Mitte Dezember, inmitten des Stellenabbaus und der Werksschließungen bei Volkswagen, kündigte Mercedes-Benz ein Sparprogramm mit dem Codenamen „Next Level Performance“ an, mit dem in den nächsten drei Jahren dauerhaft 5 Milliarden Euro eingespart werden sollen, ein großer Teil davon durch Arbeitsplatzabbau. Die Hälfte davon soll bereits in diesem Jahr erreicht werden. Eine weitere Milliarde ist für 2026 geplant und die restlichen 1,5 Milliarden im Jahr 2027.
Am vergangenen Donnerstag präsentierten Personalvorstand Sabine Kohleisen und der Betriebsratsvorsitzende Ergun Lümali den Beschäftigten in einem Intranet-Video in Stichworten, was sie seit Mitte Januar am idyllischen Lämmerbuckel auf der Schwäbischen Alb verhandeln. Was Ergun Lümali als „konstruktive Gespräche“ zur „Zukunftssicherung 2035“ ankündigte, entpuppte sich als gemeinsame Vorbereitung für einen beispiellosen Angriff auf die Mercedes-Beschäftigten. Folgende Kürzungen stehen im Raum:
- Verlust des Anspruchs auf das seit 2019 vereinbarte tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG), das für Beschäftigte im Schichtdienst, in der Kinderbetreuung oder in der Pflege von Angehörigen einmal jährlich in Höhe von 27,5 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts ausbezahlt wird und in acht Tage Freizeit umgewandelt werden kann.
- Abschaffung der jährlichen Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter, die es bei Mercedes seit 1997 gibt. Im Jahr 2023 hatte jeder Arbeitnehmer durchschnittlich 7000 Euro erhalten. Den gierigen Aktionären wurde dagegen eine Rekorddividende von 5,5 Milliarden Euro ausgeschüttet. Die Abschaffung der Gewinnbeteiligung bringt allein 630 Millionen Euro bei derzeit 90.000 Beschäftigten. Darüber hinaus werden die Jubiläumszuwendungen gekürzt.
- Für Heiligabend und Silvester müssen alle Beschäftigte jeweils einen Urlaubstag nehmen, statt wie bisher zweimal einen halben Tag.
- Reduzierung der miserablen Tariferhöhung, die die IG Metall im November 2024 vereinbart hat. Laut Tarifvertrag steigen die Einkommen ab April 2025 um 2,0 und ab April 2026 um weitere 3,1 Prozent. Das steht nun in Frage.
- Flexibilität in der Produktion. Die Arbeiter werden in verschiedenen Produktionshallen eingesetzt und müssen unabhängig von ihrer Lohngruppe zwischen den verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses wechseln. Hochbezahlte Arbeitsplätze werden durch niedriger bezahlte ersetzt. Im Rahmen von Outsourcing-Projekten werden Teile oder der gesamte Produktionsprozess zu geringeren Kosten an externe Unternehmen ausgelagert, um den Arbeitskräftebedarf zu reduzieren.
Im Intranet-Video deutete Personalvorstand Sabine Kohleisen einen massiven Abbau von Stellen an. Sie forderte „schlankere“ Strukturen, um die unmittelbaren Herausforderungen des Unternehmens zu meistern. Während die Arbeitskosten in den letzten Jahren angeblich explodierten, sei die Produktivität des Unternehmens nicht in gleichem Maße gestiegen.
Die schleppende Entwicklung der Elektromobilität, ungeplant hohe Investitionen in die Verbrennungsmotoren, der anhaltende Umsatzrückgang im wichtigen Markt China, der technologisch innovativ ist und in dem es billigere Konkurrenz gibt, erforderten strukturelle Veränderungen, so Kohleisen.
Unmittelbar nach der Ankündigung des Sparprogramms gab Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius der Süddeutschen Zeitung ein Interview, zwei Tage später folgte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ergun Lümali in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die zwischen den beiden abgesprochenen Interviews, die in der Manier von zwei Hütchenspielern gegeben wurden, enthüllten das vom Management und der IG-Metall geplante Sparprogramm, das die Angriffe bei Volkswagen noch übertreffen wird.
