Die Petition „#ZeroCovid: Für einen solidarischen europäischen Shutdown“ hat innerhalb weniger Tage die ursprünglich angestrebten 75.000 Unterschriften erhalten und bewegt sich jetzt auf die 100.000 zu. Die große Unterstützung ist Ausdruck der wachsenden Opposition gegen die offizielle Regierungspolitik, die die Profite der Wirtschaft über die Rettung von Menschenleben stellt.
Die Petition orientiert sich am Aufruf für die konsequente Eindämmung der Covid-19 Pandemie in Europa, den im Dezember mehrere hundert renommierte Wissenschaftler im medizinischen Fachblatt The Lancet veröffentlicht hatten, und ergänzt ihn durch Vorschläge, die sozialen Folgen aufzufangen.
Im Mittelpunkt der Petition steht das Ziel, „die Ansteckungen auf Null zu reduzieren“. Die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren („flatten the curve“), sei gescheitert, heißt es zur Begründung. „Sie hat das Leben dauerhaft eingeschränkt und dennoch Millionen Infektionen und Zehntausende Tote gebracht. Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel: kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung.“
Dazu müsse „in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden“. Erforderlich sei ein konsequenter Shutdown von einigen Wochen: „Maßnahmen können nicht erfolgreich sein, wenn sie nur auf die Freizeit konzentriert sind, aber die Arbeitszeit ausnehmen“, heißt es in der Petition. „Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.“
Um Menschen, die zu Hause bleiben, finanziell abzusichern, fordert die Petition „ein umfassendes Rettungspaket für alle“. Besonders unterstützt werden müssten „Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, in einem gewalttätigen Umfeld, Obdachlose“. Sammelunterkünfte sollen aufgelöst, geflüchtete Menschen dezentral untergebracht, Menschen, die im Shutdown besonders viel Betreuungs- und Sorgearbeit leisten, durch gemeinschaftliche Einrichtungen entlastet und Kinder online unterrichtet werden.
Weiter fordert die Petition einen sofortigen und nachhaltigen Ausbau des gesamten Gesundheits- und Pflegebereichs und die Rücknahme bisheriger Privatisierungen und Schließungen. Impfstoffe sollen „der privaten Profiterzielung entzogen“ werden. Finanziert werden sollen die Maßnahmen durch „die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen“.
Die Petition wurde von rund 400 Erstunterzeichnern lanciert, darunter Wissenschaftler, Ärzte, Pflegekräfte Journalisten und Künstler.
Vorschläge, wie die aufgestellten Forderungen verwirklicht werden können, enthält die Petition nicht. Sie richtet sich an die Regierungen Deutschlands, der Schweiz und Österreichs sowie an „Europäische EntscheidungsträgerInnen“ und kann auf der Kampagne-Plattform Campact von jedem unterzeichnet werden.
Es ist aber offensichtlich, dass weder diese Regierungen noch die Europäische Union, bereit sind, die Forderungen der Petition auch nur im Ansatz zu erfüllen. Erst am Dienstag hat die Ministerpräsidentenrunde in Merkels Kanzleramt beschlossen, die bisherigen, völlig ungenügenden Maßnahmen bis Mitte Februar fortzusetzen. Eine Schließung nicht lebenswichtiger Betriebe, eine bindende Verpflichtung zum Home-Office und eine vollständige Schließung der Schulen lehnte die Runde strikt ab. Und dies, obwohl die Infektionszahlen hoch bleiben und täglich über 1000 Menschen an Covid-19 sterben.
Der Grund für dieses Festhalten an einer kaum verbrämten Politik der Herdenimmunität ist nicht mangelnde Einsicht. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder wissen sehr genau, dass sich der Virus in Betrieben, Schulen, Kitas und öffentlichen Verkehrsmitteln rasant verbreitet.
So kam die bisher umfassendste Studie zur Verbreitung des Virus, die die US-Universitäten Princeton, John Hopkins und Berkley an über einer halben Million Menschen in Indien durchführten, bereits Ende September zum Schluss, „dass Kinder und junge Erwachsene, die ein Drittel der Covid-Fälle ausmachen, in den untersuchten Populationen besonders wichtig für die Übertragung des Virus sind“.
