter verschärft wurden.
Zur selben Zeit, als Verdi sich bemühte, den Streik im Pflegebereich zu beenden, war sie gezwungen einen bundesweiten Warnstreik bei IKEA auszurufen. Der schwedische Möbelkonzern beschäftigt in Deutschland über 18.000 Mitarbeiter. Der Widerstand gegen schlechte Bezahlung und zusätzliche Belastung durch die Digitalisierung und wachsenden Onlinehandel hat in den vergangenen Monaten ständig zugenommen.
Noch weit zugespitzter ist die Situation in der Metall- und Elektroindustrie. In der vergangenen Woche stimmte die IG Metall dem Abbau von 2600 Arbeitsplätzen bei Siemens Energy zu. An allen betroffenen Standorten gab es Protestkundgebungen und Demonstrationen, auf denen die Siemens-Belegschaft ihre Kampfbereitschaft unter Beweis stellte. Doch die IG Metall und die Betriebsräte hatten nie die Absicht, einen ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen.
So ist es gegenwärtig überall. Allein in der deutschen Autoindustrie stehen eine halbe Million Arbeitsplätze auf der Streichliste. Die herrschende Klasse nutzt die Corona-Pandemie für scharfe soziale Angriffe. Während unzählige Arbeiter ihr Einkommen, ihre Existenz oder sogar ihr Leben verlieren, nutzt sie die Pandemie für eine neue Bereicherungsoffensive.
In der vergangenen Woche demonstrierten in Saarlouis über 3000 Ford-Arbeiter gemeinsam mit ihren Familien gegen den systematischen Abbau der Arbeitsplätze. Das Traditionswerk, das im vergangenen Jahr mit großem Pomp sein 50-jähriges Bestehen feierte, steht auf der Kippe. Von den einst über 7000 Beschäftigten wurden in enger Zusammenarbeit mit Betriebsrat und IG Metall bereits über 2000 abgebaut.
Viele Menschen in der strukturschwachen Region, in der schon vor vielen Jahren der Bergbau und die Stahlindustrie stillgelegt wurden, sind tief besorgt. Ford ist der größte Arbeitgeber, von dem auch viele Tausend Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie und anderen Bereichen der Wirtschaft abhängig sind. 14.000 Unterschriften zur Verteidigung des Werks wurden in den vergangenen Monaten gesammelt. Doch die Konzernleitung hält ihre Stilllegungspläne nach wie vor geheim, und die IG Metall weigert sich, einen gemeinsamen Kampf aller Autoarbeiter an allen Standorten zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen.
Bei Daimler, Audi, Bosch, BMW und VW ist es nicht anders. Daimler kündigte im vergangenen Herbst an, den weltweiten Stellenabbau von 15.000 auf 30.000 zu verdoppeln. Im Sommer kämpften die Arbeiter von Continental mit immer neuen Aktionen gegen den drohenden Arbeitsplatzabbau. Auch dort hat die Konzernleitung den Arbeitsplatzabbau auf 30.000 erhöht, davon 13.000 in Deutschland.
Der Widerstand entwickelt sich weltweit. Besonders beispielhaft war der Arbeitskampf im amerikanischen Werk von Volvo Trucks, dem viertgrößten Lastwagenhersteller der Welt. Die 3000 Arbeiter in Dublin (Virginia) streikten im Sommer fünf Wochen lang gegen einen Tarifvertrag, der ihre Arbeitsbedingungen und Löhne erheblich verschlechtert. Viermal haben sie mit großer Mehrheit einen Tarifvertrag niedergestimmt, den die amerikanische Schwesterorganisation der IG Metall, die UAW, vereinbart hatte.
Auch in Belgien kämpften Arbeiter von Volvo Cars gegen eine Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft zur Verlängerung der Arbeitswoche. Im Juni streikten dort auch die Beschäftigten des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline elf Tage lang gegen die Entlassung von Zeitarbeitern und soziale Verschlechterungen.
