Anstieg der Corona-Fälle in Griechenland seit Ende des Lockdowns

Seit der vorzeitigen Aufhebung des Lockdowns zu Beginn des Sommers sind die Corona-Fälle in Griechenland genau wie in anderen europäischen Ländern sprunghaft angestiegen. Am Mittwoch wurde eine Rekordzahl von 293 Fällen und fünf Toten registriert – in einem Land mit nur 10,4 Millionen Einwohnern.

Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ging kontinuierlich nach oben. Im Frühling lag die höchste Zahl bei 156 Fällen am 21. April. Danach sanken die Zahlen auf einige Dutzend täglich, bis sie im Juli wieder anstiegen und im August mit fast täglich über 200 einen Höchststand erreichten. Immer mehr Patienten haben schwere Krankheitsverläufe, Mitte August waren schon 23 an Beatmungsgeräten angeschlossen – eine Verdoppelung seit Anfang des Monats.

Mit insgesamt 254 Todesopfern gab es in Griechenland zwar noch keinen enormen Anstieg der Sterblichkeitsrate wie in anderen europäischen Ländern, z.B. Belgien, das eine ähnliche Bevölkerungsgröße hat und fast 10.000 Tote zählt. Die relativ niedrige Todesrate ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass schon früh während der ersten Corona-Welle ein Lockdown verhängt wurde. Dieser Vorsprung wird nun von der Regierung unter Nea Dimokratia (ND) zunichte gemacht. Schon jetzt ist die Todeszahl fast um ein Fünftel gestiegen im Vergleich zu Anfang Juli.

Demonstranten vor dem Gesundheitsministerium in Athen fordern Festanstellungen und eine bessere Finanzierung des Gesundheitssystems, 16. Juni 2020. (AP Photo/Thanassis Stavrakis)

Die stufenweise Lockerung der Maßnahmen begann mit der Öffnung des Einzelhandels im Mai, gefolgt von Einkaufszentren, Bars und Restaurants im Juni und der Wiederaufnahme internationaler Flugverbindungen an allen griechischen Flughäfen im Juli.

In einem Gespräch mit Skai TV am 10. August sagte Charalambos Gogos, ein Spezialist für Infektionskrankheiten und Mitglied des Corona-Expertenausschusses der Regierung, dass „der [R-Wert] basierend auf den Daten, die uns mit der Zunahme der Fälle vorliegen, jetzt möglicherweise größer als 1 – vielleicht 1,1 oder 1,2 – ist“. Der R-Wert oder Reproduktionszahl gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt anstecken wird. Ein R-Wert von mehr als 1 bedeutet, dass sich die Krankheit rasant ausbreitet.

Die Schuld an dem Anstieg der Fälle schiebt die Regierung der Bevölkerung in die Schuhe. Während einer Telefonkonferenz am 5. August, auf der die Krise erörtert wurde, erklärte Premierminister Kyriakos Mitsotakis: „Wir müssen feststellen, dass die Zunahme der Fälle in erster Linie auf das im Juli beobachtete Nachlassen bei der Einhaltung der Vorschriften in unserem Land zurückzuführen ist. Und ich glaube, dafür tragen wir alle Verantwortung. Nur 10 Prozent der Fälle kamen aus dem Ausland, die meisten Fälle sind aktuell im Land selbst aufgetreten.“

Wenn in Teilen der Bevölkerung ein falsches Gefühl der Sicherheit vorherrschte, dann nur weil die Regierung diese Stimmung geschürt hat. Anfang Juni empfahl die Regierung nur vage, es zu vermeiden, Veranstaltungen zu organisieren oder zu besuchen, bei denen es zu voll werden könnte. Nur einen Monat später wurde die Obergrenze von sechs Personen pro Restauranttisch aufgehoben. Die Verwendung von Masken in Einkaufszentren war nur für das Personal vorgeschrieben.

Die Behauptung, dass die Einreise von Griechenland-Urlaubern keinen oder nur einen geringen Einfluss auf den Anstieg der Fälle habe, ist lächerlich. Den Corona-Zahlen der Regierung zufolge stehen 23,4 Prozent aller seit Beginn der Pandemie gemeldeten Fälle im Zusammenhang mit Reisen aus dem Ausland. Von insgesamt 2,1 Millionen Besuchern, die im Juli und in der ersten Augustwoche nach Griechenland kamen, wurden Berichten zufolge nur etwa 12 Prozent bei der Ankunft getestet.

Vor zwei Wochen traten mehr als die Hälfte der neuen Fälle gehäuft in der Region Attika auf, zu der auch die Hauptstadt Athen gehört. In Athen und Thessaloniki, den beiden größten griechischen Städten, sind die Menschen täglich in überfüllten Bussen und Bahnen im öffentlichen Nahverkehr zusammengepfercht. Der einzige Schutz vor dem Virus ist die Maskenpflicht. Die Regierung verstößt ständig gegen das von ihr selbst gesetzte Kapazitätslimit von einer Auslastung von 65 Prozent im öffentlichen Verkehr, was eigentlich schon zu hoch ist.

