„Freiwilliger Wehrdienst“: Große Koalition rekrutiert für Einsatz des Militärs im Inneren

Die Große Koalition plant die Einführung eines „neuen freiwilligen Wehrdiensts“ ab dem 1. April kommenden Jahres. Das verkündete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz im Bendlerblock.

Kramp-Karrenbauer und der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Markus Laubenthal, sowie der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber (CDU), die zusammen mit ihr vor die Presse traten, ließen keinen Zweifel daran, dass der neue Wehrdienst Bestandteil einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft ist. Er dient zwei zentralen Zielen: dem massiven Einsatz der Bundeswehr im Inneren und der Bereitstellung und Rekrutierung zusätzlicher Truppen für äußere Kriege.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin (AP Photo/Michael Sohn)

Der neue Dienst unter dem Motto „Dein Jahr für Deutschland“ sei „ein Angebot an Männer und Frauen, egal ob jung oder alt, die sich für Deutschland engagieren wollen“, erklärte Kramp-Karrenbauer zu Beginn ihrer Ausführungen. Dabei gehe es um die „Fragen, die uns schon seit geraumer Zeit beschäftigen, nämlich im Konzept des Heimatschutzes und im Konzept der Reserve eine gute Brücke zu schlagen“.

In einer siebenmonatigen Ausbildung sollten zunächst 1000 Freiwillige geschult werden. Bereits in dieser Zeit sollen sie „erste Kontakte zur zukünftigen Einheit, den sogenannten RSU-Kompanien, das sind die regionalen Sicherheits- und Unterstützungskräfte in der Heimatregion“, knüpfen. Anschließend solle dann „eine für sechs Jahre anhaltende Grundbeorderung als Reservistin oder Reservist an einem heimatnahen Standort, also in der Regel an diesen heimatnahen RSU-Kompanien, erfolgen.“

Mit anderen Worten: die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte, die seit 2012 als Bestandteil der Territorialen Reserve bestehen und truppendienstlich den Landeskommandos der jeweiligen Bundesländer unterstellt sind, sollen massiv aufgerüstet und in ständig und schnell einsatzbereite Kampfeinheiten im Inneren verwandelt werden. Dabei geht es natürlich nicht etwa um Katastrophenschutz oder „helfende Hände“ in der Coronakrise, sondern um die Verteidigung des kapitalistischen Staats und seiner Institutionen.

„Es geht um den Schutz kritischer Infrastruktur, nicht nur eigener in der Bundeswehr, sondern auch anderer Dinge“, erklärte Tauber. Man habe jetzt „die Chance, auch junge Leute speziell in diesen Sicherungsaufgaben auszubilden und sie über sechs Jahre, nicht nur irgendwie in die Reserve aufzunehmen, sondern ganz gezielt in der entsprechenden Kompanie vor Ort, also in ihrem Bundesland, in ihrer Region, mit einem Dienstposten zu verankern.“

Der „militärische Vorteil“ sei, dass man in einer Einsatzsituation „nicht erst großartig den Aufruf an Reservisten starten“ müsse, „sich zu engagieren, sondern wir hätten da entsprechende Kompanien, die sofort handlungsfähig wären.“

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung in den USA – wo Trump paramilitärische Polizeieinheiten gegen Demonstranten mobilisiert – und der deutschen Geschichte ist dies eine ernste Warnung. Im Kaiserreich, der Weimarer Republik und unter den Nazis wurde das Militär als Unterdrückungsinstrument im Inneren zur Niederschlagung sozialer Proteste und revolutionärer Erhebungen eingesetzt. Opfer dieses Terrors waren v.a. revolutionäre Arbeiter und deren politische Führer – allen voran Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die im Januar 1919 von rechtsradikalen Freikorps ermordet wurden.

Auch heute wimmelt das deutsche Militär von rechtsextremen Netzwerken, die einen Umsturz und die Ermordung von politischen Gegnern planen. Bezeichnenderweise wurde am Tag der Ankündigung des neuen Wehrdiensts bekannt, dass ein für soziale Medien zuständiger Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums wegen rechtsextremistischer Verbindungen vorübergehend aus dem Social Media Team entfernt worden war.

