Verteidigt die Studierenden der Boğaziçi-Universität gegen polizeistaatliche Repressionen!

Die Sosyalist Eşitlik Grubu (Sozialistische Gleichheitsgruppe) verurteilt die Angriffe der Polizei und die Festnahmen von über 150 Studierenden an der Boğaziçi Universität in İstanbul und in İzmir aufs Schärfste.

Die Angriffe begannen am 31. Januar um die Mittagszeit. Sie setzten sich fort, als Hunderte bewaffnete Polizisten einem Aufruf des Rektors Melih Bulu folgten und bewaffnet in die Universität eindrangen. Unter dem Vorwand der Missachtung der Ausgangssperre ab 21 Uhr wurden Studierende festgenommen, die an einer friedlichen Sitzblockade teilnahmen. Scharfschützen wurden auf den Gebäuden postiert, und Hubschrauber kreisten über dem Universitätsgelände.

Laut der Stellungnahme des Istanbuler Gouverneuramts wurden insgesamt 159 Studierende festgenommen. Berichten zufolge wurde eine Gruppe von etwa 20 weiteren Studierenden, die in Izmir versuchten, eine Presseerklärung abzugeben, ebenfalls angegriffen und festgenommen.

Die polizeistaatliche Repression gegen die Studierendenproteste begann Anfang Januar, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan den rechten AKP-Politiker Melih Bulu zum Rektor der Boğaziçi-Universität ernannt hatte. Die Repressionen zielen darauf ab, die wachsende soziale Opposition innerhalb der Arbeiterklasse und unter der Jugend einzuschüchtern und zu unterdrücken. Die herrschende Klasse befürchtet, dass ihre menschenverachtende Antwort auf die Pandemie und die enorme soziale Ungleichheit eine soziale Explosion in der Arbeiterklasse auslösen wird.

Die Studierenden riefen zu einem Protest vor der Boğaziçi Universität auf, nachdem am Samstag zwei von ihnen verhaftet und zwei weitere unter Hausarrest gestellt worden waren. Dieser rechtswidrige Angriff wurde damit begründet, dass im Rahmen einer Ausstellung am Freitag, auf der rund 300 Kunstwerke von Studierenden ausgestellt wurden, LGBTI+-Flaggen in einem Bild der Kaaba in Mekka zu sehen waren.

Nach einer Social-Media-Kampagne, die vom Verein für Islamische Studien der Boğaziçi Universität ausging, gaben Innenminister Süleyman Soylu und Rektor Melih Bulu Statements ab, die sich direkt gegen die Studierenden richteten. Anschließend wurden fünf Studierende festgenommen, zwei wurden unter dem Vorwurf der „Herabwürdigung oder Verhetzung der Öffentlichkeit zu Feindschaft und Hass“ verhaftet.

In den Nachrichten über die Polizeirazzien in verschiedenen Organisationen der Universität versuchen die Medien, die Sympathie großer Teile der Öffentlichkeit für die protestierenden Studierenden zu untergraben, indem sie sie als Unterstützer „terroristischer Organisationen“ anprangerten.

Die Verhaftungen lösten einen Aufschrei in den sozialen Medien aus, und es wurde zu einem Protest am Montag vor der Universität aufgerufen. Dieser verfassungsmäßige und friedliche Akt wurde jedoch auf der Grundlage eines einmonatigen Demonstrations- und Protestverbots, das das Istanbuler Gouverneursamt am 5. Januar verkündet hatte, verboten. Das Verbot, das sich bereits gegen die ersten Studierendenproteste gerichtet hatte, wurde unter dem Vorwand der „Pandemiemaßnahmen“ durchgesetzt. Am vergangenen Montagnachmittag griffen dann dutzende Polizisten Studierende gewaltsam an, die sich friedlich auf dem Weg zur Boğaziçi Universität befanden. Es kam zu weiteren Festnahmen.

Der Repression des Polizeistaats zum Trotz stieg der Hashtag „Wir werden nicht nach unten schauen“ an die Spitze der Trends auf Twitter, nachdem die Polizei während der Festnahmen „Nicht versammelt laufen!“ und „Schaut nach unten!“ gerufen hatte. Am Abend wurden mehr als 500.000 Tweets mit Hashtags gepostet, die gegen die Angriffe der Polizei auf die Studierenden der Boğaziçi-Universität protestierten.

Die Aussagen des Gouverneursamts, dass „die Pandemie noch nicht vorbei ist“ und der Protest „die öffentliche Gesundheit gefährdet“, sind heuchlerisch. Während die Studierenden von der Polizei rund um den Campus angegriffen wurden, hielten die Islamisten des Anatolischen Jugendverbandes (AGD) eine riesige Pressekonferenz auf dem Beyazıt-Platz in Istanbul ab, um die Studierendenproteste unter dem Vorwand der „Beleidigung der Kaaba“ zu verleumden.