Eine ähnliche Situation ist auf den Passagierfähren vom Festland zu den Inseln zu beobachten. Die Regierung beugte sich dem Druck der Reeder, widersetzte sich dem Rat ihres Ärztegremiums und erhöhte die zugelassene Passagierkapazität im August von 60 auf 80 Prozent.

Zwei Corona-Cluster konnten auf Fabriken in Nordgriechenland zurückverfolgt werden. Das zeigt bereits, welchen Preis die Arbeiterklasse für die Öffnung der Wirtschaft durch die Regierung zahlen muss. In der ersten Augustwoche wurden in einem großen Olivenverarbeitungsbetrieb in Chalkidiki 50 von 300 Arbeitern und in einem Fleischbetrieb 24 Arbeiter positiv auf das Virus getestet. Eine Woche später infizierten sich 36 Bewohner eines Altenpflegeheims am Stadtrand von Thessaloniki.

Die Regierung reagierte lediglich mit symbolischen Maßnahmen, beschränkt auf Regionen mit hohen Fallzahlen wie Attika und Thessaloniki. Die neuen Maßnahmen, die bis zum 24. August liefen, stellten die kommerziellen Interessen über die Gesundheit. So sind beispielsweise Restaurants, Theater und Kinos von der bereits jetzt geltenden hohen Obergrenze von 50 Personen für öffentliche Versammlungen und Veranstaltungen ausgenommen. Bars und Nachtclubs dürfen außer zwischen Mitternacht und 7 Uhr geöffnet bleiben. Die Arbeitsplätze sollen offen bleiben, und nur Personen, die als Hochrisikofälle gelten, dürfen bis zum 31. August von zu Hause oder im Backoffice arbeiten.

Mitsotakis schloss zu Beginn des Monats einen zweiten nationalen Lockdown aus: „Wir sind uns alle bewusst, dass wir nicht mehr zu einem vollständigen Lockdown, zu einem zweiten Lockdown unserer Volkswirtschaft übergehen können.“ Wie auch in anderen europäischen Ländern steht die Wiedereröffnung von Schulen im Mittelpunkt der Regierungpolitik. Die Kinder sollen in die Schulen verfrachtet werden, damit ihre Eltern zur Arbeit gehen können. Regierungssprecher Stelios Petsas bestätigte, dass die Schulen wie geplant am 7. September geöffnet werden sollen. Er gab sogar zu, dass „im Oktober und November die Möglichkeit eines Wiederanstiegs der Virusverbreitung besteht“.

Das öffentliche Gesundheitswesen in Griechenland ist in einem katastrophalen Zustand und wäre nicht in der Lage, mit einer zweiten Corona-Welle fertig zu werden. In jahrelangen Sparmaßnahmen unter der sozialdemokratischen Pasok, der rechten ND und der pseudolinken Syriza (2015–2019) wurde das Gesundheitsbudget zusammengestrichen, das heute 50 Prozent niedriger ist als 2009. Die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen sind chronisch unterbesetzt, was die Funktionsfähigkeit der Krankenhäuser bedroht. Das wird verschärft durch Corona-Fälle im Personal. Sieben Mitarbeiter des Universitätskrankenhauses in der Stadt Larissa wurden positiv auf das Virus getestet. Vier von ihnen sind Fachärzte, darunter eine 27-jährige Chirurgin, die an einem Beatmungsgerät angeschlossen war. Auch ein 58-jähriger Kinderarzt musste aus dem Krankenhaus in der Stadt Volos verlegt und an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Weitere neun Mitarbeiter wurden im Krankenhaus Papageorgiou in Thessaloniki positiv getestet.

Unter diesen Bedingungen hat die Regierung die Vorschrift aufgehoben, dass medizinisches Personal nach der Rückkehr aus dem Urlaub in präventive Quarantäne gehen muss. Die Mitarbeiter müssen sich zwar einem Test unterziehen, sollen aber noch vor Bekanntgabe der Ergebnisse zur Arbeit kommen. Sofia Pappa, Ärztin am Athener Allgemeinen Krankenhaus, kommentierte auf Facebook, „[das Gesundheitsministerium] kann Ärzte und Krankenschwestern nicht einmal für nur zwei Tage (bis die Testergebnisse vorliegen) in Quarantäne setzen, nur weil es keine Ärzte und Krankenschwestern gibt“.

Außerdem droht eine katastrophale Ausbreitung von Covid-19 in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln. Es gab bereits Ausbrüche in Flüchtlingslagern auf dem Festland. In einem Hotel auf der Peloponnes, in dem Flüchtlinge untergebracht sind, wurden im April 150 Infektionen gemeldet. Die Lager auf den Inseln sind notorisch überfüllt, ein Ausbruch in einem von ihnen könnte sich rasch ausbreiten. In den Camps, die für nur 6.100 Personen gebaut wurden, sind über 25.000 Flüchtlinge unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht.

Vor zwei Wochen wurde ein 35-jähriger Mann aus dem Jemen, der im Lager Vial auf Chios lebt, positiv getestet. In Vial sind über 3.800 Asylsuchende untergebracht – mehr als das Dreifache der eigentlichen Kapazität.

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