Der plötzliche Sturz des US-Marionettenregimes in Afghanistan am Sonntag ist ein demütigendes Debakel für den amerikanischen Imperialismus. Er markiert den Zusammenbruch eines Regimes, das durch einen verbrecherischen Krieg und eine verbrecherische Besatzung aufgezwungen, mit Lügen gefördert und durch Ermordung, Folter und die Bombardierung von Zivilisten an der Macht gehalten wurde.
Am frühen Sonntag gab das Pentagon bekannt, dass zwei Marineinfanteriebataillone und ein US-Infanteriebataillon auf dem internationalen Flughafen von Kabul eingetroffen seien, um das afghanische Regime zu unterstützen. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani, Kopf einer Marionettenregierung, rief in einem Video die Sicherheitskräfte seines Regimes auf, für „Recht und Ordnung“ zu sorgen
Nachdem die Taliban-Truppen ihren blitzartigen Vormarsch vor den Toren Kabuls kurz unterbrochen hatten, nahmen sie im Laufe des Tages wichtige Punkte in der afghanischen Hauptstadt ein. Bei Einbruch der Dunkelheit berichteten Taliban-Vertreter, dass sie den Präsidentenpalast eingenommen hätten und in Kürze die Bildung einer neuen Regierung ankündigen würden. Der Luftwaffenstützpunkt Bagram, das berüchtigte Nato-Gefängnis und Folterzentrum, fiel an die Taliban, die die dort untergebrachten 7.000 Gefangenen freiließen.
Im Laufe des Sonntags flohen Ghani und sein nationaler Sicherheitsberater aus dem Land. Am Morgen amerikanischer Zeit erklärte US-Außenminister Antony Blinken, dass die US-Beamten die Botschaft verlassen und zum Kabuler Flughafen fahren würden. Doch am Abend mussten US-Diplomaten zugeben, dass Washington nicht einmal mehr den Flughafen von Kabul kontrolliert und dass die US-Bürger in Kabul angewiesen wurden, sich zu verstecken.
In einem Artikel mit der Überschrift „Handstreich der Taliban in Afghanistan folgt auf Jahre amerikanischer Fehlkalkulationen“ gab die New York Times zu: „Präsident Bidens führende Berater müssen zugestehen, dass sie vom schnellen Zusammenbruch der afghanischen Streitkräfte überrascht waren, besonders im Angesicht einer aggressiven und gut geplanten Offensive der Taliban. [...] Noch Ende Juni schätzten die Geheimdienste, dass es selbst im Falle einer Machtübernahme durch die Taliban noch mindestens anderthalb Jahre dauern würde, bis Kabul bedroht wäre.“
In Wirklichkeit war das viel gepriesene „demokratische“ Regime, das von Washington und seinen Nato-Verbündeten in Afghanistan errichtet wurde, eine politische Nullnummer. Sie wurde nur durch Zehntausende von Nato-Truppen und US-Kampfflugzeugen an der Macht gehalten und löste sich praktisch über Nacht auf, als die US- und Nato-Truppen abgezogen wurden.
Wenn die herrschenden Kreise in den USA nicht auf den plötzlichen Zusammenbruch des Regimes vorbereitet waren, das sie mit solch enormen Kosten gestützt hatten, dann deshalb, weil sie in erheblichem Maße ihrer eigenen Propaganda glaubten. Im Laufe von zwei Jahrzehnten hat keine große Zeitung, kein Fernsehsender und kein Mainstream-Medienorgan diesen neokolonialen Besatzungskrieg auch nur ansatzweise ehrlich untersucht.
Die menschlichen und sozialen Kosten des Krieges in Afghanistan sind katastrophal. Nach offiziellen Angaben, die zweifellos stark untertrieben sind, wurden während des Krieges 164.436 Afghanen getötet, zusammen mit 2.448 US-Soldaten, 3.846 US-Militärangehörigen und 1.144 Soldaten aus anderen Nato-Ländern. Hunderttausende von Afghanen und Zehntausende von Nato-Angehörigen wurden verwundet. Die finanziellen Kosten allein für die Vereinigten Staaten werden auf 2 Billionen Dollar geschätzt, die durch Schulden finanziert werden, die weitere 6,5 Billionen Dollar allein an Zinszahlungen kosten werden.
Die gestrigen Ereignisse erinnern unweigerlich an die berühmten Fotos von US-Diplomaten, die vor fast einem halben Jahrhundert, am Ende des Vietnamkriegs, auf dem Dach der Botschaft in Saigon in Hubschrauber stiegen. Das US-Debakel in Afghanistan ist jedoch in seiner Tragweite und seinen politischen Konsequenzen sogar noch bedeutender.
