Nachdem sich im August bereits der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch offen hinter die Nato und die Auslandseinsätze der Bundeswehr gestellt hat, legte vor wenigen Tagen der außenpolitische Sprecher und Gründervater der Linkspartei Gregor Gysi nach. In einem Interview mit dem Parteiblatt Neues Deutschland stellte er klar, dass eine mögliche rot-rot-grüne Koalition nach der nächsten Bundestagswahl im Oktober 2021 auch in der Kriegsfrage nicht an der Linken scheitern werde.
In Bezug auf die Nato habe „die Partei nie beschlossen, dass Deutschland aus ihr austreten soll, weil die Nato dann bliebe, wie sie ist, eben nur ohne Deutschland“, erklärte er im ND. Deshalb strebe Die Linke „eine Auflösung der Nato an, um ein neues Bündnis für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unter Einschluss von Russland zu schaffen“. Das werde man aber „vermutlich nicht von heute auf morgen schaffen“. Man müsse „deshalb überlegen, wie man Schritte in diese Richtung gehen kann“.
Mit anderen Worten: Wie alle anderen Bundestagsparteien steht auch die Linke bereit, die Militär- und Kriegspolitik der Nato zu unterstützen – zumindest solange sie den Interessen des deutschen Imperialismus dient. Dabei plädiert Gysi dafür, unter dem Deckmantel eines „Vermittlers“ außenpolitisch noch stärker aufzutrumpfen als bisher und weltweit zu intervenieren. „Ich meine sämtliche Konflikte, auch jene zwischen Nato-Staaten“, bekräftigt er auf Nachfrage des ND.
Mit dem ihm eigenen Zynismus versucht Gysi den möglichen Eintritt in eine Regierung und die Fortsetzung des aggressiven außenpolitischen Kurses der Großen Koalition als „Friedenspolitik“ zu verkaufen.
„Verdächtigungen, man wolle eine Entwicklung wie bei der SPD oder den Grünen, und falsche Vorwürfe des angeblichen Aufweichens von friedenspolitischen Positionen“, weist Gysi mit der Begründung zurück, sie sorgten „nur dafür, dass man über mögliche Schritte gar nicht erst diskutiert, geschweige denn über deren Umsetzung in einer Regierung nachdenkt und alles am Ende bleibt, wie es ist“. Selbstverständlich könne „man auch am Rande stehen, ein Fähnchen schwenken, sich wohl und rein fühlen und auf jede Veränderung der Realität verzichten“.
Das sind keine „friedenspolitische“, sondern militaristische Positionen. Tatsächlich steht die „Veränderung der Realität“, die Gysi und Die Linke in der Regierung anstreben, in der besten Tradition der Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne. Anders als 1998 die ehemaligen grünen Pazifisten lässt die Linkspartei allerdings die Maske bereits fallen, bevor sie in eine Bundesregierung eintritt, und signalisiert ihre Unterstützung für Kriegseinsätze der Bundeswehr.
„Unser politisches Ziel war, ist und bleibt es, diese Einsätze zu beenden. Aber auch in dieser Frage wird das nicht mit einem Fingerschnipsen gehen, müssen konkrete Bedingungen berücksichtigt werden“, erklärt Gysi. „Zum Beispiel haben die Taliban angedroht, alle einheimischen Helfer der Bundeswehr in Afghanistan hinzurichten. Wir hatten – wie es inzwischen auch die Mehrheit der Bevölkerung weiß – mit unserer Ablehnung dieses Krieges völlig recht. Trotzdem müssten auch wir einen Weg finden, das Leben dieser Helfer zu schützen.“
Das ist mehr als eindeutig: Die deutschen Besatzungstruppen werden auch unter einer Regierung mit der Linkspartei in den Einsatzgebieten in Zentralasien, in Afrika und im Nahen Osten verbleiben. Dabei geht es nicht um den Schutz der imperialistischen Kollaborateure vor Ort, sondern um handfeste geostrategische und wirtschaftliche Interessen.
Erst vor wenigen Tagen hat das SPD-geführte Auswärtige Amt offizielle „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ veröffentlicht, in denen es heißt: „Der Himalaya und die Straße von Malakka mögen weit entfernt scheinen. Aber unser Wohlstand und unser geopolitischer Einfluss in den kommenden Jahrzehnten beruhen gerade auch darauf, wie wir mit den Staaten des Indo-Pazifiks zusammenarbeiten.“ Als global agierende Handelsnation dürfe Deutschland sich dort auch in militärischer Hinsicht „nicht mit einer Zuschauerrolle begnügen“.
