Gestern kamen rund 250 Stahlarbeiter in Dortmund zu einem kurzen Warnstreik zusammen. Die IG Metall hatte zu dem Protest am Tor 1 von Thyssenkrupp aufgerufen, nachdem am Freitag die Stahlunternehmen auch in der dritten Verhandlungsrunde kein konkretes Tarifangebot vorgelegt hatten.
Verhandelt wird derzeit für die 72.000 Beschäftigten der nordwestdeutschen Stahlindustrie. Die getrennt laufende Tarifrunde für die rund 8.000 Beschäftigten in der ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie hat in der letzten Woche begonnen.
Die IGM hatte letzten Dezember für die Eisen- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen die Forderung nach sechs Prozent mehr Lohn für eine Laufzeit von zwölf Monaten sowie nach einem jährlichen Urlaubsgeld in Höhe von 1800 Euro aufgestellt. Die tarifliche Urlaubsvergütung soll wahlweise in freie Tage umgewandelt werden können.
Weiterer Bestandteil des Forderungskatalogs sind die Tarifverträge zur Altersteilzeit, über den Einsatz von Werkverträgen und zur Beschäftigungssicherung. Für Auszubildende sollen die monatlichen Vergütungen überproportional erhöht werden, ihr zusätzliches Urlaubsgeld soll 600 Euro betragen.
Die Gewerkschaft verweist auf eine gute Absatzlage in der Stahlindustrie. „Die Kapazitätsauslastung lag in diesem Jahr [2018] um die 90 Prozent und nähert sich dem Durchschnittswert von 91 Prozent vor der Krise [2009] an“, sagte Ende des letzten Jahres der nordrhein-westfälische IGM-Bezirksleiter Knut Giesler in der Tarifkommission. Auch die Stahlpreise würden ansteigen.
Andreas Goss, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Stahl und Vorstandsvorsitzender der Thyssenkrupp Steel Europe AG (TKSE), bezeichnete die Forderungen als „von Beginn an vollkommen überzogen“. Sie habe durch den seither eingetretenen Konjunkturabschwung „jeden Realitätsbezug verloren“. Es werde keinen Tarifabschluss geben, der auch nur in der Nähe der gewerkschaftlichen Forderung liege, kündigte Goss an.
Das sind die üblichen Geplänkel in einem nur allzu bekannten Ritual, das von der IG Metall und den Stahlunternehmen seit Jahren praktiziert wird. Der alte Tarifvertrag lief Ende Dezember ab, die Friedenspflicht endete daher am letzten Donnerstag, dem 31. Januar. Einen Tag später beenden die Tarifparteien nach 15 Minuten die dritte Verhandlungsrunde und kündigen Warnstreiks an. Heute Morgen versammeln sich erneut TKSE-Stahlarbeiter in Bochum und Kreuztal sowie Arcelor-Mittal-Arbeiter in Duisburg.
Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 18. Februar geplant. Einige abzusehende verbale Spitzen sollen eine Auseinandersetzung suggerieren, die in Wirklichkeit gar nicht stattfindet. Die IG Metall hat in den letzten Jahren nicht nur zahlreichen Abkommen zum Abbau von Arbeitsplätzen und Senkung von Löhnen in der Stahlindustrie zugestimmt. Beim größten Stahlhersteller in Deutschland, Thyssenkrupp Stahl, hat die IG Metall auch die Fusion mit dem indischen Konzern Tata Steel durchgesetzt.
Die Fusion kostet mindestens 4000 Arbeitsplätze, je zur Hälfte bei ThyssenKrupp und bei Tata Steel. Die IG Metall und ihre Betriebsräte haben alle Einzelheiten der sozialen Verschlechterungen in einer Arbeitsgruppe des Aufsichtsrats ausgearbeitet.
Nun werden die IGM-Funktionäre und Betriebsräte den Unternehmen anbieten, einen weiteren Arbeitsplatzabbau durch die Umwandlung von Entgelt in Urlaub durchzusetzen. Denn die sinkende Belegschaftsstärke in den letzten Jahren bei steigender Produktion erhöht die Gewinne für die Aktionäre auf Kosten der Gesundheit der Stahlarbeiter. 70 Prozent der Beschäftigten in der Stahlindustrie arbeiten ohnehin in Schichtarbeit, die zu hohen gesundheitlichen Belastungen wie Schlafstörungen, Rückenleiden und Herz-Kreislauferkrankungen führt. Die Forderung nach mehr – bezahltem – Urlaub stößt daher unter den Arbeitern auf Unterstützung.
Bernhard Strippelmann, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl, betonte letzte Woche, dass eine Umwandlung des Urlaubsgeldes in entsprechende zusätzliche Urlaubstage einer Arbeitszeitverkürzung von 1,5 bis 2 Stunden pro Woche gleich käme.
Es ist abzusehen, dass die IG Metall in den nächsten Verhandlungsrunden die zusätzlichen Urlaubstage als „genialen Schachzug“ zur Arbeitsplatzsicherung preisen und gleichzeitig „im Gegenzug“ bei der tariflichen Lohnerhöhung nachgeben wird. Am Ende werden Arbeitsplätze abgebaut und Löhne gesenkt. Man kann schon jetzt davon ausgehen, dass der Tarifvertrag auf keinen Fall für nur 12 Monate abgeschlossen wird – der letzte lief über 22 Monate.
Dieses abgekartete Spiel zwischen Gewerkschaft und Unternehmen wird von vielen Arbeitern durchschaut und stößt in den Betrieben auf wachsende Wut und Empörung, die sich gegen die Gewerkschaft richtet. Nicht ohne Grund folgten gestern von den insgesamt 1300 Beschäftigten bei Thyssenkrupp in Dortmund nur etwa 250 Arbeiter der Frühschicht dem Protestaufruf.
Parallel zum Arbeitsplatzabbau, dem die IG Metall zugestimmt hat, erhöhte sich im letzten und im vorletzten Jahr der Umsatz in der Stahlindustrie um jeweils rund 20 Prozent. Nutznießer sind die Aktionäre, unter ihnen eine wachsende Zahl von Hedgefonds, mit denen die IG Metall inzwischen eng zusammenarbeitet. Für die Beschäftigten werden dagegen die Arbeitsbelastung und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen unerträglich.
Die Stahlarbeiter machen im gegenwärtigen Tarifkampf eine Erfahrung, die Arbeiter in allen Industrien weltweit machen: Arbeitsplätze, Löhne und angemessene Arbeitsbedingungen können nicht mit, sondern nur gegen die IG Metall und ihre Betriebsräte verteidigt werden. Die Gewerkschaften sind durch unzählige Bande mit den Unternehmen verknüpft und stehen auf der anderen Seite der Barrikade.