Gestern wurden sieben Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge in Bayern in sogenannte Ankerzentren umgewandelt, in denen fortan alle Schutzsuchenden verbleiben müssen, bis sie abgeschoben werden oder einen Aufenthaltsstatus erhalten. Mit diesem menschenverachtenden Lagersystem setzt die Bundesregierung die rechtsradikale Flüchtlingspolitik der AfD in die Tat um. Die bayrischen Lager sollen laut Koalitionsvertrag auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden.
„Anker“ steht für „Ankunft, Entscheidung und Rückführung“. In den Lagern sind alle relevanten Behörden vertreten und Flüchtlinge müssen darin solange verbleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde. Erwachsene sollen bis zu 18 Monate bleiben, und sogar Kinder will die bayrische Regierung bis zu sechs Monate in den Massenlagern unterbringen. Der größte Teil der Kasernierten soll dann direkt aus den Lagern abgeschoben werden.
Die Bilder der Anker-Zentren rufen unweigerlich Erinnerungen an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte wach. Umgeben von hohen Zäunen, die mit mehreren Reihen Stacheldraht bewehrt sind, sollen je Lager 1000 bis 1500 Menschen diszipliniert und von der Gesellschaft abgesondert werden. Die Tore sind schwer bewacht und lassen niemanden ungesehen passieren. Die katholische Hilfsorganisation Caritas spricht von einer „Gefängnisatmosphäre“.
Den Bewohnern der Lager werden grundlegende Rechte aberkannt. Sie sind verpflichtet, in dem Lager zu leben und dürfen den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde nicht verlassen. Der Presse ist der Zutritt ebenso verboten wie Anwälten oder Freunden. Helfer der Caritas, Angehörige und selbst Pfarrer müssen Anträge stellen, um in die Einrichtungen hineingelassen zu werden.
In den Lagern sollen „beschleunigte“ Asylverfahren durchgeführt werden, die sich vor allem durch kürzere Einspruchsfristen und die Erschwerung von rechtlichem Beistand für die Betroffenen auszeichnen. So soll verhindert werden, dass die Flüchtlinge Widersprüche beim Verwaltungsgericht gegen negative Bescheide einlegen, die in der Vergangenheit zu 50 Prozent erfolgreich waren.
„Ohne effektiven Zugang zu Anwältinnen und Anwälten, ohne Begleitung bei Anhörungen, ohne unabhängige Beratung nach Erhalt der – häufig mangelhaften – Asylbescheide des Bundesamts droht die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes de facto ausgehebelt zu werden“, erklärt etwa die Hilfsorganisation ProAsyl.
In den Lagern werden die Flüchtlinge ganz bewusst schlecht behandelt und gedemütigt, um sie zu einer „freiwilligen“ Ausreise zu nötigen. So werden den Betroffenen statt Geldleistungen für Essen, Kleidung und Hygieneartikel nur Sachleistungen ausgegeben. Das ist für die Behörden komplizierter und teurer, aber wird dennoch umgesetzt, um Menschen abzuschrecken. „Es gibt ein klares Signal“, sagt der für das Ankerzentrum in Manching zuständige Sachgebietsleiter Daniel Waidelich: „Es lohnt sich nicht, nach Deutschland zu kommen.“
Deshalb dürfen die Bewohner der Lager auch nicht arbeiten und werden über Monate zum Nichtstun und zur Fremdbestimmung verdammt. Das nächste Geschäft ist 40 Minuten Fußmarsch entfernt, ein Bus fährt nicht. Die Flüchtlinge werden bewusst isoliert.
In dieser menschenverachtenden Ausrichtung der Ankerzentren zeigt sich der Charakter der gesamten Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, die auf Abschottung, Abschiebung und Unterdrückung setzt. Auch in Bayern sind die jetzt gegründeten Ankerzentren das Ergebnis einer systematischen Entwicklung.
Schon im Jahr 2015 waren in Bamberg und Ingolstadt/Manching sogenannte Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen (ARE) eröffnet worden, in denen zunächst vor allem Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten, später auch zahlreiche weitere Flüchtlinge mit angeblich schlechter Bleibeperspektive bis zu ihrer Abschiebung kaserniert wurden. Familien, die zuvor in normalen Nachbarschaften gelebt hatten, deren Kinder zur Schule und in den Kindergarten gegangen waren, wurden über Nacht zur Umsiedlung in die Lager gezwungen.
2017 wurden diese Einrichtungen in Transitzentren umbenannt und durch Lager in Regensburg und Deggendorf ergänzt. In diese Zentren wurde fortan jeder gebracht, der aus einem Land mit einer Anerkennungsquote unter 50 Prozent geflohen war, was für die übergroße Mehrheit der Länder zutrifft.
Seit gestern wurden nun neben diesen vier auch die drei verbliebenen Erstaufnahmeeinrichtungen in Donauwörth, Zirndorf und Schweinfurt in Ankerzentren umgewandelt. Damit müssen nun sämtliche Flüchtlinge, die in Bayern ankommen, in solchen Abschreckungs- und Abschiebe-Lagern leben.
Man erhält ein konkretes Bild von den neuen Ankerzentren, wenn man sich die beiden ersten AR-Lager in Bamberg und Manching anschaut, nach deren Vorbild nun alle Einrichtungen in Deutschland umgestaltet werden sollen.