Am Kurs des Verteidigungsministeriums ändert das nichts. Die Rekrutierungskampagnen der Bundeswehr richten sich an die rechtesten Elemente. Der neue „Heimatschutz“ sei „ein tolles Angebot für junge Menschen, die sich der Bundeswehr und ihrem Land verpflichtet und ihrer Heimat verbunden fühlen, und die dann noch in den Streitkräften eine sinnvolle Lücke schließen“, erklärte Tauber.

Der Begriff „Heimatschutz“ ist unter Rechtsterroristen und Neonazis ein Codewort. So rekrutierte sich etwa der NSU, der mindestens neun Migranten ermordet hat, aus dem sogenannten „Thüringer Heimatschutz“.

Bei der Schaffung der rechten Heimatschutzverbände im Inneren geht es auch darum, Truppen für zukünftige Kriegseinsätze auszuheben. „Die jungen Menschen, die den Dienst antreten, erfahren eine militärische Ausbildung und werden auch als Reservisten militärisch üben.“

Dabei gehe es „vor allem darum, dass wir Personal rekrutieren für die Vielzahl der Aufgaben, die die Bundeswehr“ auf der Grundlage „der Strategie der Reserve, der Konzeption der Bundeswehr und dem Fähigkeitsprofil abbilden muss. Und dafür brauchen wir Männer und Frauen. Das kann die aktive Truppe nicht alleine.“

Welche umfassende Militarisierungs- und Kriegsoffensive hinter dem Rücken der Bevölkerung geplant ist, zeigt ein Blick in die von Tauber erwähnten Strategiepapiere. Im Zentrum der 2018 verabschiedeten „Konzeption der Bundeswehr“ steht die Ausrichtung aller militärischen und zivilen Kräfte auf Krieg. Die „Konzeption“ spricht offen aus, dass sich das deutsche Militär nach seinen historischen Verbrechen in zwei Weltkriegen wieder auf einen großen Krieg vorbereitet.

„Für eine sehr große Operation sind Fähigkeiten in schneller Reaktion und Folgekräfte zu planen“, heißt es dort unter anderem. „Sie müssen in einem hybriden und im gesamten Eskalations- und Wirkspektrum in allen Dimensionen ablaufenden Konflikt in einem streitkräftegemeinsamen und multinationalen Verbund in allen Operationsarten wirken können. Zu Beginn einer sehr großen, hoch intensiven Operation ist ein massiver Ansatz von Kräften und Mitteln hoher Verfügbarkeit erforderlich. Es ist personelle und materielle Vorsorge zur Regeneration zu treffen.“

Der neue Wehrdienst ist Bestandteil dieser größenwahnsinnigen Aufrüstungs- und Kriegspläne. „Bei der Stärkung der territorialen Struktur arbeiten im Moment alle sechs militärischen Organisationsbereiche zusammen“, erklärte General Laubenthal auf der Pressekonferenz.

Die Armee gehe „jetzt bei der Implementierung der Strategie“ davon aus, „dass sich die Stärkung auch quantitativ auswirken wird“. Er sehe bereits jetzt „Synergiegewinne bei den anderen Teilstreitkräften: Luftwaffe, Marine oder auch Heer, wo wir eine ähnliche Ausbildung haben“. Das Ganze sei jedoch nur „der Anfang“.

Kramp-Karrenbauer ließ am Ende der Pressekonferenz durchblicken, dass sie dem freiwilligen Wehrdienst bald auch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht folgen lassen will. Sie sei bekanntermaßen eine „Anhängerin einer Dienstpflicht“, betonte sie. Darüber gelte es, „eine politische Debatte zu führen“. Dafür hat sie bereits jetzt nicht nur die Unterstützung der rechtsextremen AfD, sondern auch der sozialdemokratischen Wehrbeauftragten des deutschen Bundestags, Eva Högl. Diese hatte bereits Anfang des Monats die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 als „einen Riesenfehler“ bezeichnet.

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