Türkische Trotzkisten halten internationales Online-Treffen zu Protesten an Hochschulen ab

Die türkische Sosyalist Eşitlik Grubu (Sozialistische Gleichheitsgruppe, SEG) und die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) hielten am 17. Januar ein Online-Meeting mit dem Titel „Inmitten des weltweiten Zusammenbruchs der Demokratie, der Weg vorwärts für die Proteste an der Boğaziçi-Universität“ ab, um über die laufenden Studentenproteste im Land zu diskutieren. Die Veranstaltung, auf der mehrere Unterstützer der IYSSE sprachen, wurde von Ulaş Ateşçi, einem führenden Mitglied der SEG und Autor für die World Socialist Web Site, geleitet.

Der internationale Charakter des Online Meetings stand besonders im Vordergrund – mit Joseph Kishore, dem nationalen Sekretär der Socialist Equality Party (US), und Peter Schwarz, dem Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) als Sprechern. Die Veranstaltung fand kurz nach dem faschistischen Putschversuch in Washington am 6. Januar statt. Die Aufzeichnung des Livestreams ist hier verfügbar.

Kishore, der von Detroit aus sprach, betonte den globalen Charakter des Angriffs auf demokratische Rechte, die katastrophale Antwort der Regierungen auf die Corona-Pandemie, den sinkenden Lebensstandard und die wachsende Ungleichheit. Er wies auf die Notwendigkeit der internationalen Einheit von Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt in einem gemeinsamen Kampf hin.

Kishore gab einen Überblick über die Situation der letzten zwei Wochen in den USA und schilderte Details zu Trumps Putschversuch. Er deckte die reaktionäre Rolle der Demokraten auf, die alles tun, um das Ausmaß der Verschwörung zu vertuschen.Die größte Angst der Demokraten, so Kishore, ist „die Entstehung einer Bewegung der Arbeiterklasse gegen Trumps Putschversuch, die sich zu einem Konflikt mit der gesamten herrschenden Klasse und dem kapitalistischen System entwickelt“.

Weiter entlarvte Kishore den verlogenen Charakter der Kampagne von Bernie Sanders. Durch seine Ausrichtung auf die Demokratische Partei repräsentiert Sanders „eine Sorte ‚linker‘ Politik, die universell ist“. Das Ergebnis der Sanders-Kampagne war in der Tat „eine weitere Verschiebung nach rechts“.

Kishore deckte die reaktionäre Prägung der Identitätspolitik auf, die auf der Annahme beruht, die grundlegende Spaltung der Gesellschaft basiere nicht auf Klassen, sondern auf Unterschieden der Hautfarbe, der Herkunft oder des Geschlechts. „Die Rassenpolitik ist eine bestimmte Form nationaler Politik ... Sie zielt darauf ab, Arbeiter zu spalten, eine Gruppe gegen eine andere, eine Nationalität gegen die andere auszuspielen. Sie ist reaktionär und muss unerbittlich bekämpft werden.“

Abschließend betonte Kishore, man müsse verstehen, dass „es innerhalb der Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten eine tiefe Opposition gegen das gesamte reaktionäre System der amerikanischen Politik gibt“. Es gibt zwei Amerikas, sagte er. „Es handelt sich jedoch nicht um das ‚weiße Amerika‘ und das ‚schwarze Amerika‘. Es geht um das Amerika der Wall Street, des Pentagons, der CIA und der Oligarchie auf der einen Seite und um das Amerika der Arbeiterklasse auf der anderen.“

Der Sprecher erklärte, dass „die Vereinigten Staaten nicht ohne enorme soziale Explosionen und Widerstand im Faschismus versinken werden“, und schloss seine Ausführungen mit einem eindringlichen Aufruf: „Es muss eine neue politische Bewegung aufgebaut werden, die in den Lehren der Geschichte wurzelt und auf die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse in der ganzen Welt und die Abschaffung des kapitalistischen Systems abzielt.“

Der zweite internationale Redner, Peter Schwarz, ging auf den internationalen Kontext der Studentenproteste ein. Die Feststellung, dass „ein Putschversuch in den Vereinigten Staaten, der sogenannten führenden Nation der westlichen Welt, stattfindet, zeigt, dass wir es mit einer weltweiten Entwicklung zu tun haben“.

„Autoritäre oder offen faschistische Herrscher sind bereits in einer Reihe von wichtigen Ländern an die Macht gekommen – Bolsonaro in Brasilien, Duterte auf den Philippinen, Orbán in Ungarn, Kaczyński in Polen.“ Diese Tendenz zu autoritären Herrschaftsformen hat sich bereits auf westeuropäische Länder wie Spanien, Frankreich, Italien und natürlich Deutschland ausgeweitet.