Die Pandemie ist, wie die World Socialist Web Site seit langem betont, keine rein medizinische Krise. Erst der reaktionäre Charakter des Weltkapitalismus – das Profitstreben ohne Rücksicht auf soziale Kosten, die Anhäufung von Milliardenvermögen durch einige Wenige und deren menschenverachtende Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und Wohlergehen der Weltbevölkerung – hat dazu geführt, dass sie sich zu einer globalen sozialen Katastrophe auswuchs.
Die in der Petition erhobenen Forderungen können nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms verwirklicht werden, das sich gegen das kapitalistische Privateigentum richtet. Das lehnen alle in den Bundes- und Länderregierungen vertretenen Parteien kategorisch ab. Sie bestehen alle darauf, dass die Maßnahmen gegen die Pandemie den Interessen der „Wirtschaft“ untergeordnet werden. Deshalb überschütten sie die Konzerne und Banken mit Milliarden, während in Schulen und Krankenhäuser die einfachsten Mittel fehlen. Nicht zufällig hat der DAX mitten in der tiefsten Krise einen neuen Rekordstand erreicht.
Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale rufen zum Aufbau von Aktionskomitees in den Betrieben und den Schulen auf, die Schutzmaßnahmen gegen das Virus selbst in die Hand zu nehmen und einen Generalstreik vorbereiten. Nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse kann die Pandemie gestoppt werden.
Eine solche Offensive erfordert einen politischen Bruch mit den Elementen in der Kampagne, die gezielt daran arbeiten, die wachsende Opposition gegen die Regierungspolitik aufzufangen, um sie wirkungslos verpuffen zu lassen.
Die Kampagne Zero-Covid wurde ursprünglich in Großbritannien von pseudolinken Anhängern des ehemaligen Führers der Labour-Party, Jeremy Corbyn, und hochrangigen Gewerkschaftsführern ins Leben gerufen. Beide sind Experten darin, unter dem Deckmantel linker Phrasen jede soziale Bewegung abzuwürgen. Corbyn war als Oppositionsführer informiert, dass die Regierung von Boris Johnson eine gezielte Politik der Herdenimmunität verfolgte, warnte aber niemanden. Und der Gewerkschaftsdachverband TUC sorgte dafür, dass gefährliche Arbeitsplätze offen blieben. Er nutze die Pandemie, um seine Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden zu stärken.
Ähnliche politische Operateure finden sich auch unter den Autoren des deutschen Aufrufs – darunter die Grünen-Politikerin Luisa Neubauer, das Vorstandsmitglied der Linken, Thies Gleiss, und eine Reihe von Gewerkschaftssekretären. Sie appellieren an die Gewerkschaften, „sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause [den Lockdown] zu organisieren“.
Aber die Gewerkschaften haben, genauso wie die etablierten Parteien, längst deutlich gemacht, wo sie stehen. Als Handlanger der Konzerne setzen sie ihre eigenen Mitglieder unter Druck, trotz Corona-Gefahr zur Arbeit zu gehen, und lehnen einen Lockdown kategorisch ab. Der Chef der größten Industriegewerkschaft IG Metall, Jörg Hofmann, hat dies erst vor drei Tagen in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen bekräftigt. Die Forderung nach einem harten Lockdown lehnte er mit den Worten ab: „Dann würde unsere Wirtschaftskraft zusammenbrechen.“
Linkspartei und Grüne haben im März die milliardenschweren Corona-Pakete der Großen Koalition unterstützt, die v.a. den Großunternehmen und Banken zu Gute kamen. Seitdem stehen sie an der Spitze der Öffnungspolitik. Thüringen, das einzige Bundesland mit einem Ministerpräsidenten der Linkspartei, ist nicht zufällig Spitzenreiter bei den Inzidenz-Werten. Bodo Ramelow hat während des gesamten Jahres eine führende Rolle dabei gespielt, die Pandemie zu verharmlosen und Schutzmaßnahmen dagegen zu unterlaufen. Der Grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, verkündete gestern, Schulen und Kitas schon zum 1. Februar wieder vollständig zu öffnen.