Griechenland beendet schrittweise den Lockdown und plant Wiederaufnahme des Tourismus

Am 4. Mai begann die stufenweise Aufhebung des Lockdowns in Griechenland, der Anfang März in Reaktion auf die Corona-Pandemie verhängt wurde.

In einer Fernsehansprache kündigte Premierminister Kyriakos Mitsotakis von Nea Dimokratia (ND) an, dass die Bürger ab dem 4. Mai keine Ausgangsbescheinigung mehr vorzeigen müssen, wenn sie das Haus verlassen. Trotzdem bleiben Ausflüge außerhalb des Wohngebiets weiterhin eingeschränkt.

Die schrittweise Öffnung des Einzelhandels findet über einen Zeitraum von zwei Wochen statt. Einkaufszentren, Bars, Restaurants und Hotels dürfen erst am 1. Juni wieder öffnen. Die Oberschulen werden ab heute, dem 11. Mai, nach und nach geöffnet, während die Grundschulen und Kindergärten vorerst geschlossen bleiben.

Menschen vergnügen sich am Strand von Kavouri südwestlich von Athen, 10. Mai 2020. Griechenland beginnt mit der Aufhebung des Lockdowns aufgrund von Covid-19. (AP Photo/Yorgos Karahalis)

Die relativ niedrigen Zahlen von aktuell 2.716 registrierten Infektionen und 151 Todesfällen sind vor allem darauf zurückzuführen, dass in Griechenland früher als in anderen europäischen Ländern ein strenger Lockdown durchgesetzt wurde. Noch bevor der erste Tote registriert wurde, hatte die Regierung Ende Februar den Karneval abgesagt. Schulen wurden am 10. März geschlossen, während der Einzelhandel mit Ausnahme von Supermärkten, Bäckereien und Lebensmittelgeschäften in der darauffolgenden Woche zumachen musste.

Die Aufhebung der Maßnahmen wird diesen Vorteil zunichte machen, ist aber für die griechische Elite von entscheidender Bedeutung. Laut den jüngsten Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die griechische Wirtschaft infolge der Pandemie um 10 Prozent schrumpfen – ein jährlicher Rückgang, der größer ist als zur Zeit der rigorosen Sparmaßnahmen. In den letzten zehn Jahren hatten die Europäische Union (EU) und der IWF Spardiktate angeordnet, die dazu führten, dass die Wirtschaft insgesamt um fast 25 Prozent schrumpfte.

Am 5. Mai hielt Mitsotakis eine Telefonkonferenz mit Bankvorständen ab, um über Liquiditätshilfen für griechische Unternehmen zu verhandeln. Geplant ist eine Bereitstellung von Krediten über 16 Milliarden Euro zu extrem niedrigen Zinssätzen – entweder direkt durch die Regierung oder durch die Banken. Dafür sind Zinszuschüsse und staatliche Garantien vorgesehen. „Wir müssen die Schockwellen so gut wie möglich abfedern und die Grundlage für einen dynamischen Neustart der Wirtschaft schaffen“, sagte Mitsotakis.

Diese Kredite für griechische Unternehmen sind untrennbar mit der Aufhebung des Lockdown verbunden, da sie durch den Mehrwert finanziert werden müssen, den die Arbeiterklasse erwirtschaften soll.

Man sagt den griechischen Arbeitern genau wie ihren Kollegen weltweit, dass sie die „neue Normalität“ eines Lebens mit dem Virus und dem Tod akzeptieren sollen. „Einige werden zweifellos erkranken“, erklärte Mitsotakis. „Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass es so wenige wie möglich sind und sie die nötige Pflege erhalten. Wer sein Haus verlässt und die Tür hinter sich schließt, öffnet gleichzeitig die Tür der Verantwortung.“

Während die Regierung der Arbeiterklasse die Last für die Sicherheit aufbürdet, tut sie so gut wie nichts, um das Gesundheitswesen zu stützen, das in den letzten zehn Jahren kaputtgespart wurde. Das griechische Gesundheitsbudget wurde seit 2009 um 50 Prozent gekürzt. Nur fünf Prozent des BIP werden für die öffentliche Gesundheitsversorgung ausgegeben, zwei Prozent weniger als im EU-Durchschnitt. Griechenland verfügte bei Ausbruch der Pandemie nur über 560 Betten auf Intensivstationen.

Laut einer Studie von 2012, als die Sparprogramme an Fahrt aufnahmen, hatte Griechenland nur sechs Intensivbetten für 100.000 Einwohner (Deutschland hatte 29,2 Intensivbetten). In den letzten acht Jahren hat sich die Zahl der Intensivbetten in Griechenland zweifellos verschlechtert. Statt öffentliche Krankenhäuser besser auszustatten, nutzt die Regierung die Pandemie, um Kapazitäten im Privatsektor zu erhöhen.

Die Testrate in Griechenland gehört mit nur 9.488 Tests pro eine Million Einwohner zu den niedrigsten in Europa. Die Behauptungen der Regierung, man sei ausreichend ausgerüstet, um eine wirksame Verfolgung von Kontaktpersonen durchzuführen, sind haltlos.