Schwarz erläuterte den Aufstieg rechtsextremer und faschistischer Kräfte in diesen Ländern und stellte die Frage: „Was ist der Grund für diesen weltweiten Rechtsruck der herrschenden Klasse und den Zusammenbruch der Demokratie?“ Er erklärte: „Die einzig mögliche Antwort ist, dass sich die Krise des Kapitalismus so weit zugespitzt hat, dass sie mit Demokratie nicht mehr vereinbar ist.“

Schwarz betonte, dass diese Entwicklung durch die Pandemie beschleunigt wurde: „Während weltweit zwei Millionen Menschen am Coronavirus starben, schritt die Bereicherung der Finanzoligarchie ungebremst fort.“ Diese Tatsachen, so Schwarz, „machen deutlich, dass die Verteidigung der demokratischen Rechte wie auch der sozialen Rechte der Arbeiterklasse nur im Rahmen eines sozialistischen Programms möglich ist, das den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zum Ziel hat.“

Der Redner hob hervor, dass die Praxis des IKVI im vergangenen Jahr klar die „Kraft seiner historischen Grundlagen und die Stärke der marxistischen Methode gezeigt hat“. Von den frühesten Stadien der Pandemie an warnte das IKVI vor der globalen Gefahr, deckte die Verschwörungen der herrschenden Eliten auf und entwickelte sowohl ein Programm als auch eine Perspektive für die Arbeiterklasse, um das tödliche Virus zu stoppen. „Es gibt keine einzige Publikation auf der Welt, die sich bei der Berichterstattung über die Pandemie mit der World Socialist Web Site messen kann.“

Er schloss seine Ausführungen mit der Aufforderung an die Zuhörer, „die World Socialist Web Site zu lesen, die Geschichte des IKVI zu studieren und sich am Aufbau der türkischen Sektion zu beteiligen“.

Das Hauptmerkmal des Treffens war sein internationaler Charakter, in Bezug sowohl auf die Teilnehmer als auch die Perspektive, wodurch die enge Zusammenarbeit zwischen dem IKVI und der SEG in der Türkei verdeutlicht wurde.

Dieselbe internationale und sozialistische Perspektive prägte die Beiträge aus der Türkei. In seiner Eröffnungsrede erläuterte Ulaş Ateşçi den internationalen Charakter der Massenproteste gegen antidemokratische Maßnahmen, Polizeigewalt und soziale Ungleichheit, insbesondere infolge der mörderischen Reaktion der herrschenden Eliten auf die Pandemie.

Diese Bewegung, die sich unter Bedingungen der globalen Krise des Kapitalismus entwickelt und sich mit der Pandemie verschärft, hat gezeigt, an welche soziale Kraft sich Studenten und junge Menschen wenden sollten – die internationale Arbeiterklasse. „Weil die Arbeiterklasse die einzige gesellschaftliche Kraft ist, die auf der Grundlage einer internationalen und sozialistischen Perspektive demokratische Rechte verteidigen und den Drang der herrschenden Klasse zur Diktatur besiegen kann“, sagte Ateşçi. Er wies darauf hin, dass die Bedingungen, die die herrschende Klasse in den USA, dem Zentrum des Weltkapitalismus, zu Diktatur und Autoritarismus treiben, nicht nur in den USA, sondern global vorherrschen.

Unter den Bedingungen der Verschärfung des Klassenkampfs angesichts der immer schlimmeren Auswirkungen der Pandemie und dem unkontrollierbaren Ausmaß an sozialer Ungleichheit und Wut wenden sich die herrschenden Klassen aller Länder autoritären Herrschaftsformen zu, um ihre Interessen gegen die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft, also die Arbeiterklasse und die Jugend, zu verteidigen.

Deshalb war es notwendig, die Krise der autoritären politischen Struktur unter der Führung des Präsidenten Erdoğan und die Entwicklung der gesellschaftlichen Proteste vor diesem Hintergrund in Augenschein zu nehmen.

Darüber hinaus ist es entscheidend, eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend aufzubauen, die der bürgerlichen Opposition unter Führung der Republikanischen Volkspartei (CHP) sowie der kurdisch-nationalistisch Demokratischen Volkspartei (HDP) entgegentritt. Das Ziel dieser Parteien ist es, eine neue Regierung zu bilden, die offener auf eine Zusammenarbeit mit den imperialistischen NATO-Mächten im Interesse der türkischen und kurdischen Bourgeoisie ausgerichtet ist.

Ateşçi schloss seine Ausführungen mit der Feststellung, dass „der Weg vorwärts für die Proteste an der Boğaziçi-Universität und die Studentenbewegung im Allgemeinen darin besteht, sich politisch an der Arbeiterklasse zu orientieren und am Kampf für die Entwicklung einer revolutionären sozialistischen Alternative unabhängig von allen etablierten Parteien teilzunehmen“. Das bedeutet, sich für den Aufbau der SEG als türkischer Sektion des IKVI einzusetzen.

Nach dieser Einführung meldeten sich IYSSE-Unterstützer von mehreren Universitäten zu Wort, darunter Boğaziçi, Bursa Uludağ und Mersin. Einer der Unterstützer erläuterte die Entwicklung der Proteste an der Boğaziçi-Universität und die von der IYSSE vertretene Perspektive, während andere sich auf die IYSSE generell konzentrierten und erklärten, wofür sie eintritt.

Die Sprecher gingen auf verschiedene Kampagnen der IYSSE ein, z. B. an der Humboldt-Universität in Berlin, für die Freiheit des WikiLeaks-Gründers Julian Assange, gegen die imperialistische Kriegstreiberei und gegen die Schulöffnungen.

In ihren Ausführungen legten die Studierenden die internationalistische und sozialistische Ausrichtung der IYSSE dar. Dies spiegelt ihre Orientierung an der sozialistischen Weltrevolution und an der internationalen Arbeiterklasse wider, die auf den strategischen Grundlagen des IKVI basiert. Das Treffen war in jeder Hinsicht einzigartig und stellte einen weiteren bedeutenden Schritt im Aufbau einer Sektion des IKVI in der Türkei dar.

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