Die IG Metall hat mit einer intensiven Propagandakampagne und massivem Druck auf die Belegschaft den Weg für die Fusion des Thyssenkrupp-Stahlgeschäfts (27.000 Beschäftigte) mit Tata Steel Europe freigemacht. Die Mitglieder der Gewerkschaft haben dem mit der Konzernspitze ausgehandelten Tarifvertrag in einer mehrwöchigen Abstimmung zugestimmt. Ziel der Fusion sind einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen und ein massiver Arbeitsplatzabbau in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden.
Die IG Metall hat die Abstimmung so organisiert, dass sie eine möglichst hohe Zustimmung bekannt geben konnte. Diese Zustimmung wird sie in den kommenden Jahren nutzen, um jegliche Opposition gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau mundtot zu machen und zu unterdrücken. Der Tarifvertrag endet erst Ende September 2026.
Rund 20.000 IGM-Mitglieder waren bis letzten Freitag um Mitternacht zur Abstimmung aufgerufen. Am Montagnachmittag teilte die Gewerkschaft in Düsseldorf dann mit, dass sich 92,2 Prozent der abgegebenen Stimmen für den Tarifvertrag ausgesprochen hätten. Die Wahlbeteiligung lag bei 71,3 Prozent.
Im Stammwerk in Duisburg-Hamborn, mit über 12.000 Beschäftigten das größte Thyssenkrupp-Stahlwerk, lag die Wahlbeteiligung allerdings weitaus niedriger, nämlich bei 61,5 Prozent. Hier gab es mit 86,7 Prozent auch die geringste Zustimmung zum Tarifvertrag unter allen Standorten.
Obwohl der Personalvorstand und ehemalige IGM-Funktionär Oliver Burkhard schon vorab erklärt hatte, der Tarifvertrag gelte für alle Beschäftigten, waren nur die IGM-Mitglieder aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Dies ist gedeckt durch das 2015 von der Großen Koalition unter Federführung von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) durchgesetzte Tarifeinheitsgesetz.
In Duisburg-Hamborn sind weniger als 80 Prozent der beschäftigten Arbeiter und Angestellten Mitglied der IG Metall. Damit stimmten nicht einmal die Hälfte aller Beschäftigten, weniger als 6000, mit Ja. Die zahlreichen Leiharbeiter waren von vornherein nicht zur Abstimmung aufgerufen, da sie offiziell keine Thyssenkrupp-Beschäftigten sind, auch wenn dies viele von ihnen vorher waren und schon lange im Werk arbeiten.
Mit welchen Mitteln die IG Metall die Zustimmung erzwang, berichteten Arbeiter aus den Werken. Die Funktionäre, Betriebsräte und Vertrauensleute der IG Metall warben massiv mit Flyern, einer eigenen Website und persönlich um Zustimmung. Dabei priesen sie angebliche positive Folgen des Tarifvertrags, die aus dessen Wortlaut überhaupt nicht hervorgehen.
Das wirkungsvollste Druckmittel war die Verweigerung einer geheimen Abstimmung. Bei allen wichtigen Wahlen und Abstimmungen in der Gewerkschaft erhalten Gewerkschaftsmitglieder die Möglichkeit, ihr Votum anonym abzugeben. Erst diese Anonymität gewährt eine freie Wahl. So hat nach Paragraph 22 der IGM-Satzung etwa eine Urabstimmung über Streik zwingend als geheime Abstimmung stattzufinden. Vom Ortsvorstand bis zum Hauptvorstand werden alle Wahlen in geheimer Abstimmung durchgeführt.
Doch Arbeiter verschiedener Standorte berichteten auf Facebook, dass sie ihre Stimme unter den Augen der Organisatoren, sprich der Betriebsräte, abgeben mussten. Jeder konnte an den Abstimmungsorten sehen, was der Einzelne angekreuzt hatte. Das ist auch der Grund, weshalb die Börsenzeitung gestützt auf „Gewerkschaftskreise“ schon vier Tage vor Ende der Abstimmung von einer großen Unterstützung für den Tarifvertrag berichten konnte. Arbeiter, die trotz dieses Drucks mit Nein stimmten, ernteten „dumme Blicke“.
Eine geheime Wahl ist gerade dann notwendig, wenn die Wahlentscheidung jedes Einzelnen Auswirkungen auf seine berufliche Zukunft haben kann. Bei Thyssenkrupp ist das eindeutig der Fall. Denn der Tarifvertrag ermöglicht einen rigorosen Arbeitsplatzabbau. Er segnet nicht nur den vom Konzern geforderten Abbau von 2000 Arbeitsplätzen in Deutschland (und 2000 in Großbritannien) ab, sondern lässt darüber hinaus auch einen weiteren Abbau zu. Dieser soll lediglich „sozialverträglich gestaltet werden“.