In Manching haben seit der Eröffnung 2015 5000 Flüchtlinge gelebt. Davon wurden nach offiziellen Angaben 1000 abgeschoben. 2500 weitere Personen wurden zur „freiwilligen“ Ausreise bewegt. Nur etwa 100 haben einen positiven Asylbescheid bekommen.
„Es ist hier wie im Gefängnis“, klagte Jeffrey, der mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn seit zehn Monaten im Lager von Manching lebt gegenüber Spiegel Online. „Man kann nichts tun. Morgens wachst Du auf und siehst die gleichen Gesichter. Du kannst nicht arbeiten, musst rumhängen.“
Eine 19-jährige Mutter, die seit sieben Monaten mit einem Kleinkind in den Mehrbettzimmern der Einrichtung leben muss, sagt, dass die Situation schlimmer sei als in ihrer Heimat Nigeria und auf der Flucht. Laut Caritas sind neun von zehn Frauen aus Nigeria auf der Flucht Opfer von Gewalt, Zwangsprostitution und Menschenhandel geworden. In Deutschland angekommen sollen sie mit allen Mitteln abgeschreckt werden.
Die Funke-Mediengruppe berichtet von Schlafräumen mit sieben Betten. „70 Frauen, Männer und Kinder teilen sich ein Bad und eine Toilette“, so der Bericht. „Beinahe jede Nacht werden die Asylsuchenden aus dem Schlaf gerissen, wenn Polizisten und Wachmänner in den frühen Morgenstunden in die Schlafräume eindringen, um abgelehnte Asylbewerber für ihre Abschiebung abzuholen“, heißt es weiter. Neben dem Sicherheitsdienst rückte die Polizei im letzten Jahr 250 Mal an, um die Ordnung im Lager mit der Staatsgewalt aufrecht zu erhalten.
Die Ankerzentren, die jetzt in Bayern getestet und später ausgeweitet werden, sind Teil von viel weitgehenderen Plänen eines umfassenden Lagersystems, das ganz Europa und Nordafrika umspannen soll. Im Masterplan des Innenministers Horst Seehofer (CSU) ist nicht nur die Ausweitung der Ankerzentren auf ganz Deutschland, sondern auch die „Ausweitung des Hotspot-Konzepts“ in Europa vorgesehen.
Sogenannte Hotspots sind Lager an den Außengrenzen Europas, die für ihre unmenschlichen Zustände berüchtigt sind. Human Rights Watch berichtete erst vor wenigen Tagen, dass die Flüchtlinge in Griechenland „erschreckenden Aufnahme- und Haftbedingungen ausgesetzt sind, wobei gefährdete Gruppen keinen ausreichenden Schutz genießen“. Die Menschenrechtsorganisation bemängelt unter anderem fehlende medizinische Versorgung und erklärt, dass Griechenland in den Lagern „internationale Standards“ unterlaufe.
Seehofers Masterplan sieht die „Entwicklung eines Hotspot-Standardmodells“ vor, das auf andere Regionen Europas übertragen werden kann. Schon jetzt arbeitet die EU zudem eng mit der sogenannten Libyschen Küstenwache zusammen, der vorgeworfen wird, Flüchtlinge in Privatgefängnisse zu bringen, in denen sie gefoltert, misshandelt und getötet werden. Selbst das Auswärtige Amt bezeichnete die Zustände dort in einer Korrespondenz als „KZ-ähnlich“.
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, was die deutsche Regierung und mit ihr die ganze Europäische Union ins Werk setzen: Flüchtlinge, die es in die innereuropäischen Staaten und insbesondere nach Deutschland geschafft haben, werden in den Ankerzentren kaserniert und schnellst möglich entweder in ihre Heimatländer oder nach der Dublin-Vereinbarung in die EU-Länder deportiert, in denen sie zuerst registriert wurden.
Dort kommen sie in die menschenunwürdigen Hotspots und sollen zur Ausreise oder Abschiebung gezwungen werden. Schließlich landen sie in den nordafrikanischen Ländern, wo sie in den Privatgefängnissen enden, als Sklaven verkauft oder auf Todesmärsche geschickt werden.
Diese monströse Internierungs- und Deportationsmaschinerie ruft Erinnerungen an die frühen Konzentrationslager der Nazis wach, in denen zunächst politische Gegner, später auch Juden, Sinti und Roma interniert wurden. Aus diesen menschenverachtenden Lagern entwickelte sich mit dem Überfall auf die Sowjetunion dann die größte Vernichtungsmaschinerie der Menschheitsgeschichte.
Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD arbeitet nun wieder an einem Lagersystem, in dem zehntausende schutzsuchende Menschen kaserniert und deportiert werden. Dieser ungeheure Apparat richtet sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern gegen jeden, der sich der rechten Politik der Regierung widersetzt. Mit den Anker-Zentren reagiert die CSU auch auf die Massendemonstration, die letzte Woche gegen Flüchtlingshetze, Armut und Krieg stattfand.
Umgekehrt ist die einzige soziale Kraft, die dem Rechtsruck entgegentreten und die Rechte der Flüchtlinge verteidigen kann, die Arbeiterklasse. Um als unabhängige Kraft auftreten zu können, braucht sie ein sozialistisches Programm, das dem wachsenden Nationalismus die internationale Einheit der Arbeiter entgegenstellt.