Das Manager Magazin hatte im Dezember berichtet, dass Mercedes das 5-Milliarden-Euro-Sparprogramm in den nächsten zwei Jahren durch den Abbau von bis zu 20.000 Stellen umsetzen will. Källenius wollte die Zahlen in seinem Interview weder dementieren noch bestätigen, was darauf hindeutet, dass das Management und die IG-Metall noch über die tatsächliche Zahl der zu vernichtenden Arbeitsplätze verhandeln, die auch darüber hinausgehen kann.
Ende Januar sagte die Chefredakteurin des Manager Magazins, Isabel Hüslen, im wöchentlichen Podcast des Magazins, das Jahr 2025 sei für Mercedes entscheidend. Abhängig von der weiteren Marktentwicklung und den Verkaufsergebnissen sei es möglich, dass bis zu 20 Prozent der weltweit 166.000 Stellen abgebaut würden. Das wären mehr als 33.000 Arbeitsplätze.
Källenius lobte den Arbeitsplatzabbau bei Volkswagen als Teil des „kontinuierlichen Verbesserungsprozesses“ der deutschen Autoindustrie. Was Volkswagen umgesetzt habe, gelte auch für Mercedes. Die Strukturen müssten überdacht werden, was auch die Personalkosten einschließe. Aber anders als bei VW werde man das unaufgeregt tun, „verantwortungsvoll und zusammen mit dem Betriebsrat“.
Auf die wiederholte Frage, wie viele Entlassungen geplant seien, antwortete Källenius: „Eine konkrete Zahl zu nennen, ist nicht sinnvoll. Du schaust dein Gesamtunternehmen an, du hast Erlöse, du hast Kosten, Investitionen, und daraus ergeben sich ein Ergebnis und ein Investmentziel, das du dir setzt. Wir kommen nicht mit dem Rasenmäher und sagen, wir machen minus x Prozent. Wir drehen jeden Stein um und verbessern unsere Strukturen.“ Das Sparprogramm ziele darauf ab, das in den Vorjahren nicht erreichte „Ergebnis und ein Investmentziel“ zu steigern.
Seit Mai 2022 verfolgt der Vorstand die Strategie, in erster Linie Luxuskarossen zu produzieren, mit dem Ziel, bis Mitte dieses Jahrzehnts eine Umsatzrendite von 14 Prozent oder mehr zu erzielen. Im Jahr 2022 lag die Rendite von Mercedes-Benz Cars bei 14,6 Prozent, doch seither werden die erwarteten Renditen nicht mehr erreicht. 2023 sank sie auf 12,6 Prozent und 2024 nach vorläufigen Zahlen auf 7,5 bis 8,5 Prozent. Für die Mercedes-Benz Group wird ein Gesamtgewinn erwartet, der „voraussichtlich deutlich unter dem Niveau des Vorjahres“ liegt. Im Jahr 2023 betrug sie 19,7 und 2022 20,5 Milliarden Euro.
Die von Industrie und Regierung forcierte Transformation zur Elektromobilität dient nicht der Schonung der Umwelt, sondern als Vorwand für massive Arbeitsplatzvernichtung und für Sozialabbau. Die überhöhten Preise für Elektroautos sind für die arbeitende Bevölkerung nicht finanzierbar.
Laut Kraftfahrt-Bundesamt betrug die Zahl der neuzugelassenen Elektroautos im Jahr 2024 381.000, ein Rückgang von 27,4 Prozent im Vergleich zu 524.000 zugelassenen Fahrzeugen im Vorjahr. Die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge mit Benzinmotor stieg um 1,4 Prozent auf 992.000, die Zahl der Dieselfahrzeuge sank leicht um 0,7 Prozent auf 483.000.
Mercedes Cars verkaufte im Jahr 2024 weltweit knapp zwei Millionen Autos, 3 Prozent weniger als im Jahr 2023. Der Anteil der Elektroautos lag bei 9,3 Prozent. Das sind 185.000 Fahrzeuge, 23 Prozent weniger als 2023. 2022 hatte Mercedes geplant, den Anteil der Elektrofahrzeuge bis 2025 auf 50 Prozent zu erhöhen. Derzeit liegt er unter 10 Prozent.