Der Zusammenbruch der afghanischen Regierung erschüttert die wahnhaften Vorstellungen, die sich die amerikanische herrschende Klasse nach der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 gemacht hat. Das Verschwinden von Washingtons wichtigstem militärischen Rivalen wurde von der amerikanischen herrschenden Klasse als Chance gesehen, ihren globalen Niedergang und ihre inneren Widersprüche durch den Einsatz von Gewalt zu überwinden. Militärische und außenpolitische Planer der USA verkündeten einen „unipolaren Moment“, in dem die unanfechtbare Macht der Vereinigten Staaten eine „Neue Weltordnung“ im Interesse der Wall Street durchsetzen würde.
Der Sieg der USA und ihrer Verbündeten im ersten Krieg gegen den Irak im Jahr 1991, noch vor dem endgültigen Zusammenbruch der UdSSR, wurde als Beweis dafür gewertet, dass „Macht wirkt“, wie das Wall Street Journal damals verkündete. Präsident George Bush erklärte, dass der amerikanische Imperialismus durch seine verbrecherische Bombardierung eines weitgehend wehrlosen Landes „das Vietnam-Syndrom ein für alle Mal überwunden“ habe. Ein Jahr später, 1992, verabschiedete das Pentagon ein Strategiedokument, in dem erklärt wurde, dass das Ziel der USA darin bestehe, die fortgeschrittenen Industrienationen militärisch davon abzuhalten, „unsere Führungsrolle herauszufordern oder gar eine größere regionale oder globale Rolle anzustreben.“
Als die Nato 1999 unter der Clinton-Regierung Serbien bombardierte, entstand die Illusion, dass die Dominanz der USA im Bereich der präzisionsgelenkten Munition die Weltpolitik verändern und Washington zum unangefochtenen Welthegemon machen würde. Als Antwort auf diese Vorstellungen schrieb die WSWS:
Die amerikanische Rüstungsindustrie hat gegenwärtig einen „Wettbewerbsvorteil“. Doch weder dieser Vorteil noch ihre Produkte dieser Industrie können den USA die Weltherrschaft sichern. Ungeachtet des technisch hoch entwickelten Waffenarsenals ist die finanzielle und industrielle Grundlage für die herausragende Rolle der USA im Weltkapitalismus viel schwächer als noch vor fünfzig Jahren. Ihr Anteil an der Weltproduktion ist dramatisch zurückgegangen. Ihr weltweites Handelsdefizit wächst jeden Monat um Milliarden Dollar. Wer dem Kult um Präzisionslenkwaffen aufsitzt, der Vorstellung, waffentechnologische Überlegenheit könne die grundlegenden ökonomischen Kriterien für die Stärke einer Nation wettmachen, täuscht sich gewaltig.
Im Rahmen des globalen Eroberungsprojekts wurde der Krieg in Afghanistan als zentraler Bestandteil der US-Strategie zur Kontrolle Zentralasiens und der eurasischen „Weltinsel“ angesehen, um die Position des US-Imperialismus gegenüber China, Russland und den europäischen imperialistischen Mächten zu stärken. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat die WSWS die Argumente zurückgewiesen, dass die Invasion Teil eines „Krieges gegen den Terror“ gegen Al-Qaida und die Taliban war, die ihrerseits das Ergebnis der Bemühungen der USA waren, die Sowjetunion zwei Jahrzehnte zuvor zu destabilisieren:
Die US-Regierung verfolgt mit diesem Krieg weit gefasste weltpolitische Interessen der amerikanischen herrschenden Klasse. Sein Hauptzweck ergibt sich aus folgenden Zusammenhängen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion vor zehn Jahren hat in Zentralasien ein Vakuum hinterlassen. Dieses Gebiet beherbergt die zweitgrößten nachgewiesenen Vorkommen an Erdöl und Erdgas weltweit. ... Mit dem Angriff auf Afghanistan, der Errichtung eines Klientelregimes und der Verlegung umfangreicher militärischer Streitkräfte in die Region wollen die USA einen neuen politischen Rahmen schaffen, innerhalb dessen sie eine hegemoniale Kontrolle ausüben werden.
