Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Ende Juli die neue „Konzeption der Bundeswehr“ erlassen. Das 87-seitige Dokument unterstreicht, was die Große Koalition und die gesamte herrschende Klasse in Deutschland hinter dem Rücken der Bevölkerung planen: die massive Aufrüstung der Bundeswehr und die Vorbereitung Deutschlands auf „sehr große“ Militäroperationen und einen möglichen Dritten Weltkrieg.
Im Zentrum der „Konzeption“ steht die „Einsatzorientierung“, d.h. die Ausrichtung aller militärischen und zivilen Kräfte auf Krieg. „Die Bundeswehr folgt dem Prinzip ‚Vom Einsatz her denken‘. Das bundeswehrgemeinsame Denken und Handeln muss darauf zielen, die Bundeswehr konsequent zum Einsatz im gesamten Aufgabenspektrum zu befähigen und einsatzbereit zu halten. Einsatzorientierung verlangt das Selbstverständnis, dass nicht nur die Kräfte im Auslandseinsatz, sondern – unabhängig vom Dienstort – alle militärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr einschließlich Reservistendienst Leistende ihren Beitrag erbringen“, heißt es auf Seite 11 des Dokuments.
Es folgen Aussagen wie diese: „Einsatzorientierung fordert von den Angehörigen der Bundeswehr ein hohes Maß an physischer und psychischer Robustheit sowie persönliche Flexibilität und Mobilität“, „Eigene Infrastruktur, Einrichtungen, Truppenkörper und Fähigkeiten sind umfassend gehärtet bzw. widerstandsfähig auszugestalten“, und „Ziel ist es, die Bundeswehr auf bekannte und auf neue Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen im gesamten Aufgaben- und Intensitätsspektrum vorzubereiten.“
Im 5. Kapitel „Vorgaben für das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ heißt es: „Konventionelle Angriffe gegen das Bündnisgebiet sind vornehmlich an dessen Außengrenzen zu erwarten. Die Bundeswehr ist zu Operationen in diesem Bereich zu befähigen. Sie muss über Kräfte und Mittel verfügen, die nach kurzer Vorbereitung an den Grenzen oder jenseits des Bündnisgebiets einsetzbar sind. Das schließt Fähigkeiten zur strategischen Verlegung ein. Die Möglichkeit der frühzeitigen Reaktion auf erkannte konkrete Angriffsabsichten wird durch Fähigkeiten zur Krisenfrüherkennung unterstützt. Die kollektive Verteidigung im Bündnisrahmen kann von kleineren Einsätzen bis hin zum anspruchsvollsten Einsatz im Rahmen einer sehr großen Operation innerhalb und am Rande des Bündnisgebietes reichen.“
Kriegsvorbereitung – gegen wen?
Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehrführung erklären in der „Konzeption“, die an die wahnwitzigen Aufrüstungs- und Kriegspläne der 1930er Jahre anknüpft, nicht, gegen wen sich die geplanten „sehr großen Operationen“ richten sollen. Etwa wieder gegen Russland, das Hitlers Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg überfallen und mit einem fürchterlichen Vernichtungskrieg überzogen hat und das nun von der Nato militärisch eingekreist und bedroht wird? Oder gegen die USA, die unter Präsident Donald Trump von der langjährigen Schutzmacht der Nachkriegszeit wieder zum politischen Gegner werden? Oder gegen die direkten Nachbarn Frankreich und Polen, mit denen Berlin zwar momentan (noch) eng militärisch und politisch zusammenarbeitet, die aber historisch zu den potentiellen Kriegszielen des deutschen Imperialismus gehören?
Arbeiter und Jugendliche in Deutschland und weltweit haben ein Recht zu erfahren, was genau die Politiker und Generäle im Verteidigungsministerium im Schilde führen!