Die Linkspartei und die Rückkehr des deutschen Militarismus
Dass die Linkspartei die Offensive des deutschen Imperialismus nun auch als Regierungspartei im Bund vorantreiben will, kommt nicht überraschend. Sie hat die Rückkehr des deutschen Militarismus von Anfang an unterstützt. So hat Stefan Liebich, Gysis Vorgänger als außenpolitischer Sprecher der Partei, die SWP-Studie „Neue Macht – neue Verantwortung“ mit ausgearbeitet. Sie lieferte die Grundlage für die aggressiven Großmachtreden des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und seines Nachfolgers Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014.
Seitdem hat die Linkspartei die Wiederbelebung des deutschen Militarismus immer offener unterstützt. Im April 2014 stimmten mehrere Bundestagsabgeordnete der Linken – darunter Liebich und Bartsch – für die Entsendung einer deutschen Fregatte ins Mittelmeer, um syrische Chemiewaffen zu zerstören. Immer wieder stellte sie sich explizit hinter die aggressive Großmachtpolitik der Großen Koalition und die deutsch-französischen Pläne für die Aufstellung einer europäischen Armee. Anfang dieses Jahres unterstützte sie die neokoloniale Libyen-Konferenz der Bundesregierung in Berlin und einen weiteren möglichen Militäreinsatz in Nordafrika.
Mit Ausbruch der Corona-Pandemie ist Die Linke dann in der Außen- und Innenpolitik noch weiter nach rechts gerückt. Ende März stimmte sie im Bundestag für die von Finanzminister Scholz und der Großen Koalition geschnürten „Corona-Notpakete“, die hunderte Milliarden vor allem für die Banken und Großkonzerne bedeuten. Nun treibt sie überall dort, wo sie (mit)regiert, die Lockerungspolitik voran, um die riesigen Summen wieder aus der Bevölkerung herauszupressen. Sie forciert die tödliche „Zurück an die Arbeit“-Politik und zwingt Lehrer und Schüler unter unsicheren Bedingungen zurück in die Schulen. Auf die weltweit wachsende Opposition von Arbeitern und Jugendlichen reagiert sie mit offener Feindschaft und dem Ruf nach mehr Polizei.
Eine neue rechte Parteiführung
Die Aufgabe der neuen Führung der Partei wird es sein, diesen Kurs fortzusetzen und zu verschärfen. Als Nachfolgerinnen der bisherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger haben sich vor dem nächsten Parteitag der Linken Ende Oktober in Erfurt vor allem die Landesvorsitzenden Janine Wissler (Hessen) und Susanne Hennig-Wellsow (Thüringen) in Stellung gebracht. Beide personifizieren die scharfe Rechtswende der Linkspartei und der in ihr arbeitenden pseudolinken Tendenzen in den letzten Jahren.
Henning-Wellsow ist als Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Thüringen die Frontfrau der von der Linkspartei geführten rot-rot-grünen Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow. Um ihre arbeiterfeindliche Politik durchzusetzen, arbeitet sie dort eng mit der konservativen CDU und selbst mit der rechtsextremen AfD zusammen. So verhalf Ramelow im März dem AfD-Abgeordneten Michael Kaufmann mit seiner Stimme zum Amt eines Vizepräsidenten des thüringischen Landtags. Den extrem rechten Regierungskurs will Henning-Welssow nun auch auf Bundesebene umsetzen. Sie kandidiere für den Parteivorsitz, „damit wir auf eine Regierung vorbereitet sind, wenn sich die Gelegenheit dafür ergibt“, erklärte sie jüngst im Spiegel.
Wissler, die der Gruppierung Marx 21 entstammt, und seit 2014 bereits stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei ist, strebt ebenfalls eine Regierungsbeteiligung an. „Wie Sie wissen, haben wir ja auch in Hessen zweimal versucht, ein rot-rot-grünes Bündnis zu schmieden. Das ist am Ende nicht an der Linken gescheitert“, betonte sie jüngst im Sommerinterview mit der Hessenschau. Dann stellte sie sich hinter die Corona-Politik der Bundesregierung, die die Gesundheit und das Leben von Millionen Lehrern und Schülern und ihren Familien bedroht: „Es ist richtig, dass die Schulen wieder öffnen, und das oberste Ziel muss auch sein, dass die Schulen nicht wieder geschlossen werden müssen“.