Das war aber noch nicht der Gipfel der Heuchelei. Kurz bevor die Studierenden unter dem Vorwand der Pandemie gewaltsam angegriffen und verhaftet wurden, nahm Präsident Erdoğan per Videokonferenz an Massenparteitagen seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) in vier Provinzen teil. Wörtlich sagte er: „Ich möchte mich dafür bedanken, dass Ihr trotz der Pandemie in geschlossenen Hallen in Adana, Antalya, Bursa und Muğla zusammengekommen seid. Danke, dass Ihr die Hallen gefüllt habt.“

Allerdings war es die bürgerliche Oppositionspartei Republikanische Volkspartei (CHP), die den Weg für die Angriffe der Regierung gegen die Studierenden geebnet hat. Am Samstag erklärte der CHP-Sprecher Faik Öztrak: „Wir können keinen Angriff und keine Demütigung gegen die heiligen Werte der Menschheit akzeptieren. Wir verurteilen diese abscheuliche Provokation aufs Schärfste. Wir warten darauf, dass die sichtbaren und unsichtbaren Verantwortlichen so schnell wie möglich aufgedeckt werden.“

Ebenso verlogen ist die Position der kurdisch-nationalistischen Demokratischen Volkspartei (HDP), die ihre „Unterstützung“ für die Studierendenproteste erklärt hatte. Während sie die Regierung aufforderten, die Forderungen der Studierenden zu erfüllen, besuchten HDP-Vertreter die islamistische Glückspartei (Saadet partisi), die eng mit der AGD verbunden ist, und erklärten, dass das Treffen einen „großen Beitrag zum demokratischen Bündnis in der Türkei“ leisten würde.

Zu den Kräften, die die HDP vor der Ankündigung ihres „Demokratieprogramms“ am 8. Februar besuchen wird, gehören die CHP, die AKP-Abspaltung Zukunftspartei (Gelecek partisi) und die DEVA-Partei. Am vergangenen Montag wurde bekannt, dass Oğuzhan Aygören, ein Gründungsmitglied der DEVA-Partei unter Führung des ehemaligen Wirtschaftsministers Ali Babacan, zum Berater von Melih Bulu ernannt wurde.

Dies entlarvt den politischen Bankrott der bürgerlichen Oppositionsparteien, hinter denen sich die pseudolinken Kräfte aufgereiht haben. Diese Kräfte, die wie die Erdoğan-Regierung die Interessen der herrschenden Elite verteidigen, sind völlig unfähig, demokratische Rechte zu verteidigen.

Wie auf dem internationalen Online-Treffen unter dem Titel „Der Weg nach vorn für die Proteste an der Boğaziçi-Universität“, das von der türkischen Sektion der Sozialistischen Gleichheitspartei am 17. Januar organisiert wurde, betont wurde, muss sich die Jugend jetzt auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms der Arbeiterklasse zuwenden, der einzigen sozialen Kraft, die demokratische Rechte verteidigen kann. Die Verteidigung der demokratischen Rechte ist nur im Rahmen eines Programms möglich, das den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zum Ziel hat.

Die gewaltsame Niederschlagung der Studierendenproteste durch die Erdoğan-Regierung fand vor dem Hintergrund statt, dass die Zahl der bestätigten Covid-19-Fälle 2,5 Millionen erreicht und die offizielle Zahl der Todesfälle 26.000 überstiegen hat. Das ist das Ergebnis der Politik der „Herdenimmunität“, die den Profiten der herrschenden Klasse Priorität einräumt.

Diese Verluste an Menschenleben gehen mit einer drastischen Verschlechterung der sozialen Lage und des Lebensstandards von Millionen Arbeitern einher. Wie überall auf der Welt nehmen Streiks und Proteste der Arbeiter gegen Entlassungen und erzwungenen „unbezahlten Urlaub“ zu. Diese werden von der Erdoğan-Regierung genau beobachtet.

Dass die herrschende Klasse eine Massenbewegung der Arbeiterklasse herannahen sieht und versucht, diese mit präventiver Repression zu unterdrücken, zeigt eine Äußerung von Devlet Bahçeli, Erdoğans Verbündetem und Führer der faschistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP): „Es geht nicht um die Studenten oder den Rektor. Es geht darum, einen Umbruch, der die Universitäten betrifft, in die gesamte Gesellschaft zu tragen und zu politisieren.“

Die Sozialistische Gleichheitsgruppe ruft die Arbeiter dazu auf, den Kampf gegen die Pandemie und die sozialen Angriffe mit dem Kampf zur Verteidigung demokratischer Rechte zu verbinden. Es müssen Solidaritätskundgebungen für die sofortige Freilassung der verhafteten und inhaftierten Studierenden organisiert werden. Die polizeistaatliche Repression der Studierenden ist eine Probe für zukünftige Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Der Kampf gegen Diktatur und Autoritarismus kann nur auf der Grundlage des revolutionären sozialistischen Programms erfolgreich sein, das vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) auf der Grundlage der internationalen Arbeiterklasse verteidigt und entwickelt wurde. Der Weg vorwärts besteht darin, die Sozialistische Gleichheitsgruppe als türkische Sektion des IKVI aufzubauen.

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