Die „Konzeption“ lässt nicht den geringsten Zweifel daran, dass sich das deutsche Militär trotz der katastrophalen Niederlagen in zwei Weltkriegen wieder auf massive militärische Operationen vorbereitet. „Für eine sehr große Operation sind Fähigkeiten in schneller Reaktion und Folgekräfte zu planen. Sie müssen in einem hybriden und im gesamten Eskalations- und Wirkspektrum in allen Dimensionen ablaufenden Konflikt in einem streitkräftegemeinsamen und multinationalen Verbund in allen Operationsarten wirken können. Zu Beginn einer sehr großen, hoch intensiven Operation ist ein massiver Ansatz von Kräften und Mitteln hoher Verfügbarkeit erforderlich. Es ist personelle und materielle Vorsorge zur Regeneration zu treffen.“
Das größenwahnsinnige Szenario reicht dabei bis zu einem Nuklearkrieg. Im Abschnitt „Landesverteidigung und Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO und der Europäischen Union“ heißt es: „Letztlich kann das ganze Bündnisgebiet im gesamten Spektrum staatlichen und gesellschaftlichen Handelns in schneller Abfolge Ziel gegnerischer Aktionen werden. Die nach wie vor doktrinär hinterlegte und faktisch vorhandene Möglichkeit eines Einsatzes von nuklearen Waffen komplementiert dies. Die Bundeswehr muss mit ihrem Single Set of Forces in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden.“
Andere Teile der „Konzeption“ erinnern an Goebbels‘ Aufruf zum „totalen Krieg“. So müsse die Bundeswehr „in der Lage sein, die Einsatzfähigkeit wesentlicher eigener Einrichtungen ohne Rückgriff auf Dritte auch bei schweren Störungen zu gewährleisten. Unabhängig davon können eigene Kräfte und Einrichtungen im verfassungsrechtlichen Rahmen als subsidiäre Unterstützungsleistungen eingebracht werden, insbesondere mit Fähigkeiten, bei denen zivile Behörden und Organisationen, z. B. wegen der Abstützung auf ehrenamtliche Kräfte, keine Durchhaltefähigkeit erreichen.“
In einem Abschnitt mit der Überschrift „Wirkung“ heißt es: „Durch Wirkungsüberlegenheit im Rahmen der Operationsführung wird die Kontrolle über und die Sicherheit in Räumen hergestellt und gehalten. Erfolgreiches Wirken und das Beherrschen von Räumen ist entscheidend für die Auftragserfüllung. Die Bundeswehr ist zu befähigen, alleine oder mit Verbündeten, in allen Dimensionen und über alle Intensitätsstufen hinweg, Wirkungsüberlegenheit erzielen zu können.“
Weltweite Eroberungsfeldzüge
Die Vorbereitung auf eine derart massive Kriegsführung geht mit dem Anspruch der herrschenden Klasse Deutschlands einher, weltweit militärisch aufzutrumpfen. Im Abschnitt „Internationales Krisenmanagement“ heißt es: „Die Anforderungen reichen von präventivem Handeln bei krisenhaften Entwicklungen über zeitlich begrenzte, hoch intensive Operationen in schneller Reaktion bis hin zu lang andauernden stabilisierenden Einsätzen im Rahmen der Sicherheitsvor- und Krisennachsorge. Ebenso gehören Beiträge zum Kampf gegen den transnationalen Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, gegen Bedrohungen aus dem Cyberraum und dem Weltraum, gegen neuartige Gefahren hybriden Charakters, aber auch die Durchsetzung von Embargos und Sanktionen sowie die Demonstration militärischer Stärke als Unterstützung diplomatischer Bemühungen zum Krisenmanagement im zwischenstaatlichen Umfeld.“
Dabei geht es explizit um die Durchsetzung der geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Imperialismus. „Wenn sich die Sicherheitslage in einer Region oder einem Raum verschlechtert und deutsche Interessen berührt sind, kann die Bundeswehr mit einer Vielzahl von militärischen Maßnahmen im niedrigen Eskalationsspektrum, auch in Unterstützung diplomatischer Maßnahmen, reagieren. Mit der Präsenz militärischer Stärke in einer Krisenregion mit Kräften an Land, in der Luft oder auf See kann ein Aggressor von seinem Vorhaben abgebracht werden, ohne dass es zu einem offenen Konflikt kommt. Schutz- und Geleitoperationen in Krisenregionen dienen dazu, Schifffahrt, Luftverkehr und Handelswege zu sichern und die Reaktionsfähigkeit und Mobilität der eigenen Kräfte zu erhöhen.“
Nachdem die Bundesregierung 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet und 2016 ein neues Weißbuch veröffentlicht hat, erklärt sie offen, dass sie zukünftig bei internationalen Militäroperationen die Führungsrolle übernehmen will. „Die Bundeswehr stellt sich darauf ein, der Entwicklung entlang der im Weißbuch 2016 dargelegten Grundsätze Rechnung zu tragen und sich an Ad-hoc-Koalitionen in Einsätzen zu beteiligen oder sie gemeinsam mit Partnern, auch als Rahmennation, zu initiieren“, so die „Konzeption“.