Dieselben Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, die die Wahl durchgeführt haben, sind gegenwärtig und künftig mit der Ausarbeitung der Sozialpläne befasst und entscheiden, welcher Kollege per Sozialplan das Werk verlassen muss. Eine „Nein“-Stimme unter den Augen der Abstimmungsorganisatoren ist in der Hand der IGM-Betriebsräte ein sehr starkes Instrument der Einschüchterung und Unterdrückung.
Der Tarifvertrag der IG Metall gibt nun Thyssenkrupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger grünes Licht, den Gesamtkonzern nach dem Willen der Aktionäre umzubauen. Der Tarifvertrag markiert somit den Einstieg in den Ausstieg aus der Stahlproduktion bei Thyssenkrupp. Die aggressiven Hedgefonds fordern seit langem die Zerschlagung des Konzerns, als erstes die Abspaltung des Stahlbereichs.
Hiesinger sieht das ähnlich, bevorzugt aber einen mit der IG Metall und ihren Betriebsräten abgesprochenen Um- bzw. Abbau. In einem ersten Artikel zur Abstimmung meldete die Nachrichtenagentur dpa, der Vertrag solle schon am Dienstag, also gestern, unterschrieben werden.
Die Fusion wird dann noch in diesem Frühjahr im Aufsichtsrat beschlossen. Der endgültige Zusammenschluss der beiden Konzernteile erfolgt nach Freigabe durch die Kartellbehörden Ende des Jahres.
Thyssenkrupp und Tata erhoffen sich von der Zusammenlegung ihrer Geschäftsteile hohe Einsparungen in Höhe von 400 bis 600 Millionen Euro jährlich. Um die Zustimmung der IGM- und Betriebsratsvertreter im Aufsichtsrat abzudecken, werden zunächst noch einige von der Gewerkschaft angeforderte Wirtschaftsgutachten erwartet. IGM-Gewerkschaftssekretär Markus Grolms, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssenkrupp AG, behauptet: „Erst wenn diese von uns bewertet sind, wird eine Entscheidung fallen.“
Das entspricht nicht der Wahrheit. Die Entscheidung haben die gewerkschaftlichen Funktionäre schon vor langer Zeit gefällt. Sie sehen ihre Aufgabe darin, die Wettbewerbsfähigkeit des Mutterkonzerns zu stützen. Sie bestanden in den über eineinhalb Jahren dauernden Verhandlungen mit der Konzernspitze über die Fusion lediglich darauf, dass sie in die Planung mit einbezogen werden – und damit auch ihre Posten behalten. Diese den eigenen sozialen Interessen verpflichtete Politik umschreiben sie dann für gewöhnlich mit „Einhaltung der Mitbestimmung“.
Nachdem der Vertrag den IGM-Betriebsräten und -Funktionären dieses „Mitbestimmen“ – oder besser „Mitkassieren“ – zubilligt, hindert diese nichts mehr daran, alle Angriffe der Konzernspitze umzusetzen und den Abstoß der Stahlsparte einzuleiten.
Thyssenkrupp hat sich verpflichtet, für sechs Jahre Anteile am geplanten Joint Venture zu halten. Möglich ist jedoch auch eine Reduzierung der Anteile Thyssenkrupps, etwa durch einen Börsengang des neuen Konzerns.
Bei Tata Steel läuft aktuell ein ähnlicher Deal zwischen Gewerkschaft und Konzernspitze ab, um den Zusammenschluss der beiden europäischen Stahlhersteller perfekt zu machen.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) hat in einem Aufruf den Tarifvertrag der IG Metall mit seinen Angriffen auf Arbeitsplätze und -bedingungen analysiert und dazu aufgefordert, den Tarifvertrag abzulehnen und gegen ihn zu stimmen.
Nun werden die Betriebsräte und die IG Metall jede Opposition der Belegschaften gegen Arbeitsplatzabbau, Betriebsschließungen, steigende Arbeitshetze und sinkende Löhne mit dem Argument unterdrücken, diese seien mit dem Tarifvertrag vereinbar. Und diesem hätten die Arbeiter schließlich zugestimmt.
Die SGP ruft alle Arbeiter, die diese Knebelung durch die Gewerkschaft durchbrechen wollen, auf, mit uns Kontakt aufzunehmen.