Mitsotakis bemüht sich, sein Vorgehen als „vorsichtig“ darzustellen, und behauptet, dass „unser Plan [zur Aufhebung des Lockdown] über die nächsten zwei Monate äußerst detailliert und ausgefeilt“ sei. Trotzdem zeigen sich viele griechische Wissenschaftler besorgt, vor allem was die Öffnung der Schulen betrifft.

In einem Interview mit Open TV in der Woche vor den Lockerungen erklärte Athina Linou, Professorin für Epidemiologie an der Universität Athen, dass „die Öffnung von Schulen epidemiologisch gesehen eine Gefahr ist, deren Ausmaß wir nicht kennen“. Sie stellte klar: „Es gibt [keine wissenschaftliche Studie], die wirklich zeigt, ob Kinder das Virus übertragen oder nicht“, und fügte hinzu, dass die Entscheidung, Schulen zu eröffnen, „teils wissenschaftlich und teils politisch auf Basis sozioökonomischer Kriterien“ getroffen werde.

Die Wahrheit ist, dass die Lockerungen vollständig „auf sozioökonomischen Kriterien“ beruhen. Alle Verweise auf die Wissenschaft dienen nur dazu, dem Ganzen einen Anstrich von Legitimität zu verleihen. Dies wird deutlich, wenn man die abrupte Kehrtwende von Sotiris Tsiodras betrachtet, dem Spezialisten für Infektionskrankheiten, der zum Sprecher des Gesundheitsministeriums ernannt wurde und täglich über die Virus-Verbreitung in Griechenland berichtet.

Noch vor wenigen Wochen warnte Tsiodras vor der allgemeinen Verwendung von Masken außerhalb des Gesundheitsbereichs. Im Zuge der Lockerungen wurde das Tragen von Schutzmasken in öffentlichen Verkehrsmitteln, Aufzügen, Krankenhäusern, Arztpraxen und Diagnosezentren nun zur Pflicht gemacht. Jetzt meint Tsiodras: „Die Verwendung von Masken wird hauptsächlich dazu dienen, die Übertragung des Virus auf andere zu verhindern, wenn wir leichte oder keine Symptome haben.“

Mit anderen Worten, die Regierung geht davon aus, dass sehr viele Menschen, die mit Covid-19 infiziert sind, täglich mit Nicht-Infizierten in Kontakt kommen – und der einzige Schutz vor Übertragung sind die Papiermasken. Noch dazu kostet jede Maske etwa einen Euro, was 30 Euro pro Person und Monat sind, wenn man sie täglich wechselt. Fast drei Viertel aller griechischen Arbeiter verdienen weniger als 1.000 Euro im Monat, fast eine Million sogar nur 200 bis 500 Euro. Die meisten von ihnen werden die Masken entweder entgegen der gesundheitlichen Vorschriften wiederverwenden oder auf selbstgenähte Stoffmasken zurückgreifen, die, wie Tsiodras einräumt, nicht so sicher sind wie Wegwerfmasken.

Ein weiterer Bereich, in dem Tsiodras von den WHO-Richtlinien abweicht, betrifft die Frage der Immunität nach einer Corona-Infektion. Die WHO betont, dass „es derzeit keinen Beweis dafür gibt, dass Menschen, die nach Covid-19 genesen sind und Antikörper entwickelt haben, vor einer zweiten Infektion geschützt sind“. Doch Tsiodras hat dieser Einschätzung offen widersprochen. Stattdessen erklärt er, es gebe „eine zweite Position, die in anerkannten Wissenschaftskreisen vertreten wird und davon ausgeht, dass man auf der Grundlage von Erfahrungen mit Coronaviren sagen kann, dass ein Schutz für mindestens ein Jahr besteht“.

Es ist nicht schwer zu erkennen, welche wirtschaftlichen Interessen hinter dieser Äußerung stehen. Neun südeuropäische EU-Mitglieder, darunter Griechenland, hielten am 27. April eine Videokonferenz ab, in der sie die Einführung eines „Covid-19-Passes“ innerhalb der EU forderten. Dieser Pass soll auf Antikörpertests basieren und dazu beitragen, die Tourismusindustrie anzukurbeln, auf die alle südlichen EU-Länder stark angewiesen sind. Tsiodras hat zwar noch zur Vorsicht gemahnt und erklärt: „Es ist noch zu früh, um über Tourismus zu sprechen.“ In dem Zusammenhang verwies er auf die Gefahr, dass das Virus aus einem Land, in dem die Pandemie grassiert, eingeschleppt werden könnte. Doch die Tatsache, dass Tsiodras die Warnungen der WHO zur Immunität in Frage stellt, ist grünes Licht an die Elite, die Griechenland schon in diesem Sommer für Touristen öffnen will.

Tourismusminister Charis Theocharis hat die geringe Zahl von Corona-Fällen in Griechenland gepriesen und erklärt: „Wir erwarten Touristen aus Europa, und da hat unser Land einen Vorteil, weil wir von allen Mittelmeerstaaten der sicherste sind.“

Ebenso enthusiastisch zeigte sich Mitsotakis, als er kürzlich in einem Interview auf CNN meinte: „Griechenland wird sich im besten Fall am 1. Juli für den Tourismus öffnen. Darauf arbeiten wir hin.“

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