Das Sparprogramm stößt auf heftigen Widerstand der Arbeiter, die um die Zukunft ihrer Familien besorgt sind.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ergun Lümali sagte Mitte Dezember im FAZ-Interview, er sei sich der „Unruhe und Unsicherheit“ der Arbeiter in den Werkshallen bewusst. Jeden Tag verfolgten sie in den Nachrichten, wie schlecht die deutsche Autoindustrie in China dastehe, und die Strafzoll-Drohungen von Trump. Außerdem kennten die Arbeiter in Sindelfingen die Einschichtproduktion. Die Factory 56, eine der modernsten Fertigungshallen der Welt, in der die Luxusmodelle produziert werden, läuft seit Dezember wegen mangelnder Aufträge im Einschichtbetrieb.
Lümali stimmte grundsätzlich mit dem Management überein, dass Sparmaßnahmen unausweichlich seien. „Die Situation ist nicht einfach, wir werden über variable Kosten, aber auch über Fixkosten in der Produktion, in der Logistik und beim Material reden,“ sagte er. „Und mit Sicherheit wird der Vorstand uns auch mit Personalkosten konfrontieren. Aber da geht eben nur das, was realistisch umsetzbar ist und Akzeptanz und Verständnis findet. … Wir analysieren machbare Einschnitte für die Mannschaft und schauen dann, was für eine Zahl am Ende rauskommt.“
In Wirklichkeit drohen den Beschäftigten bei Mercedes ähnliche Einschnitte wie bei Volkswagen. Källenius bezeichnete die Angriffe bei Volkswagen als „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“ der Autoindustrie.
Lümali machte in seinem Interview deutlich, dass er die Interessen der Belegschaft vollständig der Profitstrategie des Vorstands unterordnet und nicht im Traum daran denkt, einen prinzipiellen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Einkommen zu führen. Noch abwegiger ist für ihn ein gemeinsamer Kampf mit den Kollegen von VW oder in der Zulieferindustrie, wo jeden Tag Hunderte Arbeitsplätze vernichtet werden, oder mit Autoarbeitern in anderen Ländern, die gegen dieselben internationalen Konzerne kämpfen.
„In jeder Diskussion mit dem Vorstand fordere ich eine Wachstumsstrategie,“ sagte Lümali der FAZ. „Da bin ich sehr klar. Wir werden uns nicht mit weniger als zwei Millionen Fahrzeugen im Jahr zufriedengeben – die brauchen wir, um die deutschen Standorte auszulasten. Um die Zahl zu erreichen, brauchen wir Wachstum, Wachstum, Wachstum. Dazu sind neue Strategien notwendig, um verlorene Marktanteile zurückzugewinnen.“
Er verteidigte auch ausdrücklich die „Luxusstrategie“ von Källenius. „Wenn ich sehe, dass ich weniger Autos absetze als geplant, ich aber Gewinne brauche, um die Transformation zu finanzieren, dann muss ich bei den weniger verkauften Autos eine höhere Marge erwirtschaften.“
Mercedes-Beschäftigte können sicher sein, dass die IG-Metall und der Betriebsrat – außer einigen Worten der Empörung über die „Horrorliste“ und über die „Giftliste“ – nichts gegen das Sparprogramm unternehmen, sondern es voll unterstützen und eine entscheidende Rolle bei seiner Verwirklichung spielen werden.
Um die Angriffe von Mercedes zurückzuschlagen, ist es unumgänglich, mit der IG Metall und ihren Betriebsräten zu brechen und sich mit allen kampfbereiten Kolleginnen und Kollegen zu Aktionskomitees zusammenschließen. Diese müssen unabhängig von der IG Metall und nur der Basis verantwortlich sein, den Kampf selbst in die Hände nehmen und sich mit Aktionskomitees in anderen Werken, Unternehmen und Ländern vernetzen.
Sie müssen alle Arbeitsplätze an allen Standorten prinzipiell verteidigen und alle Zugeständnisse bei Löhnen und sozialen Errungenschaften zurückweisen. Sichere Arbeitsplätze und auskömmliche Löhne sind wichtiger als die Profite der milliardenschweren Aktionäre.
Arbeiterinnen und Arbeiter, die damit übereinstimmen, sollten Kontakt mit dem Aktionskomitee aufnehmen. Meldet euch per Whatsapp unter +49-163-337 8340 oder registriert euch über das unten stehende Formular.