Auch in der Außenpolitik steht Marx 21 wie kaum eine andere Strömung innerhalb der Linkspartei für den aggressiven Kurs der Großen Koalition. Mit Christine Buchholz sitzt eine ihrer führenden Vertreterinnen seit nunmehr elf Jahren im Verteidigungsausschuss des Bundestags und ist damit auf höchster Ebene in die Kriegspolitik eingebunden. Zusammen mit offiziellen Delegationen des Verteidigungsministeriums besucht sie regelmäßig die im Ausland stationierten Truppen.
Bei der Offensive des deutschen Imperialismus im Nahen Osten und gegen Russland, die nun mit der Nawalny-Kampagne vorangetrieben wird, spielt Marx 21 seit langem eine zentrale Rolle. Die Gruppierung unterstützt die imperialistische Intervention in Syrien, feierte 2014 den rechten Putsch in der Ukraine als „demokratische Revolution“ und wirbt seitdem intensiv für einen pro-westlichen Regimewechsel in Russland. Bereits Anfang 2015 agitierte Buchholz im Rahmen der von der DGAP organisierten Reihe „Deutsche Verteidigungspolitik in neuer Verantwortung – die Fraktionssprecher positionieren sich“ offen für eine „Farbenrevolution“ in Moskau.
Die anti-trotzkistischen Wurzeln von Marx 21
Wissler hat angekündigt, für ihre Kandidatur als Parteivorsitzende ihre „Mitgliedschaft in innerparteilichen Strömungen und Zusammenhängen“ zu beenden. In der Berichterstattung darüber haben bürgerliche Medien Marx 21 wiederholt als „trotzkistische Vereinigung“ bezeichnet. Tatsächlich hat die im Kern rechte und pro-imperialistische Politik von Marx 21 und Wissler nicht das Geringste mit der Perspektive des russischen Revolutionärs und Gründers der Vierten Internationale Leo Trotzki zu tun, der dafür eintrat, die Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms gegen Kapitalismus und Krieg zu mobilisieren.
Das trotzkistische Erbe und Programm wird nur vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) und seinen Sektionen – in Deutschland der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) – verkörpert. Marx 21 steht dagegen in der anti-trotzkistischen Tradition der von Tony Cliff 1960 gegründeten International Socialist Tendency (IST).
Cliff hatte bereits Ende der 1940er Jahre mit dem Trotzkismus gebrochen und die Sowjetunion als „staatskapitalistisch“ bezeichnet. Das war keine abstrakte Frage der Definition. Die Vierte Internationale verteidigte die Sowjetunion trotz ihrer stalinistischen Degeneration gegen den Imperialismus, weil die durch die Oktoberrevolution hergestellten Eigentumsverhältnisse einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuteten. Sie bezeichnete die Sowjetunion als „entarteten Arbeiterstaat“ und kämpfte für eine politische Revolution gegen die stalinistische Bürokratie als Teil der sozialistischen Weltrevolution.
Wie frühere Versionen des „Staatskapitalismus“ war Cliffs Position eine Anpassung an den Imperialismus und eine mit linker Phraseologie verdeckte Form des Antikommunismus. Offen sichtbar wurde dies spätestens 1950, als Cliffs Tendenz sich unter dem berüchtigten Slogan „Weder Washington noch Moskau“ weigerte, im Koreakrieg China und die Sowjetunion gegen die mörderische Intervention des US-Imperialismus zu verteidigen.
Spätestens mit der Auflösung der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie sind die Staatskapitalisten und die wohlhabenden Mittelschichten, deren Interessen sie artikulieren, offen ins Lager des Imperialismus übergelaufen. In Deutschland haben sie sich als Marx 21 Netzwerk über die Linkspartei tief in den kapitalistischen Staat integriert. Nun stehen sie mit Wissler als möglicher Parteivorsitzenden und Schlüsselfigur in einer zukünftigen Bundesregierung bereit, bei den Angriffen auf die Arbeiterklasse und der Vorbereitung neuer imperialistischer Kriege eine noch zentralere Rolle zu spielen.
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