„Allgemeine Begeisterung für seine Perspektiven, wütende Verteidigung des Imperialismus, seine Beschönigung in jeder nur möglichen Weise – das ist das Zeichen der Zeit,“ erklärte Lenin in seinem Klassiker „Der Imperialismus“, der die Triebkräfte des Ersten Weltkriegs analysierte. Die „gigantischen Ausmaße des in wenigen Händen konzentrierten Finanzkapitals“ über alle Bereiche der Gesellschaft und der „verschärfte Kampf“ zwischen den imperialistischen Mächten „um die Aufteilung der Welt und um die Herrschaft über andere Länder“ hätten „zum geschlossenen Übergang aller besitzenden Klassen auf die Seiten des Imperialismus“ geführt.
Diese Einschätzung bringt die Reaktion der Linkspartei auf die sogenannte Libyen-Konferenz, die am vergangenen Sonntag in Berlin stattfand, auf den Punkt. Obwohl es sich bei der Konferenz um ein Treffen imperialistischer Räuber handelte, die unter dem Deckmantel des Friedens über die militärische Besetzung des rohstoffreichen Landes und die Neuaufteilung des gesamten Kontinents diskutierten, wird sie von der Linken in höchsten Tönen bejubelt. Auch einen möglichen Einsatz der Bundeswehr, der das seit dem Nato-Bombardement 2011 kriegszerstörte Land noch weiter in den Abgrund stürzen würde, schließt die Führung der Linkspartei nicht aus.
Noch während die Konferenz am Sonntag in vollem Gange war, signalisierte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, in der ARD-Fernsehsendung „Bericht aus Berlin“ seine Unterstützung für einen möglichen deutschen Militäreinsatz.
Als der Moderator bemerkte, die Überwachung des von der Bundesregierung ausgehandelten Waffenstillstands bedeute „im Zweifelsfall auch deutsche Soldaten“, und fragte, „Gehen Sie da mit?“, antwortete Bartsch: „Naja, Das ist der siebente Schritt. Erst muss es darum gehen, dass durchgesetzt wird, dass keine Waffen mehr in diese Region exportiert werden. Das wäre schon ein wesentlicher Schritt.“ Ohne sie könnten „beide Parteien gar keinen Krieg führen, in ihren Regionen werden nicht einmal Messer produziert“.
Wiederholt stellte Bartsch klar, dass letztlich auch die Linke militärische Mittel zur Stabilisierung und Kontrolle des Landes befürwortet. „Wenn man dann eine rechtsstaatliche Ordnung in Libyen wirklich hinkriegen würde, vielleicht sogar Wahlen, dann wäre es ein Schritt, wo eine legitimierte Regierung dann bei der UN um ein Mandat bitten kann.“ Er sei lediglich dagegen, wie Verteidigungsminister Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) oder Grünen-Chef Robert Habeck gleich nach deutschen Truppen zu schreien, „obwohl noch gar nicht gefragt worden ist“. Im Moment stehe „diese Frage nicht“, sondern „erstmal die Schritte, die notwendig sind. Und dann kann man auch über militärische Überwachung reden.“
Ähnlich äußerten sich die führenden Außenpolitiker der Linkspartei. Stephan Liebich, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, erklärte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Unterstützung für einen „humanitären“ Militäreinsatz. „Wenn es gelänge, unter dem Dach der UN eine nachhaltige Friedenslösung für Libyen zu verhandeln, dann sollten die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats auch bereit sein, diese mit Blauhelmen zu garantieren, vorausgesetzt, es wird von Libyen so gewünscht.“
Sevim Dagdelen, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, feierte in der Talkshow Anne Will am Sonntagabend die Bundesregierung für ihr Vorpreschen in Libyen. Im Beisein des sozialdemokratischen Außenministers Heiko Maas erklärte sie: „Ich kritisiere die Bundesregierung, wo sie zu kritisieren ist. Aber eines muss man natürlich auch sagen: es kann nur etwas scheitern, wenn man etwas getan hat… Die Alternative ist ja nichts zu tun, und das hat die Bundesregierung hier nicht gemacht. Und deshalb muss man sagen, das war ein richtiger Schritt.“ Es sei „schon ein Erfolg“, dass auf der Libyen-Konferenz „so viele da waren“.