Zur selben Zeit kämpften in der Türkei tausende Elektrizitätsarbeiter mit spontanen Streiks gegen schlechtere Arbeitsbedingungen, die die Gewerkschaft Tes-Is vereinbart hatte. In Kanada streikten Bergarbeiter in Sudbury, Ontario, zwei Monate lang, nachdem sie einen gewerkschaftlich unterstützten Abgruppierungsvertrag abgelehnt hatten.
Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf den Wahlkampf. Alle Bundestagsparteien reagieren auf den wachsenden Widerstand der Arbeiter, indem sie enger zusammenrücken und eine gemeinsame Front bilden. Sie alle haben im vergangenen Jahr die sogenannten Corona-Rettungsprogramme unterstützt, mit denen den Konzernen und Superreichen hunderte Milliarden zur Verfügung gestellt wurden. Jetzt sind sie alle dafür, dass diese Milliarden durch Sozialabbau, Sparmaßnahmen, Schuldenbremse etc. aus der Arbeiterklasse wieder herausgepresst werden. Gleichzeitig wird der Militäretat weiter aufgestockt.
Eine Schlüsselrolle in dieser All-Parteien-Front gegen die Arbeiterklasse spielen die Gewerkschaften. Sie versuchen, den Konzernen und der Regierung zu beweisen, dass sie über bessere Konzepte verfügen, um die Interessen der Wirtschaft im globalen Kampf um Marktanteile und Profite zu verteidigen. Sie wollen sie überzeugen, dass die Profite und Aktienkurse schneller steigen, wenn sie eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten.
Dabei setzen sie ihren umfassenden Funktionärsapparat samt Betriebsräten und Vertrauensleuten ein, um jeden ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze, Löhne und Sozialstandards zu unterdrücken. Zu dieser Strategie gehören auch Pseudo-Proteste, die nur dazu dienen, Frustration zu verbreiten, und Standort-Kampagnen, die die Arbeiter spalten und gegeneinander ausspielen. Aber es gelingt den Gewerkschaften immer weniger den wachsenden Widerstand in den Betrieben unter Kontrolle zu halten und zu unterdrücken.
In dieser Situation gewinnt der Wahlkampf der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) große politische Bedeutung. Die SGP hat aktiv in die Streiks und Proteste eingegriffen und für den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees gekämpft. Dabei haben wir immer betont, dass diese Kämpfe Teil einer wachsenden internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse sind.
Auf der ganzen Welt stehen Arbeiter denselben multinationalen Konzernen und Finanzinteressen gegenüber. Deshalb dürfen sie sich nicht spalten lassen. Sie können ihre Rechte und Errungenschaften nur verteidigen, wenn sie ihre Kämpfe international koordinieren. Das erfordert einen Bruch mit den Gewerkschaften und den Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC).
Gleichzeitig haben wir erklärt, dass Arbeiter ihre eigene Partei brauchen, um ihre Gegenoffensive zu entwickeln und politisch zu orientieren. Die SGP ist die einzige Partei, die ein internationales, sozialistisches Programm vertritt, das der Arbeiterklasse in den gegenwärtigen und kommenden Kämpfen mit Konzernen, Regierung und Gewerkschaften eine klare und prinzipielle Perspektive gibt.
Der kapitalistischen Politik mit ihrem Streben nach Profit und hemmungsloser Bereicherung, die alle Poren der Gesellschaft durchdringt und von allen Bundestagsparteien und Gewerkschaften verteidigt wird, setzen wir ein sozialistisches Programm entgegen, das die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung höher stellt als die Profitinteressen.
Im Wahlaufruf der SGP heißt es: „Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden. Um dieses Programm zu verwirklichen, braucht die Arbeiterklasse eine eigene Partei. Unterstützt jetzt unseren Wahlkampf und werdet Mitglied der SGP!“