Mit anderen Worten: Berlin plant, ähnlich wie die USA bei der völkerrechtswidrigen Intervention im Irak, zukünftig eigene „Koalitionen der Willigen“ zu bilden, um ganze Länder zu überfallen und zu besetzen. In der imperialistischen Sprache des 21. Jahrhunderts klingt das so: „Wenn der Ausbruch von Gewalt nicht zu verhindern ist, kann ein zeitlich begrenzter friedenserzwingender Kampfeinsatz erforderlich werden, an den sich eine Stabilisierungsoperation anschließen kann. Friedenserzwingende Maßnahmen sind deshalb so zu wählen, dass die Folgen die beabsichtigte langfristige Stabilisierung nicht beeinträchtigen. Streitkräfte müssen einen Waffenstillstand einschließlich der Einrichtung von Flugverbotszonen, Puffer und Schutzzonen und der Entwaffnung und Rückführung der Konfliktparteien umsetzen können.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Und weiter: „Wenn erforderlich, nehmen sie Aufgaben zur Stabilisierung des Umfeldes und zum Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastrukturen wahr. Zum Trennen von Konfliktparteien kann das Bezwingen eines militärischen Gegners erforderlich sein. Streitkräfte, die zur Bewältigung von Krisen und bewaffneten Auseinandersetzungen eingesetzt werden, müssen zum Kampf im gesamten Intensitätsspektrum befähigt sein. […] Ist das betroffene Land selbst nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit und Ordnung umfassend sicherzustellen, kann die Bundeswehr in einem ressortübergreifenden Ansatz vorübergehend auch Ordnungsaufgaben wahrnehmen, deren Äquivalent im Inland von nichtmilitärischen Stellen geleistet wird.“
Einsatz der Bundeswehr im Innern
Die Rückkehr zu einer kriegerischen Außen- und Großmachtpolitik geht mit der Errichtung eines Polizei- und Militärstaats im Innern einher. „Mit Blick auf die Gefährdungen in ‚global commons‘ sowie hybriden Bedrohungen auch aus dem Cyber- und Informationsraum verlieren nationale und räumliche Grenzen sowie die strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ihre Bedeutung“, heißt es in der der „Konzeption“.
Das Papier spricht sich offen für den permanenten Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Zusammenarbeit des Militärs mit der Polizei und anderen Regierungsbehörden aus. „Subsidiäre Unterstützungsleistungen in Deutschland“ seien für die Bundeswehr „im Rahmen von Ressortvereinbarungen dauerhaft zu übernehmen, u. a. parlamentarischer Flugbetrieb, Ölüberwachung, Sportförderung und Exportunterstützung. In Deutschland sind jeweils verfügbare Kräfte als Beiträge für Hilfeleistungen in Fällen von Naturkatastrophen, besonders schweren Unglücksfällen (ggf. auch aufgrund terroristischer Großlagen), bei innerem Notstand sowie zur Amtshilfe auf Anforderung bereitzustellen.“
Die herrschende Klasse weiß, dass sie ihre reaktionären Pläne nur durchsetzen kann, wenn sie wie in den 1930er Jahren ein autoritäres Terrorregime errichtet und jede Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen gewaltsam unterdrückt. Es ist kein Zufall, dass die neue „Konzeption der Bundeswehr“ in der gleichen Woche erschien, wie der aktuelle Verfassungsschutzbericht, der die AfD verteidigt und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) als „linksextremistisch“ führt, weil sie öffentlich für ein sozialistisches Programm „gegen die bestehende, pauschal als ‚Kapitalismus‘ verunglimpfte staatliche und gesellschaftliche Ordnung, gegen die EU, gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus“ eintritt.
Arbeiter und Jugendliche in Deutschland, Europa und weltweit werden sehr gut verstehen, was das bedeutet. Der Angriff des Verfassungsschutzes zielt auf die SGP, richtet sich aber gegen jeden, der soziale Ungleichheit, Militarismus und Unterdrückung ablehnt – das heißt gegen die große Mehrheit der Bevölkerung!
Diese Opposition gilt es nun auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms zu mobilisieren. Es darf auf keinen Fall zugelassen werden, dass die gleiche herrschende Klasse, die die Welt zweimal in den Abgrund gestürzt hat, erneut die Möglichkeit bekommt, ihre verbrecherischen Pläne in die Tat umzusetzen. Wir rufen alle Arbeiter und Jugendlichen, die über die gefährlichen Entwicklungen in Deutschland besorgt sind und gegen Militarismus, Krieg und Faschismus kämpfen wollen, dazu auf, die Kampagne für eine sozialistische Gegenoffensive zu unterstützen und Mitglied der SGP zu werden.