Wenn Dagdelen Kritik an der Bundesregierung übte, kam sie von rechts. Ein „Makel“ sei etwa, dass Berlin nicht eng genug mit General Khalifa Haftar, dem Führer der militärisch dominierenden Partei im libyschen Bürgerkrieg zusammenarbeite. „In der internationalen Politik können wir uns nicht aussuchen, wer da ist“, erklärte sie. „Wir müssen die Realitäten akzeptieren. Haftar ist eine Realität, er ist ein Akteur, er hält 70 bis 80 Prozent des Landes Libyen unter Kontrolle. Also wenn man sagt, man verhandelt nicht mit dem, dann muss man fragen, mit wem verhandelt man denn dann?“
Ihre Schlussfolgerung: Deutschland muss letztlich noch aggressiver auftreten, um seine imperialistischen Ziele gegen die anderen Mächte in Libyen durchzusetzen. Ein „anderer Makel“ sei, dass man in Berlin „keine Einigung erzielt“ habe, „die ausländischen Truppen und Milizen, wie zum Beispiel diese islamistischen Terrorbanden von Erdogan“ zu entwaffnen. Man müsse nun „politischen Druck ausüben auf all die am Libyen-Krieg beteiligten Länder“. Die Bundesregierung solle dabei „mit einem guten Beispiel vorangehen“ und z.B. „die Waffenexporte an alle am Libyen-Krieg Beteiligte stoppen“.
Dagdelen zog es vor, nicht offen für einen Militäreinsatz zu argumentieren, sondern die deutsch-europäische Intervention im Namen des „Wiederaufbaus“ zu rechtfertigen. „Wer jetzt nach neuen Militäreinsätzen schreit, der verletzt den Geist dieser Berliner Erklärung“, erklärte sie. Europa solle sich beim „Wiederaufbau“ einbringen und nicht bei „einem neuen Militäreinsatz“. Sie „finde es bemerkenswert, dass man allein nur ausschließlich in militärischen Kategorien denkt“.
Natürlich weiß Dagdelen genau, dass der von ihr beschworene „Geist der Berliner Erklärung“ auch vom Standpunkt des deutschen Imperialismus darin besteht, das rohstoffreiche Land militärisch zu kontrollieren und auszubeuten.
„Frankreich, Italien und Russland sind mit da drin, weil sie ganz handfeste wirtschaftliche Interessen haben. Es ist natürlich Öl und Gas. Libyen hat die größten Ölvorkommen des afrikanischen Kontinents und beim Gas ist es an vierter Stelle. Und das weckt natürlich Begehrlichkeiten auch bei uns in Deutschland“, erklärte sie. „Nicht nur Frankreichs Total und Italiens Eni führen dort Krieg, sondern auch die deutsche BASF-Tochter Wintershall Dea hat ein großes Interesse an der Ölproduktion. Es geht natürlich auch um einen Stellvertreterkrieg der Ölkonzerne.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Es kommt nicht überraschend, dass nach den Grünen nun auch die Linkspartei bereit steht, brutale, neokoloniale Interventionen „in jeder nur möglichen Weise zu beschönigen“ (Lenin) und zu unterstützen. Seitdem ihre Vorläuferin SED/PDS vor 30 Jahren den Kapitalismus in Ostdeutschland wiedereingeführt hat, ist sie eine völlig bürgerliche Partei, die nicht etwa die Interessen der Arbeiter vertritt, sondern die wohlhabender Mittelschichten und des kapitalistischen Staats.
Vor dem Hintergrund wachsender Klassenkämpfe und heftiger Konflikte zwischen den Großmächten um die Aufteilung der Welt agierte sie bereits in den letzten Jahren immer offener als Partei des deutschen Imperialismus.
So war etwa Liebich an der Ausarbeitung des Papiers „Neue Macht – Neue Verantwortung“ beteiligt, das im Herbst 2013 veröffentlicht wurde und die Grundlage für die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik legte.
Bei der anschließenden Umsetzung dieser Politik im Nahen Osten war die Linkspartei voll an Bord. Bereits vor dem offiziellen Beginn des deutschen Kriegseinsatzes in Syrien im Dezember 2015 unterstützte sie die pro-imperialistische syrische Opposition und machte sich mit Aufrufen wie „Syrien: Freiheit braucht Beistand“ oder „Kobane retten!“ für ein aggressiveres deutsches Eingreifen stark.
Im April 2014 hatten mehrere Bundestagsabgeordnete der Linken – darunter Bartsch und Liebich – für die Entsendung einer deutschen Fregatte ins Mittelmeer gestimmt. Nun stehen sie bereit, eine massive Militärintervention in Libyen zu unterstützen, die nur der Auftakt zu Rekolonialisierung des gesamten Kontinents wäre.
Arbeiter und Jugendliche, die gegen Krieg und Imperialismus kämpfen wollen, müssen daraus die politischen Lehren ziehen. Die Linkspartei steht auch in der Kriegsfrage auf der anderen Seite der Barrikaden. Wie zu Zeiten Lenins und der Oktoberrevolution von 1917, die das Ende des Ersten Weltkriegs einleitete, gibt es auch heute nur eine Möglichkeit, die Kriegsentwicklung zu stoppen: den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich auf die wachsenden globalen Kämpfe der Arbeiterklasse stützt, sich gegen den Kapitalismus richtet und für ein sozialistisches Programm eintritt. Notwendig ist der Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale als neue revolutionäre Massenpartei der internationalen Arbeiterklasse.