Im Jahr 2003 marschierten die USA in den Irak ein und stützten sich dabei auf lügnerische Behauptungen, die von allen US-Medien verbreitet wurden, dass die irakische Regierung über Massenvernichtungswaffen verfüge, die sie an Al-Qaida übergeben könnte. Die WSWS vergleicht den unprovozierten Angriff auf den wehrlosen Irak mit dem Einmarsch der Nazis in Polen 1939, mit dem der Zweite Weltkrieg in Europa begann schrieb:
Unabhängig davon, wie die ersten Stadien dieses Konflikts ausgehen werden, steuert der amerikanische Imperialismus auf eine Katastrophe zu. Er kann die Welt nicht erobern. Er kann den Massen des Nahen Ostens keine neuen kolonialen Fesseln anlegen. Er kann seine inneren Krankheiten nicht mit dem Mittel des Kriegs heilen. Im Gegenteil, vom Krieg hervorgerufene unerwartete Schwierigkeiten und wachsender Widerstand werden alle inneren Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft verschärfen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Diese Worte klingen auch heute noch kraftvoll nach. Die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Invasion in Libyen und der von der CIA angezettelte Bürgerkrieg in Syrien haben zusammengenommen Millionen von Toten gefordert und ganze Gesellschaften zerstört. Weit davon entfernt, die unangefochtene globale Vorherrschaft des amerikanischen Imperialismus zu etablieren, haben sie zu einem Debakel nach dem anderen geführt. Drei Jahrzehnte nach dem ersten Golfkrieg sind die Bedingungen im Irak, wenn überhaupt, noch schlechter als in Afghanistan.
Afghanistan ist eine Metapher für das gesamte verrottende Gebäude des amerikanischen Kapitalismus. Die Haushaltsdefizite der USA wurden durch das elektronische Drucken von Billionen von Dollar an fiktivem Kapital im Rahmen der „quantitativen Lockerung“ vertuscht, das den Superreichen in Form von Bankenrettungen zur Verfügung gestellt wurde. Dem fiktiven Kapital, auf dem die Blase des US-Kapitalismus beruht, entspricht die fiktive Macht, die dem Pentagon durch „intelligente Bomben“ und Drohnenmorde in Ländern wie Afghanistan verliehen wird.
Eine ernste Warnung ist angebracht: Mächtige Teile der amerikanischen Führungselite bereiten zweifellos viele Notfallpläne vor, einer rücksichtsloser als der andere, um auf dieses Debakel zu reagieren. Sie haben nicht die Absicht, den verheerenden Prestige- und Glaubwürdigkeitsverlust, den ihre Niederlage gegen eine nur mit leichten Waffen bewaffnete islamistische Bewegung in einem der ärmsten und kriegsgebeutelten Länder der Welt bedeutet, einfach hinzunehmen.
Die Äußerungen des ehemaligen CIA-Direktors und pensionierten Armeegenerals David Petraeus in einem Radiointerview am Freitag deuten auf die Diskussionen hin, die hinter den Kulissen stattfinden. Petraeus bezeichnete die Lage der USA in Afghanistan als „katastrophal“ und erklärte: „Das ist ein enormer Rückschlag für die nationale Sicherheit, und es droht noch viel schlimmer zu werden, wenn wir uns nicht entschließen, wirklich bedeutende Maßnahmen zu ergreifen.“
Das US-Militär hat einen großen Teil seines Prestiges in Afghanistan und in das umfassendere Projekt imperialistischer Eroberungen investiert, zu dem es gehörte. Die amerikanische herrschende Klasse wird nicht von ihren Bemühungen ablassen, die Welt durch militärische Gewalt zu kontrollieren, von der ihr Reichtum abhängt.
Anders als in Vietnam kann die amerikanische herrschende Klasse das Debakel in Afghanistan nicht auf eine Antikriegsbewegung schieben. Mit Hilfe der Organisationen der oberen Mittelschicht, die sich in den „Krieg gegen den Terror“ und den „Menschenrechtsimperialismus“ eingekauft haben, wurde eine breite Opposition gegen den Krieg in den Vereinigten Staaten unterdrückt und hinter die Demokratische Partei gelenkt, die ebenso wie die Republikaner eine Partei der Wall Street und des Militärs ist.
Die mörderische Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie zeigt jedoch, dass sich die herrschende Klasse um das Leben der Arbeiter in den großen kapitalistischen Ländern ebenso wenig schert wie um die Massen in Zentralasien und im Nahen Osten. Auch wenn sich die Pandemie weiter ausbreitet, gibt es immer mehr Widerstand aus der Arbeiterklasse.
Die Entwicklung dieser Opposition zu einer bewussten politischen Bewegung für den Sozialismus ist untrennbar mit dem Kampf gegen den imperialistischen Krieg verbunden. Dies ist die grundlegende Lehre aus dem gesamten kriminellen Debakel, das der Krieg der USA in Afghanistan darstellt.
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